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Kategorie: Diskussionen

Stellungnahme von Prof. Dr. Werner Bätzing zur Thematisierung der ländlichen Räume im Bericht des Zukunftsrates der Bayerischen Staatsregierung vom Dezember 2010

1.
Die ländlichen Räume in Bayern werden in diesem Bericht sehr unscharf und diffus wahrgenommen, u.zw. entweder als "Umland" von Großstädten (S. 41-42) oder als periphere, schlecht erreichbare Räume (S. 42 unten, 43). Dabei werden erstens die suburbanen Räume fälschlicherweise mit ländlichen Räumen verwechselt (S. 50, 59), und zweitens wird der ländliche Raum sehr verkürzt gesehen, denn beim üblichen Stand der Forschung wird der ländliche Raum in fünf Subtypen unterteilt, von denen der Zukunftsrat nur zwei kennt.


2.
Die ländlichen Räume werden ausschließlich aus der Sicht der Großstädte wahrgenommen, indem in erster Linie ihre Verkehrsanbindung an die Zentren in den Mittelpunkt der Darstellung gerückt wird (via ÖPNV, Straßen, Breitband-Internet usw.), und indem daneben auch - mit deutlich schwächerer Bedeutung - ihre Funktion als Naherholungsgebiet für die Städte (S. 61) betont wird. Dem entspricht, dass bei der Darstellung der "Globalen Trends und Megatrends" (S. 35-40) - mit Ausnahme des demographischen Wandels - nur großstädtische Trends thematisiert werden. Trends, die den ländlichen Raum betreffen (Wandel in den Bereichen Landwirtschaft, Ernährung, ländliche Siedlungen, ländliche Infrastrukturen, Handwerk, Kulturlandschaft, ländliche Identitäten u.ä.) fehlen hier vollständig.

3.
Normative Leitidee ist die Vorstellung, dass lediglich eine hochspezialisierte exportorientierte Wirtschaft eine tragfähige Wirtschaftsbasis für Bayern darstellen könne (S. 40, 55 und öfters). Der Gedanke, dass regionale Wirtschaftsformen (also nicht hochspezialisierte und nicht exportorientierte Formen des Wirtschaftens) eine relevante Rolle in Bayern spielen könnten, kommt nicht vor, wird also negiert - dabei sind diese Formen des Wirtschaftens für Bayern gerade in Hinsicht auf dezentrale Arbeitsplätze sowie sozio-kulturelle und ökologische Aspekte sehr wichtig (nicht als Gegensatz oder Alternative zur exportorientierten Wirtschaft, sondern in wechselseitiger Ergänzung).
Die Kantonsregierung von Graubünden/Schweiz hat diesen Gedanken explizit umgesetzt, indem sie Regionen in Graubünden ohne exportorientierte Wirtschaft als "potenzialarme Räume" definiert und ausgewiesen hat, aus denen der Kanton seine öffentlichen Gelder zurückziehen solle. Der Zukunftsrat formuliert dies zwar nicht explizit so, aber seine Argumentation geht implizit in die gleiche Richtung.
Dies zeigt einerseits der Abschnitt "Stärkung der ländlichen Wirtschaft" (S. 58-59: die "Anwerbung und Eingliederung von hochqualifizierten Arbeitskräften" und die "Integration von Ausländern" betreffen lediglich einige wenige hochspezialisierte exportorientierte Betriebe im ländlichen Raum, die jedoch keineswegs mit "der" ländlichen Wirtschaft identisch sind) und andererseits der Abschnitt "Förderung der Biodiversity-Landwirtschaft" (S. 61 - einzige Stelle neben dem kurzen Hinweis auf regionale Energiegewinnung, an der eine regionale Wirtschaftsform erwähnt wird; diese Ausführungen stehen jedoch erratisch im Gesamtkontext, sind inhaltlich völlig ungenügend und repräsentieren nicht den Stand der Forschung).

