Drucken
Kategorie: Rezensionen

Frank Gerlach u. Astrid Ziegler (Hg.): Innovationspolitik: Wie kann Deutschland von anderen lernen? Marburg 2007. 304 S.

Kurt Hübner: Neuer Anlauf. Innovationsräume und die New Economy. Berlin 2006. 168 S.

Seit Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise sind Innovationen mit Befürchtungen oder Hoffnungen verknüpft. Seit einigen Jahren dominierenden im politischen Diskurs die positiven Erwartungen. Mit dem Ende der Prosperitätskonstellation, der Entstehung von Massenarbeitslosigkeit in den 1970er Jahren und der schrittweisen Durchsetzung des High- Tech-Kapitalismus setzte ein Veränderungsdruck ein, dessen Bewältigung "viele - auch die deutschen Gewerkschaften - in der Notwendigkeit zur Innovation" sehen.

"Damit einher geht die verstärkte Suche nach Patentrezepten, wie Innovationen anzugehen sind." (276) Hg. gehen davon aus, "dass die hohen Erwartungen an Innovationen bezüglich Wachstum und Produktivität sicherlich gerechtfertigt sind" (9). Sie stützen sich dabei auf einige empirische Ergebnisse, denen zufolge der positive Zusammenhang zwischen Innovationen und (höheren) Wachstum(sraten) gegeben "scheint" (8f). "Die makroökonomischen Beschäftigungswirkungen von Innovationen sind jedoch schwerer zu bewerten" (9); es sei "offen", ob "positive oder negative Effekte" zu erwarten sind. Vor diesem Hintergrund wird die Orientierung auf Innovationen negativ begründet: "ein Zurückbleiben im Innovationswettbewerb (hätte) negative Auswirkungen auf eine exportorientierte Volkswirtschaft" (10).
Elf Studien zu den Innovationsanstrengungen anderer Länder drehen sich um die Frage, was Deutschland von diesen Ländern lernen kann. Doch Unterschiede in Wachstum und Arbeitslosigkeit können nicht ohne weiteres mit der Innovationsfähigkeit erklärt werden; auch ist die Möglichkeit des Lernens durch z.T. sehr unterschiedliche, länderspezifische Voraussetzungen und Ausgangsbedingungen beeinträchtigt (Finnland, Niederlande, Ostasien). Und darüber hinaus hat eine ganze Reihe von Ländern in den letzten Jahren verstärkte Innovationsanstrengungen verschiedenster Art unternommen, über deren Erfolge und Erfolgsfaktoren erst in Zukunft geurteilt werden kann (Beiträge über Großbritannien, Österreich, die Tschechische Republik, China sowie Deutschland). So berichten Ziegler u.a. über die 2006 von der Bundesregierung gestartete High-Tech-Strategie: Bis 2009 sollen 17 Technologiebereiche mit insgesamt 15 Mrd Euro gefördert werden mit dem Ziel, 1,5 Mio Arbeitsplätze zu schaffen (182f).
Kleinknecht und Naastepad warnen mit Bezug auf die Niederlande ausdrücklich vor einer Niedriglohnstrategie und der Arbeitsmarktflexibilisierung, beides untergrabe die Innovationsfähigkeit. Sinken die Löhne, sinkt ebenfalls der Anreiz, Arbeit durch Maschinerie zu ersetzen (124). Arbeitsmarktflexibilisierung lässt das für Innovationen wichtige Vertrauen und die Motivation der Beschäftigten erodieren (125ff). Dennoch dürfe nicht davon ausgegangen werden, dass mehr Innovationen zu mehr Beschäftigung führen. Zwar sei es "realistisch" (130) - also: nicht zwingend -, mit einer gesteigerten Innovationsdynamik für mehr Wachstum zu sorgen. Wenn das gelingt, ist aber noch nicht für mehr Beschäftigung gesorgt. Ob die Beschäftigung zu- oder abnimmt, ist von zwei Größen abhängig: das Wirtschaftswachstum wirkt expansiv auf die Beschäftigung, die Produktivität kontraktiv. Liegen die Wirtschaftswachstumsraten über den Produktivitätssteigerungen, nimmt die Beschäftigung zu, ist es umgekehrt, nimmt sie ab. Der sog. Verdoorn-Kaldor-Zusammenhang (VKZ) besteht in dem empirisch robusten Nachweis der positiven Korrelation zwischen Wachstum und Produktivität (ebd.). Da beide gegenläufig auf die Beschäftigung wirken, ist der Nettobeschäftigungseffekt erhöhter Wachstumsraten offen. Damit wird noch einmal deutlich, wie heikel es ist, von Innovationen mehr Wachstum und Beschäftigung zu erwarten: Weder führen mehr Innovationen zwangsläufig zu mehr Wachstum, noch führt mehr Wachstum per se zu mehr Beschäftigung - andererseits ist es aber auch nicht ausgeschlossen. Und tatsächlich ging die außerordentliche Prosperitätsphase zwischen 1950 und 1970 mit außerordentlich hohen Produktivitätszuwächsen einher.
