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Kategorie: Rezensionen

Rolf Lindner: Walks on the Wild Side. Eine Geschichte der Stadtforschung. Frankfurt/Main 2004. 240 S.

"Eine Geschichte der Stadtforschung", so nennt der Autor Rolf Lindner sein Buch im Untertitel. Der Leser tut gut daran, den unbestimmten Artikel ernst zu nehmen, denn was hier vorgelegt wird, ist gewiss nicht "die" Disziplingeschichte. Wenn auch das Substantiv Stadtforschung mit einem einschränkenden Adjektiv versehen worden wäre, etwa "kulturanthropologische Stadtforschung" - dann entspräche der Untertitel, der eigentlich aber den Haupttitel bildet, dem Inhalt und dann erschlösse sich auch der Sinngehalt des Obertitels "Walks on the Wild Side".

Denn die Forschungsgeschichte solcher ethnographischen Entdeckungspfade in die urbane Armut, die Slum- und Ghettobezirke wird hier in einer überaus inhaltsreichen, spannend zu lesenden Arbeit vorgelegt. Lindner setzt "seinen" Beginn der Stadtforschung daher ins 19. Jahrhundert, als sich das (britische) Interesse an Entdeckungsreisen der urbanen Wildnis vor der Haustür, dem dunklen Kontinent in der eigenen Stadt zuwandte. Der Geograph liest dieses Buch mit großem Genuss und Gewinn, erfährt er doch von Forschungsansätzen und Ergebnissen, die in unserer Disziplin bislang kaum bekannt sind, zumindest die älteren. Und dies macht auch einen Teil der Enttäuschung aus, wenn das Buch ausgelesen ist: Ein interdisziplinärer Austausch - Lindner bemüht gern den Begriff Diskurs - zwischen der ethnographisch betriebenen Stadtsoziologie und der Stadtgeographie scheint für Lindner nicht zu existieren. Darstellungen, die wie die vorliegende auf einer hermeneutischen Logik beruhen, ziehen ihre Leserinnen und Leser oft in den Bann und verführen sie, den Wertungen und Deutungen des Autors zu folgen. Diese Wirkung geht auch von Lindners Buch aus, wenn auch in eingeschränktem Maße und dies aus den dargelegten Gründen.

Autor: Axel Borsdorf

Quelle: Die Erde, 135. Jahrgang, 2004, Heft 3-4, S. 319