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Kategorie: Rezensionen

Henning Füller u. Nadine Marquardt: Die Sicherstellung von Urbanität. Innerstädtische Restrukturierung und soziale Kontrolle in Downtown Los Angeles. Münster 2010. 332 S.

Am Beispiel der Veränderungsprozesse in Downtown LA vollziehen Verf. nach, wie die Verwendung der programmatischen Formel "Urbanität" mit einer veränderten Sicherheitspolitik korreliert. Los Angeles gilt Vertreter/innen der Los Angeles School of Urbanism als Paradebeispiel für eine Stadt unter den Bedingungen "postfordistischer Erfordernisse" (106). Trotz Skepsis gegenüber der Verallgemeinerbarkeit der Befunde aus dem Fallbeispiel sehen Verf. die Möglichkeit, in der fragmentierten Metropolenregion "gegenwärtigen Regulierungsweisen" (107) auf einer abstrakten Ebene auf die Spur zu kommen. Zu diesem Zweck wird mit Hilfe der Machtanalytik Foucaults die "universale Imagination" (292) Urbanität sowie die Einbettung von Sicherheitspolitiken in die "Problematisierungen über das Städtische" (18) untersucht.

 

Der Fokus der Studie liegt auf dem polarisierten Gebiet der Central City, wo ein innerstädtisches Geschäftsviertel an das Gebiet Skid Row angrenzt. Letzteres wurde in den vergangenen Jahrzehnten im Rahmen einer gezielten "containment"-Politik zum Lebensmittelpunkt der größten Gruppe von Menschen ohne festen Wohnsitz in LA und ist durch eine hohe Konzentration von flankierenden Betreuungseinrichtungen gekennzeichnet. Nachdem die Innenstadt von Los Angeles bis in die 1990er Jahre mit Attributen wie "Leerstand, Verfall und Unsicherheit" belegt war, setzt im Zusammenkommen einer "wachsenden Nachfrage nach innerstädtischem Wohnen, baurechtlichen Erleichterungen, umfangreichen Finanzhilfen von staatlicher Seite und prestigeträchtigen Großprojekten" ein "Gentrifizierungsprozess der Dritten Welle" (112) ein. Dieser zeichnet sich vor allem durch das Engagement großer Immobilienkonzerne und der aktiven Förderung der öffentlichen Hand aus. Die Entwicklung geht mit einer zunehmend repressiven Kontrollpolitik einher, die sich vorrangig gegen die wohnungslose Bevölkerung Skid Rows richtet. Das Spektrum reicht hier von Workfare-Maßnahmen bis hin zu offensiven polizeilichen Vertreibungsstrategien.

Verf. attestieren der Gentrifizierungsforschung eine Vernachlässigung der symbolischen Dimension der Aufwertung. Die Analyse nimmt "über materielle Restrukturierung hinaus auch die veränderten Vorstellungen von der erstrebenswerten Stadt" (40) mit in den Blick, wie sie sich in Leitbildern und Programmen darstellen. Das Versprechen von Urbanität wird als das Scharnier identifiziert, das die Renaissance der Innenstädte mit veränderten Sicherheitspolitiken verbindet. Die Deutungsoffenheit des Begriffs erscheint notwendig, um im Rahmen einer "Renaissance der Stadt" eine "positive Vision innerstädtischen Wohnens zu artikulieren" (42). Urbanität erscheint programmatisch sowohl als Zustandsbeschreibung des Städtischen als auch als "Mittel zur Lösung der unterschiedlichsten Probleme" und weckt "Assoziationen von einer guten, solidarischen städtischen Gesellschaft" (43). Verf. zeichnen überzeugend nach, wie durch Verwendung der Zielvorstellung "Urbanität", verstanden als "maßvolle Unsicherheit" (277), die Nachfrage nach einem "urbanen Lebensstil" innerhalb der Restrukturierung der Innenstadt von LA überhaupt erst hergestellt wird. Die Verbindung der Begriffe "Renaissance" und "Sicherheit" wird von einem veränderten sicherheitspolitischen Zugriff begleitet. Eine Architektur der Kontrolle, raumbezogene
Prävention etwa durch die Anwendung einer Zero-Tolerance-Strategie und die Erfassung und Aufteilung der wohnungslosen Bevölkerung in Kategorien von Gefährlichkeit sollen einen differenzierten Zugriff ermöglichen. Die "Regulierung der Sichtbarkeit" (233) drückt sich etwa in der Tolerierung der Anwesenheit von Wohnungslosen in den Bürogebieten der Innenstadt bei Nacht aus, während tagsüber repressiv gegen sichtbare Wohnungslosigkeit vorgegangen wird. Auf diese Weise wird einerseits gefühlte Sicherheit garantiert, während die "dunkle Seite von Urbanität" in Form der wohnungslosen Bevölkerung als "Stabilisierung bürgerlicher Identität" (276) in greifbarer Nähe bleibt.

In abgestuften sicherheitspolitischen Maßnahmen, die die Restrukturierung der Innenstadt begleiten, zeigt sich die Kontinuität, mit der Armut nach Würdigkeit oder Unwürdigkeit eingeteilt wird. Kleinteilige statistische Erfassung sowie die Rede von Ansteckung und Gefährdung der respektableren Schichten erreichen hier möglicherweise eine neue Intensität. Sie stehen allerdings in einer langen Tradition der Stadtforschung und Sicherheitspolitiken, die im vorliegenden Band nicht ausreichend berücksichtigt wird.

Verf. zeigen, wie die zunächst offene und positiv konnotierte Vorstellung von Urbanität dazu dient, Kontrollaspekte programmatisch zu verschleiern und mangelnde Teilhabemöglichkeiten diskursiv zu naturalisieren. Analog zur Idealisierung der "Europäischen Stadt" wird Urbanität in den untersuchten Programmen ohne das komplexe System von Bedingungen und Ausschlüssen thematisiert, auf der beide Vorstellungen beruhen. Schließlich will die Studie aufzeigen, wo "Ordnungsvorstellungen nicht bruchlos aufgehen können". Aufgabe sozialer Bewegungen sei es, an diesen "Bruchstellen [...] in das Spiel der Machtverhältnisse einzugreifen" (297). Geschuldet einer Perspektive, die sich im Falle der Gouvernementalitätsstudien für Regierungsrationalitäten und im Falle der Gentrifizierungsforschung für die Figur der erwünschten urbanen Pioniere interessiert, bleiben die Adressat/innen dieser Forderung als auch die von der Restrukturierung Betroffenen im Dunkeln.
Florian Hohenstatt (Hamburg)

Quelle: Das Argument, 53. Jahrgang, 2011, S. 781-782

 

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