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Kategorie: Rezensionen

Hartmut Rosa: Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne. Frankfurt am Main 2005 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1760). 537 S.

Ausgangspunkt dieses Buchs ist das Paradoxon von gleichzeitiger Zeitmaximierung und -knappheit, das sich in der modernen Gesellschaft immer weiter zu verbreiten scheint. Der Autor nimmt es zum Anlass, eine Sozialtheorie der Beschleunigung zu entwerfen. Das Werk, das aus seiner an der Universität Jena vorgelegten Habilitationsschrift im Fach Soziologie hervorging, postuliert eine befreiende Wirkung der Beschleunigung im Zuge des technischen Fortschritts, die unter spätmodernen Bedingungen zunehmend in ihr Gegenteil umzuschlagen droht.

Das Buch ist in vier Teile gegliedert, die sich mit der theoretischen, phänomenologischen und konzeptionellen Durchdringung der Beschleunigung befassen bzw. deren Konsequenzen darstellen. Im letzten Teil geht es um nichts Geringeres als eine Neubestimmung der Moderne zwischen Erstarrung und Beschleunigung. Der Vielschichtigkeit des Gegenstandes entsprechend geht es dabei sowohl um technologische, soziokulturelle und ökonomische Dimensionen, die sehr systematisch auf ihre Rolle im gesellschaftlichen Akzelerationszirkel durchgearbeitet werden.
Hartmut Rosas Entwurf ist insgesamt überzeugend und lässt sich auch aus der Perspektive der Geographie mit Gewinn lesen. Er wirft aber durchaus auch kritische Fragen auf. So folgt auch Rosa der These, dass die traditionelle Einheit von Raum und Zeit aufgelöst sei und Zeit gegenüber Raum de facto an Bedeutung gewinne: "Es gibt kein der Beschleunigung analoges, eigenständiges räumliches Veränderungsmoment der Moderne; der Wandel der spatiotemporalen Strukturen wird primär durch ihre temporale Veränderungsdynamik angetrieben" (62). Über diese Annahme lässt sich streiten, auch wenn man sich nicht einer trivialen Verteidigung der Geographie verdächtig machen will. Die Restrukturierung der Zeit kann wohl nicht von der Tatsache, von den Spezifika und den Interdependenzen des Raums/mit dem Raum getrennt werden, und eine neue Zeitgeographie lässt sich wohl (nur) dann sinnvoll begründen, wenn sie eingebettet ist in den größeren Kontext einer neuen Raum- Zeit-Forschung bzw. Raum-Zeit-Politik.
Zweiter Einwand: So sehr man Rosas kritische Bewertung der Beschleunigung im Grunde teilen muss, nicht zuletzt weil sie im Gegensatz zu manch modischer Zeitkritik sorgfältig und fundiert begründet wird, so gerät sein Urteil über zeitpolitische Gestaltungsoptionen vielleicht doch etwas zu pessimistisch. Eine Politik der Entschleunigung oder Re-Synchronisierung muss womöglich noch nicht gleich auf einen Ausstieg aus der Moderne hinauslaufen. Vielleicht setzt dieses Problem einen größeren, seiner umfassenden Analyse entsprechenden konzeptionellen Akt voraus. Unabhängig davon ist das Buch all denjenigen, die an Zeit und Raumfragen interessiert sind, sehr zu empfehlen - nicht zuletzt weil es dem Autor gelingt, eine "große Erzählung" dicht und detailreich fundiert ins Werk zu setzen.
Autor: Markus Hesse

Quelle: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie Jg. 51 (2007) Heft 2, S. 141-142