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Kategorie: Rezensionen

Wilfried Endlicher and Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe (eds.): Continents under Climate Change. Conference on the Occasion of the 200th Anniversary of the Humboldt-Universität zu Berlin. Stuttgart (Nova Acta Leopoldina NF 112) 2010. 317 pp.

Es ist kein leichtes Unterfangen, in einem so dynamischen Forschungsfeld wie der Klimatologie einen Überblick über den aktuellen Kenntnisstand zu behalten. Zu groß ist die Fülle an Fachzeitschriften, Artikeln, Projektberichten und Webseiten, die zeitnah über Forschungsaktivitäten in allen Teilen der Erde Auskunft geben. Hingegen ist das in Lehrbüchern aggregierte Wissen häufig schon zum Erscheinungsdatum veraltet. Da kommt die Idee wie gerufen, die Beiträge einer großen Konferenz textlich, graphisch und bibliographisch so auszugestalten, dass ein Gesamtwerk mit Lehrbuchcharakter und großer Aktualität resultiert. Voraussetzung ist natürlich, dass die zugrunde liegende Konferenz bedeutend genug war, um die kompetentesten Stimmen der betreffenden Wissenschaftsdisziplin einzufangen und ein objektives Gesamtbild der Thematik zu zeichnen.

 

Im Falle des hier vorliegenden Werkes ist diese Voraussetzung sicherlich erfüllt. Die gleichnamige Konferenz Continents under Climate Change fand im April 2010 im Auswärtigen Amt in Berlin statt und war wohl eine der am prominentesten besetzen Klimafachtagungen auf deutschem Boden – obwohl der isländische Vulkanismus so manchem Teilnehmer die Anreise verweigerte. Und wer diesbezüglich noch Zweifel hegt, mag sich die zahlreichen Grußworte von namhaften Wissenschaftlern und Politikern vergegenwärtigen.

Der Titel des Bandes schlägt sich auch im Aufbau nieder. Nach einem einleitenden Übersichtsartikel sind die einzelnen Beiträge nach den fünf Kontinenten und den Polarregionen geordnet, wobei jeder Großraum durch zwei bis acht Einzelbeiträge repräsentiert wird. Jeder Beitrag nimmt durchschnittlich zehn Seiten ein, ist in sich klar gegliedert, mit zahlreichen meist farbigen Graphiken untermauert und beinhaltet ein Literaturverzeichnis zur weitergehenden Vertiefung.

Der Übersichtsbeitrag stimmt auf das Problem der unterschiedlich verorteten Kippelemente des irdischen Klimasystems ein. Europa ist durch acht Artikel vertreten. Nach einem Abriss über die historische und zukünftige Perspektive der Klimaänderungen in Europa, schließt sich der Ruf nach einer effektiveren Klima- und Emissionsschutzpolitik an. Unter der Annahme einer erfolgreichen Einhaltung des sog. +2 °C-Ziel wird die Klimazukunft Europas auf Basis eines regionalen Klimamodells präsentiert, die sich allgemein etwas positiver gestaltet als unter den klassischen business as usual-Szenarien. Der nächste Artikel geht auf den Meeresspiegelanstieg und die erforderlichen Maßnahmen zum Küstenschutz ein. Nun folgen zwei Beiträge aus dem Bereich der Klimafolgenforschung, die die ökologischen bzw. medizinischen Implikationen des Klimawandels für Europa beleuchten. Die beiden zentralen Optionen der Klimapolitik – Emissionsschutz und Anpassung – sind Gegenstand der beiden letzten Beiträge zu Europa.

Die Polarregionen verdienen eine besondere Aufmerksamkeit in der Klimaänderungsforschung. Schließlich weisen sie weltweit die höchsten Erwärmungsraten auf und sind maßgeblich von der besonders sensitiven Kryosphäre geprägt, wie zwei Beiträge eindrucksvoll verdeutlichen.

Der afrikanische Kontinent ist nach Europa am stärksten vertreten im hier rezensierten Band. Dabei tastet sich der erste Artikel über den Mittelmeerraum als sog. Hot Spot des globalen Klimawandels nach Afrika vor. Anschließend werden die Signale der Solarvariabilität als Indikator natürlicher, also nicht anthropogener, Klimabeeinflussung im südlichen Afrika aufgedeckt. Schwankungen der klimatischen Randbedingungen haben vor allem in Nordafrika schon immer zu Konflikten um Land und Zugang zu Ressourcen geführt. Umso wichtiger ist es, die regionale Dimension des zukünftigen Klimawandels zuverlässig zu antizipieren. Zwei Artikel berichten über die Erfahrungen aus großen interdisziplinären Projekten: BIOTA für Südafrika und IMPETUS für Westafrika. Mit einem Beitrag zu effizienten Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel in Afrika und Asien wird bereits der Brückenschlag zum nächsten Großraum der Erde eingeleitet.

Der Anpassungsaspekt wird auch vom ersten Artikel zu Asien aufgegriffen, insbesondere unter dem Stichwort der Nachhaltigkeit und der internationalen Zusammenarbeit. Im Zusammenhang mit dem Klimawandel in Asien drängen sich vor allem zwei Themen auf, die jeweils in einem Beitrag Berücksichtigung finden: zum einen die Klimaänderungen in Indien mit ihren Auswirkungen auf die Landwirtschaft und Ernährungssituation, zum anderen die Bedrohung der Inselstaaten im Pazifik und Indik durch den Meeresspiegelanstieg.

Projektionen regionaler Klimamodelle über Südamerika leiten die Betrachtungen zur Neuen Welt ein. Der Klimawandel wird nicht zuletzt die Millionenstädte Südamerikas treffen – Grund genug, den urbanen Anpassungsstrategien auf den Zahn zu fühlen. Auch der folgende Beitrag befasst sich mit der Klimapolitik speziell in Brasilien. Nordamerika ist schließlich mit einem Artikel zum Permafrost in den Rocky Mountains vertreten, der einen aussagekräftigen Indikator für vergangene Klimaschwankungen darstellt.

Der Band wird abgeschlossen durch zwei Beiträge zu Australien. Der erste bringt die Ausprägungen des Klimawandels im sonst wenig beachteten Downunder näher. Im zweiten Beitrag wird das Potenzial der Fernerkundung als Instrument des Klima-Monitorings im relativ dünn besiedelten Australien dargelegt.

Auf über 300 Seiten erfährt der Leser folglich so einiges über die regionalen Ausprägungen und Implikationen des weltweiten Klimawandels. Natürlich wird die Breite der angesprochenen Themen limitiert durch das Spektrum der zugrunde liegenden Konferenzbeiträge. Im vorliegenden Fall wird dennoch ein umfassender Querschnitt über zentrale Forschungsaktivitäten in den Bereichen Klimaänderungsforschung, Klimafolgenforschung und Mitigationsforschung präsentiert. Die einzelnen Beiträge vermitteln sowohl Übersichtlichkeit als auch so manche Einblicke in Detailfragen und Methoden. Die Autorenschaft wird zwar maßgeblich von deutschen Kolleginnen und Kollegen dominiert, aber diese sind auch häufig führend in ihren Forschungsfeldern.

Und schließlich gehört der hier diskutierte Band schon deshalb in jedes Literaturregal Lehrender und Lernender, weil für nicht einmal dreißig Euro so viele hochwertige Graphiken und aktuelle Bibliographien enthalten sind.
Heiko Paeth

Quelle: Erdkunde, 66. Jahrgang, 2012, Heft 3, S. 273-274