Drucken
Kategorie: Rezensionen

Wolf-Dieter Hütteroth, Volker Höhfeld: Türkei. Darmstadt 2002 (Wissenschaftliche Länderkunden). 380 S.

Der vorliegende Band ist die völlig überarbeitete, aktualisierte und um wertvolle farbige Abbildungen, Fotos und Karten bereicherte Neuauflage des 1982 erschienenen Standardwerkes über die Türkei von W.-D. Hütteroth. Dadurch wurde diese Länderkunde insgesamt gestrafft, mit ansprechenderem Layout versehen und leichter lesbar.

Hilfreich ist, dass bei jedem Großkapitel einleitend das Wesentliche auf einer Seite vorgestellt wird. Insbesondere die humangeographischen Inhalte mussten auf den neuesten Stand gebracht werden, da die Türkei diesbezüglich einen starken Wandel erlebt. Gemäß der Ausrichtung der Autoren liegt dort auch der Schwerpunkt. Aus Platzgründen kann die nachfolgende Kritik nur selektiv sein. Das Kapitel „Reliefgestaltung und Bodenschätze“ liefert einen soliden Überblick über die geologischen und geomorphologischen Grundlagen. Zur Geomorphologie fehlen allerdings etliche neuere Studien. Positiv hervorzuheben ist die Darstellung des schweren Erdbebens 1999 von Gölcük in der Nordwesttürkei (S. 41 f.). Nach der Erwähnung des Maars bei Karapinar(S. 43) vermisst man Ausführungen zu weiteren Maarseen Anatoliens; sie sind nämlich hervorragende Geoarchive für die Rekonstruktion von Landschafts-, Vegetations- und Klimageschichte. Zu Recht wird die Bodenerosion als der wichtigste geomorphologische Prozess der Gegenwart angeführt (S. 47 ff.). Die Diskussion über Küsten und Meerengen nimmt einen breiten Raum ein (S. 59 ff.), denn gerade die Schwemmebenen in Küstennähe sind landwirtschaftlich gut in Wert gesetzte Agrarräume. Doch gibt es für den Kenner der Materie hier einige Ungereimtheiten bezüglich der jungquartären Meeresspiegelschwankungen (Schwarzbach 1974 ist überholt). Leider wird in diesem Zusammenhang die viel diskutierte Schwarzmeer-Hypothese zur Sintflut nicht erwähnt. Bei der Darstellung des Klimas sind die Abbildungen zu stark vereinfacht dargestellt. Hervorzuheben ist Abb. 33 zu den Starkregenfällen, da diese einerseits geomorphologisch sehr wirksam sind und andererseits ein großes Problem für die Landwirtschaft darstellen. Eng an das Klimaregime gekoppelt ist das hydrologische (z.B. Abb. 37-42). Sehr differenziert sind die Ausführungen über den vorwiegend anthropogen bedingten Wandel von der natürlichen Vegetation zu den Ersatzgesellschaften (S. 95ff.).Gelungen sind die Abschnitte über Bevölkerungs- und Stadtentwicklung mit dem traditionellen West-Ost-Gefälle, dem Verstädterungsprozess und der Homogenisierung seit Errichtung des Nationalstaates durch Kemal Pascha Atatürk. Da die Türkei trotz Urbanisierung und Industrialisierung bis heute weitgehend Agrarland geblieben ist, erfährt der Agrarraum eine ausführliche Darstellung. Das Kapitel über die heutigen Wirtschaftsbereiche macht das hohe Potenzial zum Aufbau moderner Industriebetriebe deutlich, gleichzeitig aber erneut das West-Ost-Gefälle. Wichtig ist die Abhandlung über den Fremdenverkehr (S. 286ff.), weil dieser der bedeutendste Devisenbringer ist. Leider ist das Zahlenmaterial etwas veraltet. Fährt man in die Türkei, so stellt man schnell den Bauboom fest. Gründe sind vor allem das starke Bevölkerungswachstum, rückfließendes Gastarbeiterkapital, hohe Inflationsrate und allgemeine Landflucht. Allein in den Städten des Nordwestens und Westens lebt über ein Drittel der Stadtbevölkerung. Zu Recht werden die alte Metropole Istanbul und die neue Hauptstadt Ankara in größeren Abschnitten thematisiert. Das letzte Kapitel widmet sich der bedeutenden Frage, ob es zu einem Abbau oder zur Verstärkung der regionalen Disparitäten kommen wird; letzteres wird wohl eher eintreten. Das Werk schließt mit Literaturverzeichnis, Sach- und Ortsregister. Diese Länderkunde ist von besonderem Wert, da sie kenntnisreich und anschaulich über ein Land informiert, das zu den ältesten Kulturländern der Erde gehört, geopolitisch eine hohe Bedeutung hat und ein nach dem Westen orientierter islamischer Staat ist (EUBeitrittswunsch); außerdem leben Millionen Türken als Arbeitsmigranten unter uns. Das Buch ist durch aussagekräftige Abbildungen, Diagramme und Photos reich ausgestattet und ästhetisch ansprechend gestaltet – wieder einmal ein sehr gelungenes Werk aus der erfolgreichen Reihe der Wissenschaftlichen Länderkunden. Es ist sowohl für den Fachwissenschaftler als auch für den interessierten Laien eine wertvolle Quelle der Information. Man kann dem Türkei-Buch von Wolf-Dieter Hütteroth und Volker Höhfeld nur eine große Verbreitung wünschen.

Autor: Helmut Brückner

Quelle: Die Erde, 135. Jahrgang, 2004, Heft 3-4, S. 316-317