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Kategorie: Rezensionen

Pap Ndiaye: La condition noire. Essai sur une minorité francaise. Paris 2008. 436 S.

Im Januar 2007 erhob das französische Marktforschungsinstitut tns-SOFRES im Auftrag des 2005 gegründeten Repräsentativen Rats der Vereinigungen Schwarzer in Frankreich (CRAN) sozio-ökonomische Daten der schwarzen Bevölkerung. Zwischen 4-5% der EinwohnerInnen Frankreichs bezeichnen sich der Umfrage zufolge als schwarz. Die Erhebung, bei der es sich um die erste Untersuchung dieser Art seit 1807 handelt, stellt ein hoch umstrittenes Novum dar, denn sie bricht mit dem französischen Staatsbürgerschaftsverständnis, das bei der Erfassung seiner StaatsbürgerInnen von Minderheitsmerkmalen abstrahiert. Galt dies bislang als Garant der Gleichheit, wurden im letzten Jahrzehnt Stimmen laut, die den abstrakten Universalismus der französischen Republik eher für die Ursache der Verschleierung rassistischer Diskriminierung hielten.


Diese These vertritt auch der an der Pariser Hochschule für Sozialwissenschaften (EHESS) lehrende Historiker Pap Ndiaye in seiner Untersuchung über die "condition noire" (etwa: Schwarz Sein). Schwarze seien in Frankreich zwar als Individuen, nicht aber als soziale Gruppe sichtbar. Dies führe dazu, dass die vielfachen Diskriminierungen, denen sie ausgesetzt sind, nicht Gegenstand einer gesellschaftlichen Diskussion werden könnten.
Bei der Untersuchung handelt es sich um die bislang umfassendste Darstellung der Geschichte von Schwarzen in Frankreich. Pap Ndiayes bislang nicht übersetzter Text stützt sich zusätzlich zur umfangreichen verarbeiteten Literatur auf 70 Interviews mit Personen, die sich als schwarz bezeichnen. Ndiaye greift zudem auf Beobachtungen aus der zivilgesellschaftlichen Interessensvertretung zurück, der er sich als Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des CRAN und Aktivist der Vereinigung für Diversität CAPDIV zurechnet. Das Buch betrachtet nicht im Fahrwasser der cultural studies die Verhandlungsformen schwarzer Identitäten, sondern verschiebt den Fokus auf Minderheitspolitiken, greift die Erfahrungen Schwarzer in Frankreich mit Alltagsrassismus und Diskriminierung auf und positioniert sich vor ihrem Hintergrund in politischen Debatten um Minderheitenrechte.
Der Autor zeichnet ausgehend von einer Problematisierung des "Rasse"-Begriffs die Koordinaten des Lebens Schwarzer in Frankreich nach. Da rassistische Vorstellungen ihre wissenschaftliche Widerlegung überlebt haben, argumentiert Ndiaye, sei es notwendig, den Begriff "Rasse" für die Analyse von Machtbeziehungen weiter zu verwenden. Gerade weil phänotypische Merkmale nicht natürlicherweise soziale Marker sind, müsse man die Bedingungen untersuchen, unter denen sie dazu werden. Er argumentiert dabei konsequent anti-essentialistisch. Als Minderheit in Frankreich ist schwarz, wer in großen Teilen seines Lebens dafür gehalten wird. Notwendige Identitätskonstruktionen ergeben sich daraus nicht.
Pap Ndiaye zeichnet die Geschichte schwarzer Bevölkerungsgruppen in Frankreich seit dem 17. Jahrhundert nach und illustriert ihre sich wandelnden Lebensbedingungen an Schlüsselfiguren, wie den afrikanischen Soldaten, die während der Weltkriege in der französischen Armee kämpften und Anna Julia Cooper, der ersten schwarzen Frau, die 1925 an der Sorbonne einen Doktortitel erhielt.
