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Kategorie: Rezensionen

Christine Bauhardt u. Gülay Caglar (Hg.): Gender and Economics. Feministische Kritik der politischen Ökonomie. Wiesbaden 2010. 308 S.

Der Sammelband beansprucht - so Razavi (105) -, den "Social Re-Turn" der feministischen Diskussion voranzutreiben, indem "ein Überblick über den derzeitigen Stand feministischer Ökonomiekritik" (Einleitung: 8) gegeben werden soll, und lässt damit eine geschichtsmaterialistische und sozialökonomische Fundierung gegenwärtiger feministischer Ansätze, die sich heute vor allem als postmarxistisch verstehen, erwarten. Die im Untertitel versprochene Auseinandersetzung mit marxistisch-feministischen Analysen bleibt jedoch aus: nicht die sozialwissenschaftliche und bewegungspolitische Feminismus-Diskussion der Ökonomie, sondern die ›Wirtschaftswissenschaften‹ bilden den Bezugspunkt der Beiträge.

Aus der vermeintlichen Lehre der Hausarbeits-Debatte, Marx habe der häuslichen Arbeit den Wert abgesprochen, indem er sie in seiner Analyse der kapitalistischen Produktionsweise unberücksichtigt ließ (Biesecker/Hofmeister; Razavi; Madörin), wird gefolgert, dass die marxistische Kritik der politischen Ökonomie für feministische Ökonomiekritik nicht zu gebrauchen sei. Positionen, die die marxsche Analyse ins Verhältnis zur geschlechtlichen Arbeitsteilung setzen und Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse zu begreifen versuchen, scheinen nicht zu existieren. So wäre ›Kritik der Frauen- bzw. geschlechtsblinden Wirtschaftswissenschaften‹ eher ein dem Buch entsprechender Titel.

Wenngleich die Wirtschaftswissenschaften Gegenstand der Kritik sind, werden diese als Denk- und Analysehorizont nicht verlassen. So kennt z.B. Kuiper die Kategorie des Tausches im neoklassischen Sinn als universell für alle sozialen Prozesse an und kritisiert lediglich, dass nur weiße, marktrationale und Geld besitzende Männer den üblichen Tausch vollziehen. Daraus wird gefolgert, dass das abstrakte, kontextfreie und universelle Modell von Tauschbeziehungen durch Unterschiede in den Tauschbedingungen ergänzt werden müsse (189). Die Bedingungen gesellschaftlicher Produktion und ihrer Ungleichheit geraten durch den Fokus auf die Zirkulationsebene des Austausches nicht in den Blick. Ähnlich zielt auch die Kritik am homo oeconomicus nicht auf die privat-arbeitsteilige Produktionsweise als dessen Grundlage. Stattdessen wird die Wirtschaftswissenschaft als Konstrukteur desselben verantwortlich gemacht. Veränderungen der Subjekte werden auf neue Konzepte in der Wissenschaft zurückgeführt. Gleichwohl Habermann folgendes in ihrem Beitrag (151-173) reflektiert, erschöpft sich feministische Kritik darin, Zusätze zum konventionellen Modell des homo oeconomicus in ökonomischen Analysen zu fordern. Diese seien notwendig, um die der Care-Arbeit zugrunde liegenden verschiedenen "Rhythmen und Modalitäten" (Razavi, 109) und deren "andere ökonomische Logik des Arbeitsprozesses" (Madörin, 85) hervorzuheben.

