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Kategorie: Rezensionen

Michaela Paal: Metropolen im Wettbewerb. Tertiärisierung und Dienstleistungsspezialisierung in europäischen Agglomerationen. Münster 2005 (Forschungsbeiträge zur Stadt- und Regionalgeographie 1). 183 S.

Die Metropolendiskussion ist en vogue - sowohl in einigen Wissenschaften (quasi selbstverständlich in der Stadtgeographie, nicht ganz so selbstverständlich in Teilen der Regionalwissenschaften) als auch in einigen Bereichen der Politik, wie das mit der Aussicht auf Fördermittel attraktiv gewordene Label "Metropolregion" in Deutschland zeigt. Da es zugleich trotz jahrzehntelanger Forschung noch immer beträchtliche Empiriedefizite in der Metropolenforschung gibt, wie die Verfasserin, Inhaberin des Lehrstuhls für Stadtgeographie/Raumplanung an der Universität Marburg, richtig bemerkt, kommt dieser Band im Prinzip zur rechten Zeit. Kann er halten, was sein Titel verspricht?

Die selbst gesetzten Ziele versprechen eine Feststellung des "Ausmaßes der Tertiärisierung im europäischen Städtesystem", einen "empirischen Nachweis von Spezialisierungstendenzen europäischer Metropolen" sowie die "Überprüfung der Existenz einer einheitlichen europäischen Städtehierarchie". Insbesondere strebt die Verfasserin aber die "Erarbeitung einer empirisch belegten Theorie von Dienstleistungsspezialisierungen europäischer Agglomerationsräume" an (S. 17). Letztgenanntes Ziel ist anspruchsvoll und wird weit verfehlt. Die erstgenannten Ziele sind weniger ehrgeizig und werden partiell erreicht. Die Resultate in diesem empirischen Teil der Arbeit sind weitgehend überraschungsfrei: Tertiärisierung ist der dominante Prozess in europäischen Metropolen der letzten Dekaden. Ähnliches gilt für Spezialisierungstendenzen. Es ist das Verdienst der Verfasserin, dies flächendeckend für 148 europäische "Agglomerationen" mit mindestens 200.000 Ew. gezeigt zu haben, wobei sie sehr darum bemüht war, vergleichbare Raumeinheiten zu verwenden. Die Erkenntnis, dass Tertiärisierungs- wie auch Spezialisierungstendenzen nicht alle Metropolen in gleichem Umfang erfasst haben, ist nicht neu: "the world is not flat, but spiky" in den Worten Richard Floridas. Dies wird auch in Zeiten von Internetdominanz und Dienstleistungseuphorie so bleiben.
Methodisch hätte das Thema ein anspruchsvolleres Design verdient gehabt. Zwar ist es sehr zu begrüßen, dass die Arbeit das Forschunsgdefizit in der (deutschsprachigen!) Stadtgeographie bzgl. quantitativer Daten und Verfahren verringern möchte. Etwas mehr als die Berechnung von "Lokationsquotienten" und die ausschließliche Verwendung von Verfahren der deskriptiven Statistik wäre aber schon möglich gewesen. Die elf bunten Karten im Mittelteil des etwa 150 Seiten umfassenden Bandes sind so gesehen charakteristisch: Sie beschreiben Dienstleistungskonzentration und -spezialisierung, erklären aber wenig. Die Beschreibung ist wichtig und notwendig, sagt aber nichts etwa über die "Metropolen im Wettbewerb" aus, so immerhin der Titel der Arbeit.
Leider nimmt die Verfasserin keinen Bezug auf aktuelle Tendenzen wie der Re-Urbanisierung mancher Agglomerationen, gefördert partiell durch die Reattraktivierung der Innenstädte für Wohnen und/oder Arbeiten. Die Karten sind für die Arbeit offenbar wichtig, umso ärgerlicher ist es, dass dort sachlogisch wenig sinnvoll Dienstleistungsbranchen (z.B. Transport- mit Telekommunikationsdienstleistungen) zusammengefasst werden, die getrennt dargestellt werden sollten.
Die Lektüre des Erstlingsbandes der von der Verfasserin herausgegebenen Reihe "Forschungsbeiträge zur Stadt- und Regionalgeographie" hinterlässt beim Berichterstatter einen zwiespältigen Eindruck ob der Notwendigkeit dieser neuen Reihe: So wichtig das Thema des vorgelegten Bandes sein mag, so unsicher scheint die Tragfähigkeit des Reihentitels. Es ist noch nicht lange her, dass in der deutschen Geographie die "stop the flood-Debatte" tobte, in der zurecht die große Zahl an kaum verbreiteten (jedenfalls nicht verkauften), zumal deutschsprachigen Monographie-Reihen kritisiert wurde nach dem Motto "jedem Geographie-Professor seine eigene Reihe". Die Debatte scheint vorbei, die Flut dagegen nicht: Die vor wenigen Monaten veröffentlichte letzte Buchbesprechung des Berichterstatters behandelte den zweiten Band einer ebenfalls jungfräulichen Reihe mit dem verblüffend ähnlichen Titel "Stadt- und Regionalwissenschaften" - aus demselben Verlag!   
Autor: Rolf Sternberg

Quelle: Erdkunde, 61. Jahrgang, 2007, Heft 1, S. 122-123