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Kategorie: Rezensionen

Günter Ropohl: Allgemeine Systemtheorie: Einführung in transdisziplinäres Denken. Berlin 2012. Edition sigma. 246 S.

Ropohl, dessen Systemtheorie der Technik bereits in der 3. Auflage erschienen ist, legt nun eine verständliche, als Lehrbuch gestaltete Einführung in die Allgemeine Systemtheorie vor. Sowohl der Untertitel als auch die Gliederung weisen eine auch für Geowissenschaftler interessante Spannweite auf; soziologische (Kap. 4) und ökologische Systemmodelle (Kap. 5) werden auf 33 bzw. 13 Seiten gesondert behandelt.

Die Einführung geht neben einem historischen Abriss und einer Würdigung der Quellen der Systemtheorie (Wiener, Küpfmüller, Bertalanffy) auf eine Vielzahl von Systemansätzen (Maturana und Varela, Prigogine, Gleick, Haken, Forrester, Luhmann) ein, die kritisch analysiert werden. Vor diesem Hintergrund werden die Grundzüge der Allgemeinen Systemtheorie erläutert. Neben Modell und Modellumgebung stehen dabei Funktion, Struktur und Hierarchie im Mittelpunkt. Ihre mathematisch formalisierten Charakteristika unterstützen den Leser auch ohne diesbezügliche Vorkenntnisse. Die allgemeinen Definitionen und Grundgesetze charakterisieren die Allgemeine Systemtheorie als eine „Präzisierung der Dialektik“ (S. 216).

Als Übergang zu speziellen Systemansätzen werden neben ihrer Klassifikation auch die Graphen-, Automaten-, Regelungs-, Informations-, Spiel- und morphologische Typentheorie berührt, wobei hier auf die rückgekoppelten Systeme (S. 103ff.) besonders hingewiesen sei; die Unterschiede von positiver und negativer Rückkopplung werden erläutert. Die speziellen Systemansätze soziologischer (S. 133ff.) und ökologischer Systemmodelle (S. 167ff.) liefern bemerkens- und überdenkenswerte Anmerkungen für eine – auch geowissenschaftlich orientierte – systemtheoretische Betrachtungsweise, zumal „[…] die Wurzeln des Systemdenkens vielfältig sind, doch zwanglos in der Allgemeinen Systemtheorie gebündelt werden können,“ (S. 168).

Nachdem sich Ropohl ausführlich mit der „Systemrhetorik“ Luhmanns auseinandergesetzt hat, in der er die funktionalen, strukturalen und hierarchischen Ansätze der Allgemeinen Systemtheorie vermisst, skizziert er ein diesen Aspekten gerecht werdendes Systemmodell der Gesellschaft. Er lässt sich dabei von dem Grundgedanken leiten, dass Gesellschaft nicht ausschließlich als soziales System, sondern als soziotechnisches System zu begreifen sei; Technik ist integraler Bestandteil der Gesellschaft (S. 146). Im hier vorweg genommenen Kapitel 6.4, das sich mit transdisziplinärer Anthropologie beschäftigt, stellt der Autor einen größeren, aus geowissenschaftlicher Sicht wohltuend relativierenden Zusammenhang her. Er positioniert das bio-psycho-soziale System des Menschen (S. 207) in die Wechselwirkung von sowohl natürlichem System als auch sozialem System, die von technischen Sachsystemen beeinflusst wird und darauf aufbauende soziotechnische Handlungssysteme ermöglicht. Obwohl Ropohl keine systematische Theorie der Gesellschaft darstellen will, liefern die detaillierten Gedankengänge viele Korrektiva disziplinärer Ansichten, deren inter- und transdisziplinäre Konsequenzen zu überdenken sind.

Wie auch die soziologischen können die ökologischen Systemmodelle (Pflanze, Tier, Population, Zönose) dadurch gekennzeichnet werden, dass die Abgrenzung des Systems von seiner Umgebung vom jeweiligen Untersuchungszweck abhängt. Eine nicht selten anzutreffende Identifizierung des Modells realer Ganzheiten mit der realen Wirklichkeit führt zu konträren Vorstellungen, die sich häufig in einer unscharfen Terminologie widerspiegelt. Auch wenn die Ökologie als transdisziplinäres Erkenntnisprogramm gewürdigt wird (S. 219), erfordern disziplinäre Spezifika – aus der Sicht des Rezensenten in den Geowissenschaften beispielsweise das Verhältnis co-evolvierender und co-respondierender Systeme – stets neu zu erbringende Syntheseleistungen, um einen mit anderen Wissenschaftsdisziplinen nicht nur kompatiblen, sondern einen insgesamt transdisziplinären Wissenszuwachs zu ermöglichen.
Um die transdisziplinäre Potenz der Systemtheorie nutzen zu können, empfiehlt Ropohl zusammenfassend (S. 217) „[…] für die Herstellung von Wissenschaftssynthesen eine Systemtheorie, die ohne die ontologischen Ganzheitsmythen früherer Systemdenker auskommt und sich als konsequente Modelltheorie versteht“, wobei „[…] transdisziplinäre Wissenssynthesen einem Paradigma […] verpflichtet sind, das sich von fachdisziplinären Paradigmen radikal unterscheidet.“ Die Möglichkeiten dieses Paradigmenwechsels erschließen sich nicht in einer Diskussion des erkenntnistheoretischen Rahmens, sondern erfordern eine modellorientierte Analyse und Synthese disziplinärer Sachthemen. Dabei will der Rezensent mit Schmetterer (1978) daran erinnern: „Die allgemeine Systemtheorie ist eben nicht nur eine Wissenschaft, sie ist auch eine Kunst“, wobei die „[...] Kunst der Modellkonstruktion [...] im Erkennen der ‚wesentlichen‘ Faktoren [...]“ kulminiert.

Das Buch schließt mit einem aussagefähigen Literaturverzeichnis (9 Seiten), einem systemtheoretisch präzisierenden Glossar (5 Seiten), einem Bilder- und Tabellenverzeichnis sowie einem Personen- und Sachregister.

Auch wenn der Fach(!)-Wissenschaftler nicht jedem der vereinfachenden Generalisierung geschuldeten Details kritiklos zustimmen wird, ist es als ein informatives und didaktisch hervorragend gestaltetes Buch dem Studium der forschenden, lehrenden und lernenden Geographen uneingeschränkt zu empfehlen, um die Allgemeine Systemtheorie nicht nur verstehen, sondern ihre Potenzen für ein transdisziplinäres Denken auch nutzen zu können.

Klaus D. Aurada

 

Quelle: Erdkunde, 67. Jahrgang, 2013, Heft 1, S. 95-96

 

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