Hieran erinnert Hübner mit Blick auf die USA und Kanada. Deren hohe Wachstumsraten in den 1990ern sieht er als Folge hoher, innovationsinduzierter Produktivitätszuwächse (203f). Die Frage, ob "Basisinnovationen [...] die Antreiber kapitalistischer Akkumulationsdynamik" sind, klammert Verf. unter Verweis auf seine Studie Neuer Anlauf explizit aus (202). Für die beiden Länder gilt: gemessen am BIP hohe Forschungs- und Entwicklungsanteile sowie Mittel für Unternehmensgründungen, die hervorragende multiple Infrastruktur für Forschung, Innovationen und Unternehmensgründungen in und um die universitären Leuchttürme in den USA sowie deren weltweite Attraktionskraft (213f). Nicht alles, aber einiges davon ist durchaus auf andere Länder übertragbar. Nicht nachvollziehbar ist daher die Absolutheit, mit der Markus Pohlmann am Beispiel Ostasiens feststellt: "Es gibt keine verallgemeinerbaren und übertragbaren Regeln, wie man innovativ wird und bleibt." (252)
Zusammenfassend werden zwei Dinge deutlich: Weder kann bei einem dynamischeren Innovationsgeschehen unbedingt auf einen Beschäftigungszuwachs gehofft werden, noch führt es zwingend zu höherem Wachstum. Norwegen und Schweden erzielten zwischen 1995 und 2004 deutlich höhere Produktivitätszuwächse als Deutschland und erreichen zugleich niedrigere Arbeitslosenquoten. Trotz hoher Innovationen sind Wachstum und Beschäftigung in vielen Ländern aber zurückgegangen. Zweitens, es fällt "schwer, allgemeingültige Aussagen darüber zu machen, was eine erfolgreiche Innovationspolitik ausmacht" (290).
Der Fokus von Hübners Neuer Anlauf liegt auf den Informations- und Kommunikationstechnologien (I&K). Ihn beschäftigt die Frage, worum es sich jenseits des Crashs 2000/01 bei "diesem technisch-sozioökonomischen Komplex überhaupt handelt" (19); zu untersuchen seien die "technologischen, ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Prozesse [...] die sich unter dem Signum der New Economy materialisiert haben" (18f). Die (Diffusion der) I&K bergen nach Ansicht des Verf. das Potenzial zum Produktivitätspfad und damit auch zu Wachstums- und Beschäftigungsverhältnissen des Golden Age zwischen 1950 bis 1970 zurückzukehren (60, 76, 98, 148). Wer trotz I&K und New Economy in der sozio-ökonomischen Entwicklung der letzten 15 Jahre vor allem Kontinuität sieht, bekommt "Fundamentalismus" attestiert - so auch Altvater/Mahnkopf (18, Fn. 5). Seine eigene Studie sieht Verf. dem "Tiramisu- Prinzip" folgen (15) - dem makroökonomischen Fokus im ersten Kapitel folgt eine regionalökonomische im zweiten sowie eine "lokalökonomische Schicht" im dritten Kapitel, die dann von einer "erneuten makroökonomischen Lage abgedeckt wird" (ebd.).
Verf. operiert mit regulationstheoretischen und neo-schumpeterianischen Ansätzen, eine zentrale Rolle spielt das relativ neue Konzept der General Purpose Technologies (GPT; deutsch: Querschnittstechnologien; ein Vorläufer dieses Konzepts findet sich übrigens bei Mandel unter dem Namen "Grundtechniken".) Diesen werden zwei wichtige Eigenschaften zugeschrieben: ein besonders hohes Potenzial zur Produktivitätssteigerung und ein aus ihrer breiten Anwendbarkeit resultierendes Potenz zu einer ganzen Reihe von (Produkt-)Innovationen. Beide führen zu einer zeitweiligen Häufung von (Produkt- und Prozess-)Innovationen, wodurch ›Lange Wellen‹ ausgelöst werden können (13f, 48ff, 59-76). Die I&K werden - nicht nur - von Hübner als eine solche Querschnittstechnologie angesehen (52ff, 95f). Die Krise 2000/01 interpretiert er als "Transitionskrise", als Resultat eines neuen Akkumulationsregimes mit noch "inadäquater Regulationsweise" (98, 59). Innovation und Akkumulation im Bereich der I&K haben, da sie mit einem "Rückgang der politischen zugunsten einer Marktregulation " einhergingen (97), schließlich zu einer Überakkumulation von Finanzkapital geführt, die dann 2000/01 bereinigt wurde. Da aber die passende Regulationsweise damit noch nicht gefunden sei, sei auch das Potenzial der I&K noch nicht ausgeschöpft (59). Damit bleibt zu klären, ob solche "konzentrierten Innovationen das gesamtwirtschaftliche Wachstum zu beeinflussen vermögen" (50) und damit eine erneute, der Zeit vor 1970 vergleichbare ›Lange Welle‹ möglich ist. Auch Hübner kommt dabei auf den VKZ zurück: Unterstellt man wie dieser "einen positiven Zusammenhang zwischen Produktivitäts- und Produktionswachstum auf der einen Seite und von Produktions- und Beschäftigungswachstum auf der anderen Seite, sollten sich GPT in der Summe positiv auf die Beschäftigungsentwicklung auswirken" (86). Hübner unterschlägt hierbei jedoch beschäftigungsreduzierende Effekte potenzieller Produktivitätssteigerungen. Da er auch sonst keine Gründe dafür anführt, warum die I&K zu deutlicher Wachstums- und Beschäftigungsexpansion führen könnten, bleibt seine These von einem möglichen langen Aufschwung wenig überzeugend.
Olaf Gerlach

Quelle: Das Argument, 50. Jahrgang, 2008, S. 926-928