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Kategorie: Rezensionen

Michael Braungart u. William McDonough (Hg.): Die nächste industrielle Revolution. Die Cradle to Cradle-Community. Hamburg 2008. 245 S.

Cradle to Cradle (CtC; von der Wiege zur Wiege) erhebt den Anspruch, die industrielle Produktionsweise zu revolutionieren, indem diese – nach dem Vorbild der »gesunden, regenerativen Produktivität der Natur« (36) – auf Stoffkreisläufe umgestellt wird. Um CtCProduktion in großem Maßstab zu erreichen, ist es Hg. zufolge erforderlich, Unternehmen in Netzwerken zusammenzuführen (50).

Das vorliegende Buch muss in diesem Sinne als eine Art Werbebroschüre gelesen werden. Anlässlich des 2008 in Frankfurt/M ausgerichteten internationalen CtC-Fachkongresses NUTEC und der ihn begleitenden Fachmesse versammelt es v.a. Porträts einzelner dort vertretener Initiativen, die vermutlich von den Akteuren selbst verfasst wurden. Dieser Entstehungshintergrund erklärt die vielen Redundanzen, das Namedropping erfolgreicher Unternehmen und die durchgängigen Selbstkomplimente. Produkte und industrielleAbläufe sollen – gemäß des Leitbilds von CtC – so gestaltet werden, dass sie »nützlich statt weniger schädlich« sind (7), und folglich keinen negativen, sondern einen »förderlichen« ökologischen Fußabdruck hinterlassen (14). Gegenüber herkömmlicher Öko-Effizienz, der lineares Denken zugeschrieben wird, beruht CtC auf der Idee der »Öko-Effektivität« (33ff), die Stoffkreisläufe und damit eine »Vorstellung von Nachhaltigkeit« erzeugen soll, die nicht auf »ökologische Enthaltsamkeit« zielt (31).
Die dargestellten CtC-Aktivitäten erstrecken sich über diverse Bereiche der Produktion und Reproduktion wie u.a. Bekleidung und Textilien, Haushalt und täglicher Bedarf, chemische Prozesse, Abfall- und Nährstoff-Management, Rohstoff-Verarbeitung sowie Consulting. Erfolgreiches CtC-Design verkörpert z.B. ein Bürostuhl, dessen Komponenten vielfache Lebenszyklen durchlaufen (141ff), oder ein T-Shirt, das vollkommen kompostierbar ist (164ff). Viele der Porträts konzentrieren sich auf die Niederlande, die die Hg. euphorisch als sich entfaltende »Cradle to Cradle-Nation« bezeichnen, der sie weitreichende Effekte »auf die industrielle Produktion und das Management von Stoffströmen weltweit« bescheinigen (14). Diese Zuversicht gründet sich u.a. darauf, dass CtC von einer niederländischen Ministerin zum Regierungsziel erklärt wurde und seit kurzem in Rotterdam ein Lehrstuhl zu CtC existiert.
Braungart erläutert die Grundidee von CtC dahingehend, dass Materialien zu Nährstoffen  werden, indem sie sich in ständigem Umlauf in einem von zwei eigenständigen Stoffkreisläufen befinden: dem biologischen und dem technischen. Der erste umfasst die zyklischen Prozesse der Natur und wird von sog. biologischen Nährstoffen durchlaufen, die »biologisch (oder sonstwie auf natürliche Weise abbaubar)« sind (40). Der »technische ist dem biologischen Stoffwechsel nachgebildet« (42). In ihm zirkulieren sog. technische Nährstoffe, d.h. »Material, das sicher in einem geschlossenen Kreislauf« verbleibt (ebd.), aus dem folglich keine Abfälle ausgeschieden werden. Eine als naturnah bezeichnete Produktionsweise verwendet in entsprechenden Kreisläufen biologische Nährstoffe für »Verbrauchsgüter« (41) wie das kompostierbare T-Shirt sowie technische Nährstoffe für »Gebrauchsgüter« (42) wie den Bürostuhl. Trotz dieser (zunächst) postulierten Eigenständigkeit beider Kreisläufe sei es »durchaus nicht ungewöhnlich, biologische und technische Nährstoffe in einem Produkt zu kombinieren« (43). Für solche komplexen Produkte »ohne echtes Kreislaufpotenzial« führt er den Begriff Hybride ein (44).
Das CtC-Konzept verstrickt sich in verschiedene Widersprüche. Ein wesentlicher betrifft das Verständnis von Natur und Gesellschaft: einerseits wird vom Menschen als Teil der Natur (11) gesprochen, andererseits wird die Differenz beider Sphären hervorgehoben, etwa in der Rede von der »naturnahen«, also nicht natürlichen Produktion (36) und der anzustrebenden Partnerschaft des Menschen mit der Natur (52). Ein dichotomes Verständnis von Natur und Gesellschaft zeigt sich in der Konzeption der beiden Stoffkreisläufe als gegensätzlich und eigenständig (39f). Diese Unterscheidung, auf der CtC basiert, wird jedoch unhaltbar, sobald das Natürliche bzw. Außernatürliche – mit Bruno Latour oder auch den aus der kritischen Theorie hervorgegangenen Ansätzen gesellschaftlicher Naturverhältnisse – als gegenseitig vermittelt begriffen wird, das immer in Hybriden in Erscheinung tritt.
Wenn technische Kreisläufe als geschlossen und die dortige Zirkulation von Materialien als »dauerhaft« (42) beschrieben werden, offenbart sich ein weiteres Problem. Die Wirkung (synthetischer) Produktbestandteile erscheint dann vollkommen überschau- und damit kontrollierbar, doch wird das Problem der Toxizität nur in die Zukunft verlagert: als das Erfordernis, geschlossene technische Kreisläufe dauerhaft zu garantieren. Im Sinne eines Leitbilds mag die Konzeption geschlossener Stoffkreisläufe hilfreich sein. Realisieren lässt sie sich – entgegen der Annahme von CtC – auf physisch-materieller Ebene jedoch kaum. Ad absurdum wird diese Konzeption geführt, wenn nicht nur von unendlichen Lebenszyklen von Materialien, sondern – unter dem Begriff des »Upcycling« – sogar von einer Steigerung ihrer Nutzbarkeit ausgegangen wird (21, 42). Eine solche Steigerung kollidiert tendenziell mit dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, wonach die Entropie in abgeschlossenen Systemen nur zunehmen kann.

CtC hebt ausschließlich auf die materielle Ebene der Produktion ab, wenn z.B. die Nützlichkeit bzw. Schädlichkeit von Materialien sich allein nach der Toxizität bestimmt. Welche Natur bzw. welche gesellschaftlichen Naturverhältnisse eigentlich gewünscht sind, wird nicht gefragt. Deutlich wird dies am Beispiel einer CtC-Eisverpackung, die bei Raumtemperatur flüssig wird und seltene Blumensamen freisetzt. Ob damit einfach nur die Artenvielfalt »unterstützt « wird, wie Verf. meint (69), oder aber eine Natur ausgesät wird, die sozial-ökologisch verheerend wirkt, ist dabei nicht von Belang. Welche Produkte in einer auf soziale und ökologische Gerechtigkeit orientierten Gesellschaft produziert werden sollen, davon ist nicht die Rede.
Philip Bedall

Quelle: Das Argument, 51. Jahrgang, 2009, Heft 4, S. 1005-1007