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Kategorie: Rezensionen

Christiane Noe: Soziale Netzwerke und Gesundheit. Health Vulnerability städtischer Marginalgruppen in Colombo/Sri Lanka. Saarbrücken 2007. 238 S.

Die empirische Analyse spezifischer Verwundbarkeitskontexte kann sozialwissenschaftliche Erkenntnisse liefern, die über den räumlichen und politischen Kontext einer Fallstudie hinaus relevant sind und die sowohl zu theoretischen Diskursen beitragen als auch konkrete Handlungsweisungen für die Stadtplanung in Entwicklungsländern aufzeigen. Dieser schwierige Brückenschlag zwischen Theoriediskurs und Praxisrelevanz gelingt der Autorin der vorliegenden Dissertation und macht die Arbeit somit für eine breite wissenschaftliche Leserschaft relevant.

Die Studie befasst sich mit den spezifischen gesundheitlichen Risiken und Belastungen marginalisierter städtischer Bevölkerungsgruppen in Colombo, Sri Lanka, sowie mit der Analyse gesundheitsrelevanter sozialer Netzwerke und deren Funktion und Struktur als für die Lebenssicherung und Risikobewältigung dieser Gruppen unabdinglich.
Das Buch ist in drei Teile untergliedert. In einem theoretisch-konzeptionellen Teil werden zunächst die Kernkonzepte von Verwundbarkeit, Lebenssicherung und Sozialkapital konzeptionell erfasst und in bestehende Diskurse der geographischen Entwicklungsforschung eingebettet. Die Autorin reißt dabei die bereits ausführlich geführte Diskussion um die wissenschaftliche Bedeutung und Messbarkeit von Sozialkapital an und führt dessen Funktionsweise im Kontext von health vulnerability als "soziales Immunsystem" ein. Die ausführliche entwicklungstheoretische Diskussion dieser zentralen Begriffe ist Grundlage eines von der Autorin entwickelten forschungsspezifischen Analyserahmens in Anlehnung an das Sustainable Livelihoods Framework (SLF), der eine solide Basis für die Aufarbeitung der empirischen Forschungsergebnisse darstellt. Der zweite Teil des Buchs liefert einen kurzen, jedoch über die Fragestellungen der empirischen Arbeit hinausgehenden Abriss des soziopolitischen Umfeldes von sozialer Sicherung, Gesundheit und Stadtentwicklung in Colombo. Im dritten Teil des Buchs erfolgt dann die detaillierte empirische Analyse gesundheitsrelevanter sozialer und politischer Prozesse in zwei jeweils paarweise konfigurierten städtischen Marginalsiedlungen in Colombo. Dem Analyserahmen folgend ist die Struktur dieses Teils der Arbeit für den Leser eingängig, auch wenn teilweise etwas rigide am SLF orientiert.  
Die wissenschaftliche Bedeutung der vorliegenden Publikation lässt sich an zwei zentralen Elementen festmachen: zum einen an der konzeptionell komplexen Entwicklung des Health Vulnerability Frameworks als analytischen Forschungsrahmen, zum anderen an der empirischen Operationalisierung von Sozialkapital im Zusammenhang mit gesundheitsbedingter Verwundbarkeit. Das von der Autorin entwickelte Health Vulnerability Framework ist eine solide Anleitung für theoriegeleitete und im sozialwissenschaftlichen Diskurs verortete empirische Arbeit. Der Forschungsrahmen bietet Möglichkeiten für eine Weiterentwicklung im Sinne einer interdisziplinären Mehrebenenanalyse von Gesundheit und städtischer Marginalisierung. Er erlaubt es, die Analyse der empirischen Forschungsergebnisse von einer breiten Erfassung der Ressourcen der Lebenssicherung (gemäß der fünf "Kapitalarten" des SLF) zu einer detaillierten Diskussion der Bedeutung gesundheitsrelevanter sozialer Netzwerke zu verdichten. Dabei ist der Autorin anzurechnen, dass sie die Komplexität des Konzepts von Sozialkapital erfasst und thematisiert und zugleich eine empirisch praktikable, aussagekräftige (und für die Zielsetzung der Arbeit unbedingt notwendige) Analyse von Sozialkapital vorlegt. Diese Operationalisierung gelingt zum einen durch die Untersuchung von Sozialkapital auf verschiedenen Ebenen, von der Familie als kleinstem (und in vieler Hinsicht tragfähigstem) Netzwerk hin zu institutionellen Netzwerken auf städtischer und nationaler Ebene. Zum anderen wird die gesundheitsrelevante Funktion von Sozialkapital detailliert erörtert und eine Typologisierung der Netzwerke vorgenommen. Die Arbeit stellt einen äußerst interessanten Beitrag zur theoriegeleiteten geographischen Entwicklungsforschung dar, der vor allem durch die empirische Umsetzung komplexer und teilweise kontrovers diskutierter sozialwissenschaftlicher Konzepte besticht. Dadurch wird sie auch für sozialwissenschaftlich interessierte Leser jenseits der Stadt- und Entwicklungsforschung relevant.
Hartmut Fünfgeld

 

Quelle: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie Jg. 53 (2009) Heft 4, S. 279-280