Die Untersuchung verfolgt die historische Herausbildung spezifischer Formen von Rassismus, die sich gegen Schwarze richten. Als Spezialist für die Geschichte der USA geht Ndiaye in vergleichender Perspektive mit der USamerikanischen Debatte vor. Er übersetzt Analysekategorien sozialer Hierarchien in den französischen Kontext, die für das republikanische Gesellschaftsverständnis, dessen Grundkonstituente die formale Gleichheit aller Bürger(innen) ist, undenkbar schienen. Dazu gehört der Kolorismus, der dunkleren und helleren Tönungen der Haut unterschiedliche gesellschaftliche Wertungen zuschreibt. Diese - zur Zeit des Kolonialismus entstandene - Hierarchie begünstigt bestimmte Lebenswege für Schwarze und erschwert andere. Während in Teilen der Unterhaltungsindustrie und des Sports Schwarz sein als schick gelten kann, bleiben Schwarze z.B. in akademischen Positionen unterrepräsentiert. Das Buch untersucht ideologiekritisch, wie die Entscheidung von Schwarzen, die eine Sportler- oder Musikerlaufbahn einschlagen, zu einer biologischen Eigenschaft umgedeutet wird. Es analysiert auch die anhaltenden Wirkungen dieses Markers sozialer Hierarchien in Praktiken wie der Anwendung von Hautaufhellern, durch welche die kategorisierten Individuen die gesellschaftliche Gewalt im Versuch ihre Wirkungen abzuschwächen, gegen sich selbst wenden.
Eine große Qualität des durchweg republikanischen Buchs ist, dass es konsequent die Überlagerungen von Klassenzugehörigkeit und Rassifizierung einbezieht. Ndiaye macht deutlich, dass es ihm nicht darum geht, die in der französischen Sozialwissenschaft lange vorherrschende Fokussierung auf Klassenverhältnisse abzulösen, sondern gesellschaftliche Ausschlüsse auf das Zusammenwirkungen von Rassismus und Klassenzugehörigkeit hin zu untersuchen.
Über eine historische Analyse des Bilderrepertoires, auf das Rassismus gegen Schwarze zurückgreift und historische Formen von Solidarität zwischen Schwarzen in Frankreich, arbeitet sich der Historiker bis zu den Fragen der Gegenwartsgesellschaft vor: Er diskutiert die aus seiner Sicht ambivalente Konjunktur der Gedenkpolitiken, vor allem die Funktion, die das Gedenken an den transatlantischen Sklavenhandel für minorisierte Gruppen bekommt. In dieser Tendenz sieht er die Gefahr eines identitären Rückzugs: Anstatt die Diskriminierungen der Gegenwart anzugreifen und den Sklavenhandel als verdrängtes Kapitel der französischen Geschichte zu bearbeiten, schriebe ein Teil der
ErinnerungsaktivistInnen Schwarze ahistorisch auf eine unausweichliche Opferrolle fest. Der Historiker kritisiert zudem den Antisemitismus einzelner afrozentrischer Gruppierungen und Personen, wie er z.B. vom Komiker Dieudonné vertreten wird, der sich nicht nur durch einen aggressiven Antizionismus, sondern auch durch seine Unterstützung des rechtsextremen Front National hervortut. Ndiaye spricht sich für die Erhebung statistischer Daten von Minderheiten aus, um eine Wissensgrundlage für Minderheitenförderprogramme zu legen. Diese sollten als affi rmative action gefasst werden, statt sie weiter als "positive Diskriminierungen" in ein Licht der Abweichung vom allgemeinen Interesse zu stellen. Schließlich stellt Ndiaye ausführlich die Ziele des CRAN vor, der die Erfahrungen als Minderheit und daran anknüpfende politische Ziele zur Grundlage der Mitgliedschaft macht, nicht eine angenommene kulturelle Identität oder die Konstruktion einer gemeinsamen Herkunft.
Lotte Arndt

 

Quelle: Peripherie, 29. Jahrgang, 2009, Heft 114-115, S. 383-384