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Kategorie: Rezensionen

Elmar Kulke: Wirtschaftsgeographie. Paderborn 2004. 288 S.

Dieses Lehrbuch, das sich vor allem an Studienanfänger richtet und sich als eine umfassende Einführung in die Wirtschaftsgeographie versteht, trifft auf einen Markt, der mit Werken vergleichbarer Thematik und Intention schon recht gut bestückt ist.

Von den bereits seit längerem eingeführten und im Fach etablierten Lehrbüchern in deutscher Sprache unterscheidet sich der vorliegende Band aber insbesondere durch seinen ausgeprägt propädeutischen Charakter sowie die stärkere (und lobenswerte) Berücksichtigung des Dienstleistungssektors. Auch die wirtschaftliche Globalisierung und Aspekte der Entwicklungszusammenarbeit sowie der Entwicklungsindikatoren werden umfassender als bisher behandelt.
Wo andere Lehrbücher sich explizit darum bemühen, bestimmte Grundauffassungen der Wirtschaftsgeographie zu transportieren (z.B. SCHÄTZL die Raumwirtschaftslehre, BATHELT u. GLÜCKLER eine relationale Auffassung Wirtschaftsgeographie oder SCHAMP für den Bereich der Industriegeographie einen institutionellen Ansatz), verfolgt ELMAR KULKE eine neutralere, in pragmatischer Weise verschiedene Grundansätze gleichermaßen berücksichtigende und anerkennende Konzeption. Dies ist zunächst sicher sympathisch, gerade auch im Hinblick auf die angepeilte Leserschaft und die Verwendung des Buches in einführenden Lehrveranstaltungen. So werden sowohl die traditionellen neoklassischen Standorttheorien wohlwollend gewürdigt als auch neuere Ansätze wie die Regulationstheorie, milieubezogene Konzepte, Branchen-Cluster oder Global Commodity Chains erläutert. Auf den zweiten Blick zeigt sich dann aber doch, dass der Versuch einer weitgehend paradigmenneutralen Darstellung schwierig ist. Am Ende wird dem Leser eben doch nicht die Wirtschaftsgeographie, sondern eine im Kern verschlankte und an den Rändern etwas erweiterte Raumwirtschaftslehre präsentiert. Das Buch geht dabei auf viele wirtschaftsgeographische und sowie wirtschafts- und regionalpolitische Einzelkonzepte ein, die in den letzten Jahrzehnten im Fach Bedeutung erlangt haben. Dies ist sicher viel wert, zumal die Zusammenhänge anschaulich dargelegt werden und der Text durch viele nützliche Abbildungen ergänzt wird. Aber aufgrund des mit 265 Textseiten doch recht knappen Raumes bleiben die Ausführungen oft deskriptiv und im Hinblick auf die paradigmatische Basis bestimmter Vorstellungen nicht immer überzeugend. So ist für den Rezensenten zum Beispiel unverständlich, wie HUNTINGTONs These vom clash of civilizations nach den intensiven Diskussionen der letzten Jahre inner- und außerhalb des Faches recht unkritisch unter der Überschrift "Gesellschaftliche/soziale Indikatoren" (räumlicher Disparitäten) behandelt wird. Alle Kapitel und auch das gesamte Buch enden ohne zusammenfassende und weiterführende Bewertung oder gar einen Ausblick. Sicher sind nicht alle Aspekte der derzeit recht lebhaften Diskussion um neue Leitthemen und Konzepte der Wirtschaftsgeographie dem avisierten Leserkreis in einfachen Worten vermittelbar. Aber dass diese in einem neuen Lehrbuch einen so geringen Niederschlag finden, ist doch bedauerlich.
Insgesamt ist das Buch verständlich und mit viel Routine geschrieben. Viele der graphisch ansprechenden und didaktisch gelungen aufbereiteten Materialien sind in der Lehre gut zu verwenden. Als nützlich für die Arbeit erweist sich auch das differenzierte Sachregister. Letztendlich bleibt aber dennoch fraglich, ob die Lektüre dem Leser die zeitgenössische Wirtschaftsgeographie und die sie prägenden Diskurse wirklich nahe bringen kann. Seine Stärken hat das Buch eher als propädeutische, raumorientierte Wirtschaftskunde. So werden viele Begriffe und Themenfelder eingehend erläutert, die andere Lehrbücher zu häufig als bekannt voraussetzen. Das Buch ist deshalb wohl insbesondere für Studierende hilfreich, welche die Wirtschaftsgeographie nur als ein Teilgebiet unter vielen im Rahmen eines breit angelegten (BA-)Studiums interessiert. Studierende mit spezifisch wirtschaftsgeographischen oder stärker theoretischen Interessen werden dagegen schnell zu anderen Büchern greifen (müssen).
Autor: Boris Braun

Quelle: Erdkunde, 60. Jahrgang, 2006, Heft 2, S. 195