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Kategorie: Rezensionen

Pascal Goeke: Transnationale Migrationen. Post-jugoslawische Biografien in der Weltgesellschaft. Bielefeld 2007. 389 S.

Pascal Goeke befasst sich mit transnationalen Migrationen als begriffliches und theoretisches Konzept sowie als empirische Realität. Er greift damit eine Sichtweise auf, die in den vergangenen Jahren Karriere gemacht hat. Transnationale Wanderungen folgen – so die Annahme – nicht mehr der traditionellen Form der internationalen Migration, die durch eine eindeutige und langfristige Verlagerung des Wohnstandortes gekennzeichnet ist, sondern sie bilden ein komplexes Muster des Kommens und des Wiederzurückkehrens sowie des Aufrechterhaltens von Interaktionen mit dem alten und neuen Heimatland, wobei unklar ist, was das alte und neue Heimatland ist. Klare konzeptionelle Zuordnungen verschwinden und damit werden auch gebräuchliche Vorstellungen beispielsweise von der Integration von Zugewanderten obsolet.

Im Mittelpunkt der Arbeit von Pascal Goeke stehen problemzentrierte Interviews mit 23 Personen, die in der einen oder anderen Form als transnationale Migranten mit einem postjugoslawischen Hintergrund zu bezeichnen sind. Es handelt sich dabei um Angehörige der Zweiten Generation „klassischer“ Gastarbeiter, um Personen, die im Zuge des Krieges in Kroatien und Bosnien-Herzegowina nach Deutschland gekommen sind, aber auch um Rückkehrer, die am Ende ihres Berufslebens wieder stärker den Kontakt mit der „alten“ Heimat suchen. Goeke zeigt sehr anschaulich, wie vielfältig die Motive und die realen Ausprägungen des Dableibens, des Gehens und des Wiederkommens sind. Zu Recht moniert er den „catch-all“-Charakter des Begriffs „transnational“, der sehr viel an realen Phänomenen subsumiert und damit aber auch an Differenzqualität verliert. Sich wieder den Phänomenen selbst anzunehmen, Grenzziehungen zu hinterfragen und nationalstaatliche Kategorisierungen nicht ungeprüft zu übernehmen, sind die Forderungen des Autors, Migrationsforschung aus einer stärker systemtheoretischen Perspektive zu betreiben, lautet sein Plädoyer.

Die Arbeit ist intellektuell ausgesprochen anregend und wertvoll. Sie öffnet den Blick für die Vielfalt an Wanderungsbiographien, die von Goeke sensibel und sprachlich ausgefeilt beschrieben werden und die sich weder mit den klassischen Konzepten der Wanderungsforschung noch mit den neueren Ansätzen der transnationalen Mobilität trennscharf fassen lassen. Der kritische Duktus bei der Darstellung der theoretischen Grundlagen dominiert daher und hinterlässt aber auch einen fahlen Nachgeschmack. Ist das bestehende theoretische Wissen um Migration und Integration wirklich so brüchig, wie es dargestellt wird? Und was kann der Autor an neuen theoretisch gehaltvollen Aussagen anbieten? In diesem Bereich verliert die Arbeit an Attraktivität und wird sparsamer. Man kann eben nicht alles haben: Abriss und Neubau aus einer Hand ist wohl zuviel verlangt.

Autor: Heinz Fassmann

 

Quelle: Die Erde, 138. Jahrgang, 2007, Heft 4, S. 388-389