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Kategorie: Rezensionen

Saskia Sassen: Das Paradox des Nationalen: Territorium, Autorität und Rechte im globalen Zeitalter. Frankfurt am Main 2008. 735 S.

Mit ihrer Studie "The Global City" (1991) hat Saskia Sassen die Stadt- und Globalisierungsforschung nachhaltig geprägt. Die Kritik konzentrierte sich vor allem darauf, dass sie die Bedeutung des Staates vernachlässige und ihrem Ansatz die historische Tiefe mangele. Auch in ihrem neuen Buch "Territory, Authority, Rights" geht es darum, wie und wo Globalisierung gemacht wird. Der Fokus ist nun aber zum einen darauf gerichtet, "wie der Aufbauprozess einer globalen Ökonomie der Großunternehmen sich selbst (...) in den Staatsapparat integriert" hat (11; Hervorh. C.P.). Zum anderen wird in einem historischen Längsschnitt vom Mittelalter bis in die Gegenwart der lange Prozess von Produktion und Demontage des "Nationalen" herausgearbeitet.

Im ersten Teil behandelt Sassen die Frage, wann und wie die exklusive Verknüpfung des "Nationalen" mit Territorium, Autorität und Rechten hergestellt wurde. Darin liegt eine große Stärke des Buches, weil dadurch "das Nationale" entessentialisiert und auf das beschränkt wird, was es ist, nämlich auf "eine historisch spezifische Konfiguration" (680). In Teil 2 wird dann die Demontage dieser Ordnung untersucht, die seit etwa drei Jahrzehnten in Gange ist, während der dritte Teil den spezifisch neuen "Assemblagen" von Territorium, Autorität und Rechten im globalen, digitalen Zeitalters gewidmet ist. Die zentrale Annahme lautet, dass die Staatsapparate selbst zu einem zentralen Schauplatz von Globalisierung geworden sind, weil sie in ihren Organisationslogiken mehr und mehr durch Prozesse bestimmt werden, die auf globale Agenden ausgerichtet sind, ohne dass sich damit zwangsläufig auch die Form bestimmter Institutionen ändert. Der Wandel, den Sassen untersucht, besteht nicht in der Schwächung der Staaten gegenüber großen Unternehmen, sondern in ihrem Funktionswandel, der als "Entnationalisierung" charakterisiert wird.
Diese Entnationalisierung lässt sich am Beispiel des sich verändernden Charakters grenzüberschreitender Kooperationen von Regierungsbeamten illustrieren. Zielten diese in der Bretton Woods Ära vor allem darauf ab, globale Bedingungen für das Prosperieren nationaler Ökonomien zu schaffen, so sieht Sassen intergouvernmentale Kooperation heute eingebettet in ein "Deregulierungsprojekt, mit dem diejenigen Bestandteile staatlichen Handelns entnationalisiert werden, die für die Globalisierung der Unternehmen (...) erforderlich sind (...)" (481 f.). Sassens Definition von Globalisierung grenzt sich damit auch von üblichen Lesarten ab (Bedeutungsverlust von Staaten, steigende Interdependenzen zwischen Staaten): Globalisierung bedeute "die wirkliche Herstellung räumlicher und zeitlicher Rahmenbedingungen, die zugleich nationalen Strukturen innewohnen und sich von nationalen-zeitlichen Rahmenwerken unterscheiden, wie sie historisch konstruiert worden waren" (53; Hervorh. im Original).
Methodisch arbeitet Sassen in ihrer historischen Analyse erstens mit Potentialen und ihrer Vieldeutigkeit (Elemente der alten Ordnung "wandern" in die neue, sie verändern dabei zwar nicht ihr Aussehen, wohl aber ihre Bedeutung), zweitens mit Umschlagpunkten, an denen sich zeigen lässt, dass der Übergang von einer dominanten Ordnung zu einer anderen nicht das Verschwinden der alten Ordnung bedeuten muss, und drittens mit Organisationslogiken, die die Dynamik des Ganzen bestimmen. Für im historischen Denken Geschulte mag dies nicht unbedingt neu sein, in der empirischen Darlegung, wie das Nationale konstruiert und demontiert wird, besticht die Argumentation. So zeigt Sassen, dass das Aufblühen der Städte im Mittelalter nicht, wie oft angenommen, eine Gegenposition zu den späteren souveränen Nationalstaaten darstellt, sondern vielmehr Bestandteil für deren Entstehung war - weil zum Beispiel in und durch die Städte die Idee der exklusiven Autorität über ein bestimmtes Territorium entwickelt und verfestigt wurde.  


Insgesamt stellt die vorliegende Studie eine große Bereicherung der Globalisierungsforschung dar. Zu hoffen ist, dass von dem Buch eine ähnliche große Inspiration ausgehen wird wie von "The Global City". Vor allem die (immer noch zu sehr auf Migrationsstudien orientierte) Debatte zum Entstehen transnationaler Räume sollte davon profitieren. - Das Buch ist klar strukturiert und gut lesbar; schade ist allerdings, dass der in der Originalausgabe enthaltene Index in der deutschen Übersetzung entfallen ist.
Christoph Parnreiter

 

Quelle: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie Jg. 53 (2009) Heft 3, S. 208