Die faktische Einspannung von Tätigkeiten der Lebensproduktion in eine unter Rationalisierungsdruck stehende Profitform wird als Zeitproblem gefasst: "Der entscheidende Punkt [...] ist aus ökonomischer Sicht, dass Zwischenmenschlichkeit, Freundlichkeit und ein bisschen Unterstützung Zeit, Energie und ein Minimum an Beziehungs-Kontinuität brauchen. Was im unbezahlten Bereich vielleicht nicht als Arbeit empfunden wird, wird bei der bezahlten Arbeit zur ökonomischen Dimension: Es braucht Zeit, die bezahlt werden muss." (Madörin, 88)

Die Überwindung der kapitalistischen Ökonomie wird als Ergebnis der Einführung neuer Kriterien der Bewertung gedacht. So argumentieren Biesecker, Hofmeister und Kuiper für einen ökologischen Wandel als ein "Jenseits des Wachstums", was durch den Rekurs auf die Produktivität und Wiederherstellungsaktivitäten der Natur und der Frauen vorstellbar wird. Ohne die Begrenztheit bestimmter, industriell in Waren umgewandelter Ressourcen zu bestreiten, werden die Entwicklungspotenziale gesellschaftlich unterentwickelter Bereiche betont. Wenn diese erst einmal mit Ressourcen ausgestattet werden - die dann allerdings anderer Art sind, als in der Industrieproduktion -, sei ein Anwachsen von Lebensqualität, die Entwicklung der Kultur und Zivilität zu erahnen, die für Erneuerung der Lebens- und Produktionsbedingungen Sorge trägt.

Dass "Bewertetes" und "Verwertetes" nicht mehr unterschieden werden sollen (Biesecker/ Hofmeister, 73), orientiert auf eine Umwälzung der anhand der Wertform geregelten gesellschaftlichen Verhältnisse, ohne die marxsche Kritik der Politischen Ökonomie zu reflektieren. Stattdessen wird ein qualitativer Produktivitätsbegriff an sozial-ökologischen Kriterien entwickelt. Die Kriterien sollen politisch bestimmt werden (74), sodass nicht mehr allein der Tauschwert als regelndes Maß des Ökonomischen wirkt. "Stoffwirtschaft" wird gegen "Geldwirtschaft" (ebd.) als ein "Neudenken des Ökonomischen" (73) in Stellung gebracht. Zuzustimmen ist der Einsicht, dass ein Umdenken auch in den theoretischen Instrumenten und gesellschaftlichen Angelpunkten des Ökonomischen ansetzen muss, um eine alternative Produktionsweise gesellschaftlich hervorzubringen. Aber viele Kategorien sind "objektive Gedankenformen", die in der Perspektive der Verf. in moralischer Appellform kritisiert werden.

Der Band liest sich als ein in der Sprache des Moralischen, der Rechtsform und gleichzeitig des Empirischen - als quantitative Sozialstatistik - gesprochenes Plädoyer für gleiche Belastungsaufteilung der gesellschaftlichen Arbeit für Männer und Frauen. Adressat ist das Personal sozialstaatlicher Verwaltung, eingefordert wird das Aufzeigen von Regelungsmöglichkeiten von oben (Razavi, 127). Von diesem Standpunkt aus wird die Aufforderung zur Wissenspolitik in feministischen Netzwerken (Caglar, 298) als sozialstaatliche Politikberatung ebenso selbstverständlich wie eine Wohlfahrtsstaatsreform, die unbezahlte und Care-Arbeit aufwertet "without reinforcing women's responsibilities for it, and which would enlarge their opportunities to choose not to be the only primary carer of children and other dependets" (Robeyns, 145). Darüber hinaus wird mehr Flexibilität eingefordert, um Care- und bezahlte Arbeit zu kombinieren: gute Kinderbetreuung, Teilzeit-Arbeit "on the same pro-ratio conditions as full time workers" (ebd.), die gleiche Selbstverständlichkeit der Care-Arbeit für Männer. Geschlechterpolitik wird zum staatlichen Verwaltungsakt. Unerkannt oder zumindest nicht-expliziert bleibt, dass eine Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse vor sich geht, sobald Gewicht, Ressourcen, Aufmerksamkeit auf Lebensproduktion statt auf Lebensmittelproduktion gerichtet wird.
Sissy Müller (Jena)

Quelle: Das Argument, 53. Jahrgang, 2011, S. 624-626

 

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