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Kategorie: Rezensionen

John Hartley:  A Short History of Cultural Studies. London u. Thousand Oaks 2003. 200 S.

Da die Cultural Studies auf den Marxismus zurückgehen, hat es lebhafte Debatten darüber gegeben, welche Art von Marxismus denn darin zur Anwendung kommen solle. Man könnte unter diesem Gesichtspunkt geradezu eine Geschichte der britischen Cultural Studies schreiben: vom ökumenischen Marxismus und demokratischen Sozialismus eines E.P. Thompson und Raymond Williams über die Versuche Stuart Halls und seiner Kollegen, Gramsci und Althusser zu vermitteln, zur Abkehr vom Marxismus im Zeichen Foucaults und des Poststrukturalismus bis hin zu einem kulturellen Populismus anti-marxistischer Prägung, wie er in den 1980er Jahren hervorzutreten begann.
Tatsächlich gibt es seit etwa zwei Jahrzehnten so etwas wie einen Exorzismus, der darauf abzielt, den Marxismus aus den Cultural Studies auszutreiben und Interessierte damit zu erschrecken, der Marxismus verstricke sie in Reduktionismus, Determinismus, ein gescheitertes Utopia oder noch Schlimmeres. Einen milden Exorzismus dieser Art veranstaltete John Fiske, indem er die Kategorien Kampf, Widerstand und "the people" in eine liberale Version von Cultural Studies einbrachte, wo mit der Kategorie "people" bloß noch darüber entschieden wird, was als populär zu gelten hat, und Widerstand geleistet wird durch eine kritisch-oppositionelle Filmlektüre oder den Kauf eines coolen Produkts einer Öko-Firma. Fiskes einstiger Mitautor John Hartley ist noch ein Stück zupackender zu Werke gegangen und hat die marxistischen Buhmänner des Determinismus, Ökonomismus und Reduktionismus auffahren lassen, um auch wirklich jedermann abzuschrecken.
Die Vorstellung einer "kreativen Industrie", wie sie von Hartley und anderen verbreitet wird, ist - über den positiven ideologischen Touch, den er der Medienindustrie verleiht, hinaus - zu unkritisch gegenüber den dominanten Formen der Medienkultur. So erkennt Hartley Widerstand schon im Fernsehgucken oder in Kate Moss' "widerspenstigem" fashion walk (84f). Diese Form von Cultural Studies, mit der sich Hartley identifiziert, wird gemeinhin als "Kulturpopulismus" (cultural populism) bezeichnet und steht in Gegensatz zu den kritisch und politisch ausgerichteten Formen der Cultural Studies. Die Frankfurter Schule mit ihrer systematischen und beharrlichen Kritik erinnert uns daran, dass die Kulturindustrie nicht einfach jene unschuldige und "kreative" Industrie ist, als die sie heute gern dargestellt wird. Eine solche Vorstellung, wie Hartley und andere sie vertreten, streut einen positiven ideologischen Glanz über ihren Gegenstand. Es wird suggeriert, die Medien seien ganz von sich aus bereits eine Bastion der Aufklärung, der Kreativität und des Überflusses - dagegen wird ein kritischer Wissenschaftler in Rückgriff auf Adorno und Horkheimer gern die ungleich genauere und pointiertere Auffassung einer "Kulturindustrie" stellen. Die Kritiker populärer Medien werden von den Medienpopulisten als elitär gebrandmarkt und Konzepte wie Ideologie, Hegemonie oder Macht sind Hartleys "demokratischem" Populismusansatz verdächtig (32ff). Die sog. "Kampflinie" fasst er als elitäre Tradition, die mit Unterstützung von links und rechts gegen die "Massengesellschaft" angetreten sei und die Hochkultur vor einer schleichenden Vermassung und kultureller Barbarei habe bewahren bzw. auf Seiten der Linken die Kultur der Arbeiterklasse oder des Sozialismus habe hochhalten wollen. Nach Hartley befasste sich dagegen die "Demokratisierungslinie" vorrangig mit "den Möglichkeiten einer Erneuerung von unten"; er "kümmerte sich mehr um Bedeutung statt Macht" und war "eher am Unterrichten interessiert als am Herrschen" (33). Dagegen sollte der Gegensatz eigentlich nicht zwischen einer Haltung, die das Populäre elitär verachtet, und einer, die es demokratisch hochjubelt, verlaufen; in Frage steht doch vielmehr ein kritischer und intelligenter Umgang mit populären Medientexten und anderen Produkten der Medienindustrie.
Rhonda Hammer und Douglas Kellner (Los Angeles) Aus dem Amerikanischen von Thomas Barfuss

Quelle: Das Argument, 50. Jahrgang, 2008, S. 567-568