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Kategorie: Rezensionen

Josef Kohlbacher, Ursula Reeger: Die Dynamik ethnischer Wohnviertel in Wien. Eine sozialräumliche Longitudinalanalyse 1981 und 2005. Wien 2006 (ISR Forschungsberichte 33). 113 S.

Ethnische Segregation wird in der Literatur entweder als dynamischer Teil von Integrationsverläufen interpretiert (und damit als ein Schritt in Richtung einer schrittweisen Anpassung und als Vorläufer zukünftiger Assimilation) oder aber als Ausdruck von Randständigkeit, von sozialräumlicher Marginalisierung und Exklusion. Aufgrund der schwierigen, weil je nach Kontext und sozialer Gruppe immer wieder neu zu definierenden Bestimmung dessen, was im Unterschied etwa als gelungene Integration gelten kann, kommt dem Zeitverlauf zum Verständnis von sozialräumlicher Segregation eine Schlüsselrolle zu.

Was stellt sich als Übergangsphänomen dar? Was ist als verfestigte Segregation zu bezeichnen? Vergleichende Analysen stehen oft vor der Schwierigkeit, unterschiedliche methodische Instrumente und Forschungsansätze miteinander in Einklang bringen zu müssen. Eben weil diese Vergleichsstudien so schwierig sind, ist die von Kohlbacher und Reeger vorgelegte Studie zur Verteilung und Wohnintegration der ehemaligen Gastarbeiter aus den Teilrepubliken Exjugoslawiens in Wien wissenschaftlich mutig und bietet hochinteressante Ergebnisse.

Die Autoren stehen weitgehend in der Tradition der sozialökologischen Schule um Fassmann und sind Experten auf dem Gebiet der Sozialintegration. Kohlbacher und Reeger holten das 1981 von Elisabeth Lichtenberger erhobene Primärdatenmaterial aus dem Archiv und konzipieren eine Vergleichsstudie (Grundlage waren 697 Originalfälle auf der Basis einer Stichprobenziehung aus der Meldekartei der Fremdenpolizei). Dieses Vorgehen bringt mit sich, dass die Studie lediglich abbilden kann, was bereits einmal untersucht worden ist – sie kann außerhalb dieses ursprünglichen Samples nichts wahrnehmen. Ziel des Vergleiches war es, die „Kausalfaktoren, (...) die die räumliche Wohnraumintegration der ehemaligen „Gastarbeiter“ aus den Teilrepubliken Exjugoslawiens im Wiener Stadtraum determinieren“ (S. 11), herauszuarbeiten. Zentrales Ergebnis der Lichtenberger-Studie von 1981 war der Nachweis der residualen Position der jugoslawischen „Gastarbeiter“ auf dem Wiener Wohnungsmarkt.

Kohlbacher und Reeger interessieren sich nun dafür, ob es in den knapp 25 Jahren zu einer wesentlichen Positionsverschiebung bezüglich der Wohnraumintegration gekommen ist. Sie wollen Segregationsprozesse im Zeitraum 1981-2001 nachweisen und fragen, ganz in der Denktradition der sozialökologischen Schule, ob Sukzessionsprozesse in Gebäudezustand und -nutzung festgestellt werden können. Konkret untersuchen die Wissenschaftler Bauzustand und Bewohnerstrukturen. Verändert hat sich die Stadt und ihre Bevölkerungsstruktur in dieser Zeitspanne auf jeden Fall: Gemäß den Daten der Bevölkerungsfortschreibung hat Wien einen Verlust an registrierter inländischer Bevölkerung zu verzeichnen (von 1981 bis 2005: -70 122 Menschen) und einen Zuwachs an registrierter ausländischer Bevölkerung (1981-2005: +192 929 Menschen). Der Ausländeranteil hat sich damit seit 1981 von 7,5 % auf 18,7 % erhöht – wobei etwas über die Hälfte einen „exjugoslawischen“ bzw. türkischen Pass besitzt. Doch nicht nur die Zusammensetzung der Bevölkerung hat sich verändert, auch die Leitbilder der Stadtentwicklung haben sich gewandelt, was keine Erwähnung findet.

Der theoretische Teil skizziert Fragestellung und Vorgehensweise; die üblichen Diskussionslinien der stadtsoziologischen Segregationsforschung (also Häußermann und Oswald, Siebel, Dangschat) werden in einer Pro- und Kontra-Kategorisierung aufbereitet. Es folgt ebenso aufschlussreich wie knapp eine historische Einordnung des Wiener Wohnungsmarktes. Fast etwas versteckt findet sich dort der Hinweis, dass der Anspruch auf eine Gemeindewohnung (d.h. auf eine Wohnung mit günstigen Mieten), einem umfangreichen Segment des Wiener Wohnungsmarktes, bis 1.1.2006 an den Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft geknüpft war. Geförderte Mietwohnungen (Genossenschaftswohnungen) standen der ausländischen Bevölkerung unter bestimmten Voraussetzungen seit Mitte der 1990er Jahre frei; Eigentumswohnungen und Eigenheime schieden für die Mehrzahl der Migranten aus. Bleibt also weitgehend „nur“ das Segment der privaten Mietwohnungen. Hier handelt es sich fast durchgängig um Altbaubestand, häufig mit unzureichender Ausstattungsqualität und hierauf ist die ausländische Bevölkerung zurückgeworfen. Die Empirie differenziert die erhobenen Daten nach Gebäudenutzung und -zustand sowie Bewohnerstruktur und Sanierungsmaßnahmen und illustriert diese mit Kartenmaterial sowie den Kommentaren der Bewohner und des Erhebungspersonals.

Wichtigste Ergebnisse der Studie sind: Die 1981 beobachtbare ethnische Segregation besteht bis heute fort (im Unterschied übrigens zu den deutschen und schweizerischen Städten) und der Erhaltungszustand der Häuser hat sich verschlechtert (S. 99). Die migrantische Bevölkerung ist heterogener und mischt sich jetzt stärker als 1981. Trotzdem finden sich weiter „Ausländerhäuser“ – ein Hinweis auf die Beharrungskräfte sozialräumlicher Entwicklungen. Das Buch bietet einen wertvollen, da sehr konkreten, Einblick in eines der wichtigsten Stadtthemen: sozialräumliche Segregation. Gelegentlich stolpert der Leser über Wortkonstrukte wie „ethnonational“ (S. 22) oder „Neomigranten“ (S. 28), ansonsten ist das Buch gut lesbar. Am Schluss bleibt die Frage, wie genau es zu diesen Verfestigungen gekommen ist bzw. welche Faktoren jenseits des rechtlich versperrten Zugangs zu bestimmten Wohnsegmenten ausschlaggebend für die verfestigte Segregation sind.

Autorin: Felicitas Hillmann

 

Quelle: Die Erde, 138. Jahrgang, 2007, Heft 4, S. 391-392