4.
Die Formulierung von "Szenarien" dient üblicherweise dazu, durch eine Auswahl von möglichen Entwicklungen Handlungsalternativen zur Diskussion zu stellen. Die drei formulierten Szenarien (S. 48-49) erfüllen jedoch diese Aufgabe nicht, weil Szenario 1 und 3 von vornherein undenkbar sind und dadurch das Wunschszenario 2 de facto als alternativelos dargestellt wird.
Eine stringente Szenariotechnik hätte folgende Szenarien z.B. präsentieren können: 1. Fokus München, 2. Fokus zwei Metropolregionen, 3. Fokus 5-7 große Zentren, 4. Fokus 18 Oberzentren nach LEP, 5. Fokus rein auf ländlichen Raum und dann als zweite Variante: Fokus auf Zentren plus ländliche Räume ("ausgewogene Doppelnutzung" nach Bätzing) mit 1, 2, 5-7 oder 18 Zentren.

5.
Die neue "Governance-Struktur" (S. 56-57) ist ein sehr relevanter und wichtiger Neuansatz, der sehr zu begrüßen ist. Allerdings wird dieser Neuansatz lediglich in Hinblick auf die Zentren thematisiert ("Verflechtungsmatrix"); parallel dazu müsste er analog für ländliche Räume entwickelt werden, die durch Landkreis-, Regierungsbezirks- und Bundesländergrenzen zerschnitten und dadurch stark geschwächt werden (siehe dazu Bätzing 2008).

6.
Zu Beginn wird auf S. 32 eine Überlegung angestellt, die im Text nicht weiter verfolgt wird: "Ob die Entwicklung einer Region in Richtung eines urbanen wirtschaftlichen Zentrums, einer ländlichen Region oder eines geschützten Naturbereichs gehen soll, ist dabei nicht entscheidend." Hier wird eine Dreigliederung der Räume in Bayern angedeutet: a: Zentrendominierte Räume, b: ländliche Räume mit einer schwachen, von den Zentren abhängigen Wirtschaft (Naherholung u.ä.), c: Naturschutzräume, wohl ohne oder mit nur sehr wenigen Menschen. Später im Text wird dies immer wieder angedeutet, aber nicht mehr explizit thematisiert. Die Forderung nach größeren Räumen mit Dominanz Naturschutz wird von einigen Experten immer wieder auch in Bezug auf Mecklenburg-Vorpommern und Nord-Brandenburg erhoben, trifft aber auf eine sehr vehemente Ablehnung durch die betroffene Bevölkerung.

7.
Die "Bad Windsheimer-Erklärung" der Metropolregion Nürnberg formuliert dagegen eine andere Perspektive: Natürlich muss einerseits die globale Wettbewerbsfähigkeit der Metropolregion gestärkt werden (6 d und e), aber andererseits müssen die ländlichen Räume in der Metropolregion dezentral-flächenhaft aufgewertet werden (regionale Produkte, regionale Wirtschaftskreisläufe - 6.a). Diese doppelte Perspektive ist m.E. sehr viel realitätsnäher und den spezifischen Herausforderungen des Strukturwandels in Bayern viel besser angemessen als die Leitideen des Zukunftsrates.

Erlangen, den 7. Februar 2011                                                               

Werner Bätzing



Anschrift des Verfassers
Prof. Dr. Werner Bätzing
Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg
Institut für Geographie
Kochstr. 4/4
D-91054 Erlangen
Tel.: ++49 (0)9131/ 85-2 26 37 (Durchwahl)
Tel.: ++49 (0)9131/ 85-2 26 33 (Sekretariat)
Fax: ++49 (0)9131/ 85-2 20 13
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zum Bericht des Zukunftsrates der bayerischen Staatsregierung "Zukunftsfähige Gesellschaft - Bayern in der fortschreitenden Internationalisierung: http://www.bayern.de/Anlage10337216/BerichtdesZukunftsratsZukunftsfaehigeGesellschaft.pdf