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Kategorie: Porträts

Herr Koch, woran arbeiten Sie gerade?


Zu den Fragen, die mich wissenschaftlich interessieren und moralisch beschäftigen, gehören jene, die sich mit den Mechanismen sozialräumlicher Differenzierung und ihren Zusammenhängen auseinandersetzten. Wodurch kommt es zur Herausbildung von urbanen Aufwertungsprozessen - den Räumen der Wohlhabenden - und (wie) hängen diese mit Abwertungsprozessen im selben urbanen Kontext zusammen?

Mit dieser Frage verbinde ich auch die Suche nach den räumlichen, zeitlichen und sozialen Maßstäben (im Sinne von Skalierungen) der Auf- bzw. Abwertung, die zur Herausbildung erkennbarer sozialräumlicher Vereinheitlichung (Homogenisierung) bei gleichzeitiger Überlagerung sozialräumlicher Unterschiede und Fragmentierungen (Heterogenisierung) führen. Ein bekanntes Beispiel hierfür sind die Haupteinkaufsstraßen und Fußgängerzonen vieler Großstädte: Das Erscheinungsbild dieser Straßen ist geprägt durch einen hohen Anteil von immer gleichen Geschäften, den Filialisten, wie zum Beispiel Zara, Deichmann, Hugendubel oder McDonalds. Dazwischen gibt es Einzelhändler, die weniger bekannt sind und für ein gewisses Maß an Besonderheit sorgen. Immer mehr Stadtviertel großer Städte ahmen dieses Entwicklungsmuster nach - die Wohnumgebung ist geprägt durch ähnliche Architektur, ähnliche Geschäftsstruktur und eine ähnliche Gestaltung öffentlicher Räume.
Spannend ist dabei die Frage, wie ähnlich sich Straßenabschnitte, Stadtviertel oder ganze Städte sind: Wie homogen ist beispielsweise ein gentrifiziertes Stadtviertel, das durch den Zuzug bestimmter Lebensstilgruppen (Haushalte mit zwei Einkommen, wenigen oder gar keinen Kindern, etc.) in luxussanierte Wohnungen das Erscheinungsbild prägt? Nach welchen sozialen Kriterien wird diese Homogenität bestimmt, wie dynamisch ist der Prozess der Homogenisierung und wie ändert sich das Ausmaß der Homogenität in Abhängigkeit des gewählten räumlichen Ausschnitts? Und schließlich, was ist unter Homogenität inhaltlich zu verstehen, und wie lässt sie sich messen?
Der erkenntnistheoretische Grundgedanke, mit dem ich versuche, diese Prozesse und Zusammenhänge zu verstehen, basiert auf der allgemeinen Annahme der Komplementarität (das Eine kann es ohne das Andere nicht geben) bzw. Dualität (das Eine erklärt sich aus dem Anderen heraus und umgekehrt) von Phänomenen. So wie es ohne Strukturen keine Prozesse geben kann, so kann es auch umgekehrt ohne Prozesse keine Strukturen geben. Komplementarität ist grundlegend und selbstreferenziell: Sie umfasst gleichzeitig die wechselseitige Bezugnahme von Gegenständen/Zuständen /Ereignissen und die Eigenständigkeit dieser Gegenstände/Zustände/Ereignisse. Für die Untersuchung von Prozessen und Strukturen urbaner sozialräumlicher Differenzierungen bedeutet dies eine Abkehr vom Paradigma der reinen "sozialen Konstruktion räumlicher Gegebenheiten", passender ist die Vorstellung vom ‚spacing' (der Prozess) und der ‚Syntheseleistung' (der Struktur) bzw. der ‚Eigenlogik des Städtischen' (Löw 2002, 2008), weil sie der Konstruktion die Rekonstruktion zur Seite stellt und damit das Verhältnis von Sozialem und Raum gleich gewichtet.
