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Kategorie: Rezensionen

Fred Goldstein: Low-Wage Capitalism: Colossus with Feet of Clay. What the New Globalized, High Tech Imperialism Means for the Class-Struggle in the US. World View Forum. New York 2008. 313 S.

Wenn Hunderte von Milliarden zur ›Rettung‹ des ursprünglich für die Krise verantwortlichen Finanzkapitals locker gemacht und deren Kosten auf die Lohnabhängigen (und zukünftige Generationen) mit Arbeitslosigkeit, Lohneinbußen, Verlängerung der Lebensarbeitszeit etc. abgewälzt werden, sollte der Kampf für eine gerechtere, nicht-antagonistische Gesellschaft aufgenommen werden.

Doch mögen auch die objektiven Bedingungen für einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel reif sein, ein entsprechendes kollektives Bewusstsein und der Wille zum Widerstand folgen deshalb keineswegs, schon gar nicht automatisch. Es gilt die Einheit hinter den historisch gewachsenen, nicht zuletzt aus der Entwicklung des Kapitals selbst entstandenen Unterschieden in der Soziallage wieder zu entdecken, den ideologischen Schleier vom  Wohlfahrtsstaat, Allgemeinwohl und Demokratie zu zerreißen und nicht zuletzt die Rolle der eigenen Organisationen kritisch zu überprüfen.

Diesen Weg schlägt Verf., Herausgeber der Zeitung Workers World, ein. Hinter der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise verberge sich eine tiefere, seit 30 Jahren andauernde Entwicklung. Die Einführung neuer Technologien zusammen mit der neoliberalen Globalisierung hat unter Führung der transnationalen Konzerne zu einer neuen internationalen Arbeitsteilung und einem weltweiten Lohnwettbewerb geführt. Dieser manifestiert sich für die Arbeitnehmer als Strukturwandel vom Industrie- zum Dienstleistungssektor verbunden mit dauerhaften Einkommensverlusten. Dieser systemische, das Kräfteverhältnis zwischen den Hauptklassen zu Lasten der Arbeitnehmer verändernde Wandel wurde durch die Kollusion von Kapital und Staat weiter befördert. Dieser post-fordistische Typus des »Niedrig-Lohn-Kapitalismus« steht wegen seiner objektiven Verschärfung gesellschaftlicher Widersprüche auf tönernen Füßen, bietet seinen Opfern eine historische Chance. Die kritische Analyse von Arbeitskämpfen in der Vergangenheit verweist auf die Bedingungen erfolgreichen Widerstands; eine politökonomische Rückbesinnung mit dem Ziel eines Bewusstseinswandels und einer grundlegenden Reorganisation der Interessensvertretung ist gefordert.

Das Buch ist in drei Teile, gerahmt von einem Vorwort zur aktuellen Krise und einem Nachwort zum modernen Imperialismus, gegliedert. Im ersten Teil analysiert Verf. die historischen und systemischen Bedingungen »Imperialistischer Globalisierung und weltweiten Lohnwettbewerbs«. Hat der Zusammenbruch des realen Sozialismus die dem Kapital verfügbare weltweite Arbeitskraft auf drei Milliarden verdoppelt, liefert die neoliberale Marktöffnung vermittels off-shoring, sub-contracting und Delokalisierung in unterentwickelte und einkommensschwache Regionen v.a. der Dritten Welt den Rahmen ihrer optimierten Ausbeutung zu Gunsten des (transnationalen) Kapitals. – Teil II untersucht soziale und wirtschaftliche Auswirkungen des jahrzehntelangen Niedergangs der amerikanischen Arbeitnehmer, betreffend den wirtschaftlichen Status, soziale Errungenschaften und politisch-ökonomische Sanktionspotenziale, wie der Verlust von 30 Mio v.a. industrieller Arbeitsplätze, 44 Mio neuen Stellen im Niedriglohnbereich des Dienstleistungssektors und einem zunehmendem Anteil von working poor belegen. Dieser Prozess wird begleitet von Dequalifi zierung gelernter Arbeit, Feminisierung und steigendem Immigrantenanteil auf dem Arbeitsmarkt als Grundlage für die Offensive des Kapitals. – Der dritte Teil widmet sich den Bedingungen und Möglichkeiten des Wiederauflebens des Klassenkampfs in den USA. Dabei werden unterschiedliche Aspekte, angefangen von den Lehren vergangener Arbeitskonflikte über kooptierte und korrumpierte Gewerkschaftsführungen, die Implikationen einer zunehmend multinationalen Arbeiterschaft bis hin zu den ideologischen und institutionellen Fundamenten einer  fortgeschrittenen kapitalistischen Gesellschaft behandelt. Nur eine Einheitsfront aus abhängig Beschäftigten und Unterdrückten gleich welcher Hautfarbe und Nationalität, die klassische Gewerkschaftsinteressen ebenso wie traditionelle sexistische und rassistische Vorurteile zu Gunsten umfassender sozialer, ökonomischer und politischer Gerechtigkeit überschreitet und bei den konkreten Anliegen der lokalen Gemeinschaften ansetzt, könne die Basis für die notwendige Revolutionierung des Bewusstseins und zukunftsweisende linke Militanz darstellen.

Der Band ist wegen seiner exemplarisch detaillierten und gut dokumentierten Darstellung des Inhalts von Globalisierung aus Sicht der transnationalen Unternehmen und der neuen internationalen Arbeitsteilung einerseits, der analytischen Nachzeichnung historischer sozialer Kämpfe andererseits zunächst als Fallstudie willkommen. Wegen seiner kompromisslosen Positionierung gilt das Gleiche a forteriori für seine politische Zielsetzung, in einer Situation fortschreitender Entsolidarisierung und Schwächung der Gewerkschaften bei gleichzeitigem drastischen Soziallabbau, der Zunahme von Prekarisierung und Arbeitslosigkeit (die OECD prognostiziert 11-12% für 2010) und massiver Verschuldung, Strategien widerständiger Mobilisierungsformen und neuer Organisationsmuster seitens der abhängig Beschäftigten zu entwickeln. Dabei sind kritische Einwände angebracht: die eingeschränkte theoretische Fundierung auf wenige, wenn auch zentrale Arbeiten von Marx und Lenin oder die These von den international determinierten Arbeitslöhnen, schließlich die unterstellte universelle Geltung angloamerikanischer Arbeitsverhältnisse oder die ungenügende, allein auf Abhängigkeit und absolute Ausbeutung reduzierte Konzeption der Rolle der Dritten Welt. Bei aller berechtigten Systemkritik bleibt zudem die unterstellte Fortschreibung des herrschenden (okzidentalen) Zivilisationsmodells trotz der bekannten ökologischen Schäden (›ökologischer Fußabdruck‹) und Unmöglichkeit seiner Universalisierung (›positionale Güter‹) fragwürdig. Gleichwohl, nicht zuletzt wegen der impliziten Vergleichsmöglichkeiten für Wissenschaftler und Aktivisten im alten Europa ein gleichermaßen lesens- und bedenkenswertes, kämpferisches Buch.
John P. Neelsen

Quelle: Das Argument, 52. Jahrgang, 2010, S. 139-140