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Kategorie: Rezensionen

Elizabeth Ocampo u. Dean Neu: Doing Missionary Work. The World Bank and the Diffusion of Financial Practices. Halifax-Winnipeg 2008. 152 S.

Dass internationale Institutionen wie die Weltbank eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung neoliberaler Ideologien spielen, ist nicht neu. Die Kreditvergabe ist seit jeher mit Auflagen an die Schuldnerländer verbunden, die tief in ihr gesellschaftliches Leben eingreifen. Anhand von Krediten für den Aufbau des Bildungswesens in lateinamerikanischen Ländern untersuchen Verf., wie die Auflagen der Weltbank zu einer Diffusion finanzieller Praktiken aus den Zentren in die Peripherie führen.

Die dabei verwandten Mechanismen vergleichen sie mit den Vorschriften und Ritualen kirchlicher Praxen: »In the case of loans, the priests of the World Bank bring with them key practices that define economic responsibility [...]. The authenticity of these practices – accountability mechanisms, the regulated publication of reports, incentive mechanisms, performance indicators, technical assistance programs, external consultation imperatives are not to be questioned by the congregation.« (10) Die einzige Lösung für die Probleme der Nehmerländer scheint in der Übernahme der international erprobten Methoden der modernen Missionare zu liegen. Sie verändern langfristig die Art und Weise der täglichen Arbeit, des sozialen Lebens und die Vorstellungen der Menschen über ihre  Verantwortung als Mitglieder der Gesellschaft.
Diesen Prozess untersuchen Verf. in Fallstudien zu von der Weltbank geförderten Schulprojekten in Guatemala, Mexiko und ausführlich in Kolumbien. Sie zeigen, wie vom Moment der Entwicklung des Projekts, über seine Durchführung bis hin zu seiner Evaluation die Vorstellungen der Bank entscheidenden Einfluss ausüben. Eine herausragende Stellung in diesem Prozess nimmt die Vergabe von Krediten ein. Zum einen werden durch den Vergabemechanismus die Antragsteller veranlasst, ihre Projekte auf die Vorstellungen der Bank zuzuschneiden. Zum anderen erlauben die Kreditbedingungen der Bank, auch nach der Vergabe Einfluss auf die Projektgestaltung zu behalten. Die gewährte technische Unterstützung dient dazu, das Management, die Administration und Verlässlichkeit bei der Verwaltung von Ressourcen im Sinne der Weltbank zu gewährleisten und stellt selbst eine Diffusion finanzieller Praktiken dar.
Die Bildungsziele werden in Richtung auf messbare Ergebnisse verschoben und die durchgeführten Maßnahmen mit Hilfe neu eingeführter buchhalterischer Techniken evaluiert. Diese sind in zwei Hinsichten problematisch: »First the introduction of financial management systems, purchasing controls and performance indicators changed the habitus of the field, shifting the focus from a social to an economic vision of schooling. Second, the techniques did not work as intended, mainly because the local context differed drastically from the first-world context in which these techniques are usually envisioned and used.« (103) So sollte das 2000 von Weltbank und kolumbianischer Regierung initiierte »Rural Education Program« zu einem Anstieg der Schülerzahlen in 40 Gemeinden von 66 200 auf 176 000 führen. Auf der Basis eines angenommenen zusätzlichen Einkommens im Erwerbsleben von 1014 US-Dollar für jedes zusätzliche Jahr Schulbesuch ergab sich ein rechnerischer Gewinn des Projekts für das Bruttoinlandsprodukt von 108 Mio US-Dollar. Eine derartige Kalkulation ignoriert den andauernden Bürgerkrieg sowie fehlende Erwerbsmöglichkeiten und den Mangel an Infrastruktur in ländlichen Gebieten. Gleichzeitig wird Bildung so in ein ökonomisches Gut verwandelt, dessen Bereitstellung gemäß einer Kosten-Nutzen-Rechnung erfolgt (98f). Als besonders problematisch erweist sich die Verbindung von Kreditfreigabe und »performance triggers«: Neue Tranchen werden erst freigegeben, wenn die Zielstellungen früherer Phasen erfüllt sind. Im Extremfall führt das dazu, dass das Schuldnerland Zinsen für Kredite zahlt, die es nicht erhält (108).
Die Stärke der Studie liegt in der scharfen Analyse des Prozesses der Projektdurchführung und der dabei auftretenden Probleme. Ihrem Anspruch, die Diffusion finanzieller Praktiken in das alltägliche Leben aufzuzeigen, werden Verf. jedoch nicht gerecht. Die mit Weltbank- und Regierungsvertretern, Projektmanagern, Wirtschaftsprüfern, Universitätsprofessoren, Schuldirektoren und Lehrern geführten Interviews beschränken sich fast ausschließlich auf den in der Realisierung der Projekte auftretenden Wandel von Anschauungen. Fast völlig außer Acht bleiben Modifikationen der Lehrpläne, die (zu erwartende) zunehmende soziale Selektion im Bildungswesen und Veränderungen außerhalb dieses Sektors.

In der für die Erfassung der Diffusion von Praktiken relevanten Abgrenzung des Globalen und des Lokalen bedienen sich Verf. unterschiedlicher Theorieansätze, ohne ausreichende Kohärenz herzustellen. Unter Rückgriff auf Bourdieu definieren sie »lokal« und »global« als autonome institutionelle Felder im Prozess der Globalisierung, wobei das globale institutionelle Feld die übergreifenden Gemeinsamkeiten repräsentiert. Globalisierung wird mit Giddens als eine »Intensivierung der weltweiten sozialen Beziehungen« verstanden, mit Samir Amin jedoch als Kolonialismus neuen Stils gefasst (29ff). Ergiebiger ist die Analyse der Weltbank-Strategien und ihrer Resultate: Das Verständnis der Rolle der Weltbank als eines »agent of change« eröffnet die Möglichkeit, ihre Tätigkeit über die Kreditvergabe hinaus zu verstehen und die institutionellen Veränderungen, die Weltbankkredite in den Schuldnerländern induzieren, zu begreifen.
Jan Köstner

Quelle: Das Argument, 51. Jahrgang, 2009, Heft 4, S. 1000-1001