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Kategorie: Rezensionen

Institut für Kulturgeographie, Stadt- und Regionalforschung (KSR) (Hg.): Regionalatlas Rhein-Main. Natur - Gesellschaft - Wirtschaft. Frankfurt/M. 2000 (Rhein-Mainische Forschung, Heft 120; Veröffentlichungen der Gesellschaft für regionalwissenschaftliche Forschung Rhein-Main, Heft 15) 108 S.

Der Regionalatlas Rhein-Main. Natur - Gesellschaft - Wirtschaft versteht sich als Nachfolger des ersten deutschen Regionalatlasses, des Rhein-Mainischen Atlas für Wirtschaft, Verwaltung und Unterricht, der 1929 von Walter Behrmann und Otto Maull ebenfalls im Rahmen der Rhein-Mainischen Forschung herausgegeben wurde. Der vorliegende Atlas will ähnlich wie sein Vorgänger "einen Überblick über die regionale Struktur des Rhein-Main-Gebiets ... verschaffen, Politik, Wirtschaft und Verwaltung Grundlagendaten in regionalisierter Form für ihre Entscheidungen an die Hand ... geben und den im Rhein-Main- Gebiet lebenden Menschen die regionalen Strukturen ihres Lebensraumes näher ... bringen." (S. 1)
Bei der Definition des Rhein-Main-Gebietes haben sich die Herausgeber an der administrativen Gliederung (Landkreise und Kreisfreie Städte) der Industrie- und Handelskammern orientiert. Die Region umfasst daher den südhessischen Regierungsbezirk Darmstadt sowie den Landkreis Limburg-Weilburg (Regierungsbezirk Gießen) und die angrenzenden Landkreise der Bundesländer Rheinland-Pfalz und Bayern.
Der Regionalatlas Rhein-Main gliedert sich in die folgenden acht Kapitel:
1. Überblick und administrative Gliederungen
2. Gebiet und Fläche
3. Bevölkerung
4. Bildung und Soziales
5. Bauen und Wohnen
6. Wirtschaft
7. Geld, Finanzen, Steuern
8. Technische Infrastruktur und Verkehr
sowie einen Anhang, der Quellen, Literatur und ein Verzeichnis der Reihe Rhein-Mainische Forschungen enthält.
Die acht Kapitel haben einen Umfang von 94 Seiten, die insgesamt 170 Karten mit Erläuterungstexten enthalten. Umfangreichstes Kapitel stellt dabei das Kapitel 6 Wirtschaft mit 45 Karten, kürzestes das Kapitel 2 Gebiet und Fläche mit sechs Karten dar. Mit Ausnahme einer Kartenreihe (Zahl der registrierten Internetbenutzer 1998-2000, Kapitel 4 Bildung und Soziales, S. 55) werden alle Karten durch einen Begleittext erläutert. Der Umfang dieser Texte liegt bei der Mehrzahl der Karten bei ca. 1/3 Seite. In Kapitel 1 Überblick und administrative Gliederungen und Kapitel 3 Bevölkerung sind insgesamt fünf Nachdrucke der Karten aus dem Vorgängeratlas von 1929 aufgenommen, die jeweils der heutigen Situation gegenübergestellt sind.
Die Gliederung des Atlasses entspricht grob der von Werner Witt für komplexe thematische Atlanten vorgeschlagenen Gliederung (vgl. Witt 1970, S. 931 ff.). Einzig das Kapitel 8 Technische Infrastruktur und Verkehr lässt sich nicht klar einordnen.
Das Untersuchungsgebiet wird im Hauptmaßstab 1:750 000 (41 Karten) und im Maßstab 1:1,5 Mio. (101 Karten) dargestellt. Außerdem sind in dem Atlas Karten in den Maßstäben 1:2 Mio., 1:4,5 Mio., 1:20 Mio., 1:30 Mio., 1:145 Mio. enthalten.