Mit dieser Denkfigur habe ich in den letzten Jahren einen systemtheoretischen Ansatz entwickelt, der die soziologische Theorie sozialer Systeme (Luhmann 1993) auf räumliche Systeme überträgt und adaptiert. Der Komplementaritätslogik folgend, sind soziale und räumliche Systeme jeweils für sich eigenständig und gleichzeitig wechselseitig aufeinander bezogen. ‚Eigenständig' meint, dass räumliche wie soziale Systeme ihre eigene Entstehungs- und Erhaltungslogik haben; ‚wechselseitig aufeinander bezogen' meint, dass es Übersetzungsmechanismen zwischen beiden Systemwelten gibt. Im Ergebnis heißt dies, dass soziale und individuelle Handlungen räumliche Prozesse und Strukturen beeinflussen, aber auch umgekehrt, dass räumliche Prozesse und Strukturen auf soziale Gefüge und individuelle Handlungen Einfluss nehmen. Armut, Exklusion, soziale Ungleichheit und Segregation sind, so die Annahme, immer auch räumlich beeinflusst und dieser räumliche Einfluss liegt außerhalb der direkten Determination im sozialen und individuellen Systembereich. Zum Verständnis sei noch angemerkt, dass räumliche Systeme unterschiedliche Maßstäbe haben und sowohl auf geometrische, topologische und semantische Dimensionen Bezug nehmen.
Vor diesem theoretischen und epistemologischen Hintergrund arbeite ich zurzeit konkret an der methodologischen Umsetzung. Dabei liegt der Schwerpunkt zum einen auf der quantitativ-analytischen Ebene der multivariaten und Geostatistik und zum anderen auf jener der Modellierung und Geosimulation. Ich bin davon überzeugt, dass eine Methodenforschung in diesem Bereich auch und gerade für eine sozialwissenschaftlich orientierte Geographie ein großes Potenzial besitzt, das sich insbesondere auf die Visualisierung der Prozesse und Zusammenhänge bezieht. Mit dem geostatistischen Zugang verbinde ich den Versuch, die unterschiedlich georeferenzierten Attributdaten adäquat aufzubereiten. Da für mich besonders die Mikroebene relevant ist, versuche ich, sozialstatistische Daten, die eine territorial aggregierte Auflösung besitzen (z.B. Gemeinde-, Zensusdaten), auf die Individualebene zu disaggregieren. Der multivariate Zugang hilft, die soziale Komplexität im urbanen Kontext empirisch besser zu erfassen, indem die vielfältigen Korrelationen entdeckt (im Sinne eines Spatial Data Mining) und geprüft werden.
Mit den Methoden der Modellierung und Geosimulation werden die geostatistisch aufbereiteten Daten dann in eine prozessuale Analyse überführt. Konkret entwickle ich gerade ein agentenbasiertes Simulationsmodell, das den Segregationsprozess in der Stadt Salzburg abbildet. Agenten sind Softwareeinheiten, die Individuen (Personen, Haushalte) und Räume (Parzellen, Plätze) repräsentieren. Dabei lassen sich Interaktionen zwischen den sozialen Agenten, den räumlichen Agenten und zwischen sozialen und räumlichen Agenten modellieren. Auf diese Weise gelingt eine Übersetzung der Systemtheorie im Simulationsmodell. Mit der folgenden Abbildung soll dies veranschaulicht werden: die Farbe der Zellen kennzeichnet die Eigenschaften einer Parzelle, z.B. den Wert, die Größe oder das Alter des Hauses. Die Kreise repräsentieren Haushalte, die in diesen Häusern leben. Auch diese sind in ihren sozialen Eigenschaften (Haushaltsgröße, Einkommen, Nationalität, etc.) durch ihre Farbe unterschieden. Zieht nun ein ‚grüner' Haushalt in ein ‚rotes' Haus, dann verändert er durch seinen Zuzug die lokale Situation, beispielsweise kann dieser Haushalt sich in einer Umgebung kinderreicher Familien ein Haus leisten, das deutlich teurer ist als die benachbarten. Dadurch steigt vielleicht die Erwartungshaltung der benachbarten Vermieter bzw. Verkäufer und das Kaufpreisniveau steigt allmählich an. Das kann dann nach einer Weile dazu führen, dass der ‚blaue' Haushalt wegzieht, weil er sich die Miete nicht mehr leisten kann.

