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Kategorie: Rezensionen

Christop Butterwegge u. Gudrun Hentges (Hg.): Zuwanderung im Zeichen der Globalisierung. Migrations-, Integrations- und Minderheitenpolitik. 2. akt. u. überarb. Aufl.Opladen 2003. 282 S.

Ein Widerspruch prägt die Globalisierung: Die internationale Mobilität von Waren und Kapital wird begrüßt, die von Menschen hingegen beschränkt oder verhindert. Obwohl Migration eine Schlüsselrolle bei der Globalisierung spielt, wird sie in den Debatten über Globalisierung bisher kaum berücksichtigt. Diese Lücke wollen Verf. schließen und dazu beitragen, "die jüngsten Veränderungen der migrationspolitischen Agenda aufzugreifen, sie zu reflektieren und kritisch zu analysieren" (8).

Die 13 Beiträge sind in drei thematischen Kapiteln angeordnet. Das erste führt in den Zusammenhang von Migration und Globalisierung ein. Johan Galtung entwickelt Hypothesen und Modelle für künftige Wanderungsbewegungen - allerdings ist die Aussagekraft seiner Prognose für die "nächsten 500 Jahre" (20) zweifelhaft, denn sie setzt die Stabilität der Faktoren voraus, anhand derer sie entwickelt wurde. Auch kann er nicht plausibel begründen, warum er, obwohl sich bei Migrationsbewegungen die Hautfarbe als "zu vernachlässigender Faktor erwiesen hat" (17), dennoch eine Graphik über die "›rassische‹ Zusammensetzung der Weltbevölkerung" (18) entwickelt, in deren Beschreibung die Ethnien umstandslos und ohne Anführungsstriche als "Schwarze", "Rote" etc. bezeichnet werden. Unvermittelt bleibt seine abschließende Ankündigung möglicher weiterer Verbrechen als Reaktion auf die Migration: "Massenhafte Migration, massive Entwicklung oder massenhafte Tötungen" (21). Butterwegge untersucht das Verhältnis von Zuwanderung und Wohlfahrtsstaat. Die ökonomische Konkurrenz im Rahmen der neoliberalen "Standortsicherung" führe zu einer Instrumentalisierung der kulturellen Differenz "als Ab- bzw. Ausgrenzungskriterium gegenüber Mitbewerber(inne)n um wohlfahrtsstaatliche Leistungen" (75). Neben den althergebrachten völkischen Nationalismus trete der "Standortnationalismus", der "die traditionelle ›Sorge um das deutsche Vaterland‹ auf den Fetisch ›internationale Wettbewerbsfähigkeit‹" bezieht und "die Verteidigung des ›eigenen‹, als substanziell bedroht dargestellten Wirtschaftsstandortes im Rahmen einer ›Globalisierung der Märkte‹ zum Fixpunkt politischen Handelns" macht (78). Gegenstand des zweiten Kapitels ist der "politische Umgang mit Flucht, Migration und Minderheiten in Europa und den USA" (109). In ihrer Betrachtung der Volksgruppenpolitik in Österreich vergleicht Hentges den individualrechtlichen Minderheiten- mit dem kollektivrechtlichen Volksgruppenschutz. Während der Minderheitenschutz mit einem republikanischen Staatsverständnis korrespondiere, entspreche dem Volksgruppenschutz ein völkisches. In Österreich würden einer kleinen Zahl anerkannter "Volksgruppen" Minderheitenrechte zugestanden, während der Mehrheit der Migranten elementare Bürgerrechte versagt blieben. "Die Rückbesinnung auf die eigenen (vermeintlichen) Wurzeln und die österreichische Identität", die sich in Bestrebungen zum Erhalt traditioneller Minderheiten ausdrücke, diene "als Antwort auf die Herausforderung der Globalisierung, die vermeintliche Gewissheiten in Frage stellt" (150). Im dritten Teil werden die Frage der Integration und Perspektiven einer multikulturellen Demokratie untersucht. Anhand der von Hentges vorgenommenen Unterscheidung zwischen Republik und Nation postuliert Dieter Oberndörfer, der Nationalstaat müsse "dort überwunden werden, wo er entstand" (212); er offenbart jedoch eine eurozentrische Perspektive, die sich weder durch die von diesem Ereignis ausgehende "politische Symbolwirkung" (211), noch durch sein normatives Ziel, die Schaffung einer "offenen europäischen Republik" (212), rechtfertigen lässt. Mark Terkessidis untersucht die argumentativen Verschiebungen vom rassistischen zum neorassistischen Diskurs und entlarvt dabei Ethnopluralismus wie Multikulturalismus als Spielarten des letzteren. Wie auch Erol Yildiz diagnostiziert er eine durch die postmoderne Gesellschaft "strukturell erzeugte Multikulturalität" (240, vgl. 257). Während aber bei Terkessidis die vielfältigen Lebensstile nur konsumierbar sein müssen, um nicht als "Fundamentalismus" gebrandmarkt zu werden, avanciert die Diversifizierung der Lebenswelten bei Yildiz gar zum Indiz einer "kulturellen Demokratisierung" (263). Doch dass diese, wie er annimmt, auch zu politischer Demokratisierung führt, darf wohl bezweifelt werden: Statt Ausdruck von Gleichheit und Integration zu sein, kann eine Pluralität der "nebeneinander existierenden Sub- und Partialkulturen" (258) auch zu Hierarchisierung und Exklusion führen. - Das Buch eignet sich als Einstieg in eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema, aber auch zur Hintergrundinformation für Menschen, die beruflich in Kontakt mit Migranten kommen.
Autorin: Julia Hörath

Quelle: Das Argument, 46. Jahrgang, 2004, S. 145-146