Bezüglich ihrer Aussagekraft können die Karten des Regionalatlasses in analytische (146 Karten) und komplexe Karten (24 Karten) unterteilt werden. Synthetischen Karten sind nicht enthalten. Die größte Anzahl komplexer Karten pro Kapitel ist im Kapitel 6 Wirtschaft (5 Karten) zu finden. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Karten (133 Karten), vor allem in Kapitel 3 Bevölkerung und Kapitel 6 Wirtschaft, handelt es sich um Dichtemosaiken, teilweise in Kombination mit Orts- und Gebietsdiagrammen. Außerdem wurden weitere Darstellungsmethoden wie Netze linearer Elemente, Streuung von Wertpunkten und Wertsignaturen etc. zur Visualisierung des thematischen Inhalts gewählt.
Für das Untersuchungsgebiet Rhein-Main gibt es, trotz der vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht großen Bedeutung der Region in Deutschland, keine dem vorliegenden Regionalatlas vergleichbare "differenzierte Darstellung der natürlichen, ökonomischen und gesellschaftlichen Strukturen in ihren regionalen Bezügen." (S. 1) Vor allem die Zusammenführung der thematischen Daten aus drei Bundesländern, z. T. mit unterschiedlichen Erfassungszeitpunkten und -grundlagen, ist eine bemerkenswerte Leistung.
Betrachtet man den Atlas allerdings aus kartographischer Sicht, lässt sich dieses positive Urteil nicht aufrechterhalten. Neben verschiedenen kartographisch unbefriedigenden Darstellungen (z. B. die fehlende Generalisierung der Grundkarte) fällt vor allem eine nach den Regeln der kartographischen Gestaltung falsche Darstellungsart, nämlich die flächenhafte Darstellung absoluter Werte, auf. Beispielhaft für mehrere solcher Karten sei die Karte Bevölkerungstand 1998 im Kapitel 3 Bevölkerung (S. 32) genannt. In dieser Karte wird die absolute Zahl der Einwohner pro verbandsfreier bzw. Verbandsgemeinde flächenhaft dargestellt. Solche Karten, sog. quantitative Flächenstufenkarten oder Dichtemosaiken, dienen aber der Darstellung von Verhältniswerten, also der Darstellung relativer Werte. Diese Verhältniswerte werden für Gebietseinheiten als Quotienten aus zwei absoluten Zahlen, wobei der Nenner nicht unbedingt eine Fläche sein muss, ermittelt. Absolute Werte wie im Beispiel die Einwohnerzahl der einzelnen Gemeinden können nur durch diagrammartige Kartenzeichen, nach Größe oder Größenordnungen in ihrer räumlichen Lage in der Karte platziert, visualisiert werden. Bei anderen Karten wurde ein ungünstiger Signaturenmaßstab gewählt, der die Lesbarkeit stark einschränkt. So wurde z. B. zur Darstellung des thematischen Inhaltes der Karte Beschäftigte nach Betriebsgrößenklassen 1987 im Kapitel 6 Wirtschaft, S. 77) ein so großer Signaturenmaßstab der Kreisdiagramme gewählt, dass eine Zuordnung zu den einzelnen Arbeitsamtsdienststellenbezirken der Region selbst bei Verwendung der dem Atlas beigefügten Transparentfolie, die die administrative Gliederung zeigt, großenteils nicht mehr eindeutig möglich ist. Gerade diese Karte macht deutlich, dass die Visualisierung thematischer Inhalte für Verdichtungsräume wie das Rhein-Main-Gebiet oft schwierig umzusetzen ist. Solche kartographisch unbefriedigenden Lösungen sind sicherlich in manchen Fällen nicht zu vermeiden; im Regionalatlas Rhein-Main allerdings finden sich bei genauerem Hinsehen mehrere solcher und anderer unangemessener und z. T. falscher Darstellungen des thematischen Inhalts. Dies ist um so bedauerlicher als die redaktionelle Arbeit, die dem Atlas zugrunde liegt, auf diese Art nicht angemessen wiedergegeben wird.
Literatur
Witt, Werner 1970: Thematische Kartographie. Methoden und Probleme, Tendenzen und Aufgaben. 2. Auflage. Hannover.
Autorin: Julia Siemer

Quelle: geographische revue, 4. Jahrgang, 2002, Heft 2, S. 78-80