 

Abbildung 1: Interaktion zwischen sozialen und räumlichen Agenten

Das Ziel besteht darin, mögliche soziale Einflussgrößen zu ermitteln, die eine Antwort auf die obigen Fragen zur Homogenisierung im Segregationsprozess geben können. Die Geosimulation hat den Vorzug, das Maßstabsproblem explizit berücksichtigen zu können - es ist möglich, räumliche, zeitliche und soziale Zusammenhänge in ihrem Wirkungsgefüge von der Mikro- bis zur urbanen Makroperspektive zu variieren. Dieses Potenzial hilft, das so genannte Emergenzphänomen kritisch zu betrachten. Frühere Untersuchungen zur Segregation (Schelling 1971) haben eindrucksvoll gezeigt, dass individuelle Bewertungen der Nachbarschaft und darauf aufbauende Entscheidungen zum Bleiben oder Wegzug tolerant gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen sein können und dennoch eine ausgeprägte Segregation stattfindet.  
Auch für diese methodischen Zugänge gilt, dass sie nicht umfassend das inhaltliche Problem erfassen und erklären können. Daher versuche ich ergänzend über qualitative Ansätze der Wohnumfeldbewertung das Segregationsphänomen zu untersuchen. Neben dieser Untersuchung bin ich (sind wir in unserer Arbeitsgruppe) gerade dabei, im Rahmen eines Projekts zum Demographischen Wandel im Alpenraum (Titel ‚Demochange', als Teil des Alpine Space Programs, http://www.demochange.at), die durch Migration und natürliche Bevölkerungsentwicklungen induzierten sozialräumlichen Prozesse unter dem Gesichtspunkt der lokalen und regionalen Homogenisierung mit Hilfe der genannten Methoden zu untersuchen. Neben der Untersuchung der quantitativen Veränderungen gehen wir der Frage nach, wie sich die qualitativen soziodemographischen Merkmale (z.B. Bildungsniveau, soziale und ethnische Herkunft) auf die Integrations- und Segregationsprozesse auswirken.

Literatur:
Löw, M. (2008): Soziologie der Städte, Frankfurt a.M.
Löw, M. (2002): Raumsoziologie, Frankfurt a.M.
Luhmann, N (1993): Soziale Systeme, Frankfurt a.M.
Schelling, T. C. (1971): Dynamic models of segregation. In: Journal of Mathematical Sociology, vol. 1 (2), pp. 143-186.





Kurzer Lebenslauf:

geboren am 9. Oktober 1965 in Freiburg i. Breisgau,
1988 - 1993 Studium der Geographie im Hauptfach an der LMU München, Nebenfächer: Raumforschung, Raumordnung und Landesplanung, Politische Wissenschaft,
1993 - 1997 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geographischen Institut der RWTH Aachen,
1998 - 2002  Wissenschaftlicher Assistent am Geographischen Institut der RWTH Aachen,
2002 - 2007 C3-Professor für Angewandte Geographie und Geoinformatik am Department für Geo- und  Umweltwissenschaften der LMU München (Vertretung),
2000 - 2001 Forschungsassistent an der Abteilung ‚Wirtschaftsgeographie und Angewandte Geoinformatik' (Prof. Dr. M.M. Fischer) der Wirtschaftsuniversität Wien,
2007 - 2010 Gastaufenthalte in Klagenfurt und Sofia (Lehrveranstaltungen zu Geosimulation und Geostatistik),
seit 2007 Professor für Humangeographie an der Universität Salzburg



Weitere Informationen zu meiner Person, meinen Forschungsinteressen, unseren Projekten und der AG Sozialgeographie finden Sie unter http://www.uni-salzburg.at/sogeo .
* Auf der Begrüßungsseite gibt es einen Überblick zu unseren Interessensgebieten
* Unter MitarbeiterInnen erhält man Informationen zu den MitarbeiterInnen der AG (CV und Publikationen)
* Unter Forschung gibt es einen Überblick über laufende Projekte, wie dem Demochange-Projekt oder uni:hautnah, einer universitären Veranstaltung, die den wissenschaftlichen Dialog mit der Öffentlichkeit sucht


Andreas Koch   
AG Sozialgeographie
Fachbereich Geographie und Geologie
Universität Salzburg
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