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Kategorie: Rezensionen

Manfred Büttner (Hg.): Geisteshaltung und Stadtgestaltung. Referate, gehalten auf dem Geographentag in Potsdam 1995. Frankfurt/M. 1997. 374 Seiten.

Geographie der Geisteshaltung - was ist das? Oder was könnte das sein? Worin unterscheidet sich eine Geographie der Geisteshaltung von anderen Fachkonzeptionen?
Was kann und will sie eigenes leisten im Gegensatz, in Ergänzung oder im Vergleich zur Mentalitätsforschung oder der Wahrnehmungsgeographie? Und warum ist der Begriff "Geisteshaltung" gerade im Zusammenhang mit Fragen der Stadtgestaltung besonders produktiv? Diese und ähnliche Fragen brannten mir unter den Nägeln, als ich den Titel der Publikation las. Denn die Überschrift macht neugierig. Der Terminus "Geisteshaltung" verspricht eine originelle Betrachtungsweise, die so traditionell klingt, daß sie fast schon wieder aktuell sein könnte. Und auch die in dem Band versammelten Autoren stellen eine interessante Mischung unterschiedlicher fachwissenschaftlicher Perspektiven dar.
So viele Fragen ich vor der Lektüre hatte, so viel Verwunderliches begegnete mir im Laufe der geistigen Durchwanderung von Seite zu Seite. Am Ende muß ich zugeben, verstehe ich nicht wirklich, was vor allem der Herausgeber, manchmal einzelne Autoren und auch der Verlag mit diesem Buch, das gleichzeitig der erste Band einer neuen Schriftenreihe "Geographie im Kontext" ist, bezwecken wollen. Worin bestehen meine Verständnisprobleme?
Manfred Büttner ist sowohl der Herausgeber der Schriftenreihe als auch der Herausgeber des vorliegendes Bandes. Nicht weniger als fünf der insgesamt 17 inhaltlichen Beiträge stammen aus seiner Feder. Hinzu kommen zwei weitere Texte, die er in seiner Doppelfunktion als Herausgeber von Reihe und Band als Vorworte schreibt. Trotz der insgesamt sieben Texte Büttners gelingt es ihm in meinen Augen leider nicht, eine präzise Aufgabenstellung des Sammelbandes oder eine einleuchtende Systematik der Beiträge zu präsentieren. Weder aus einem der beiden Vorworte noch der Einleitung wird deutlich, in welchem Verhältnis eine Geographie der Geisteshaltung zur Sozial- oder Wahrnehmungsgeographie, zur Mentalitäten- oder Identitätsforschung steht. Die schönen deutschen Wörter "Geist" und "Geisteshaltung" werden zwar verwendet, aber nicht auf ihren Gehalt und ihre heutige Tragfähigkeit hin überprüft. Damit bleiben für mich zwei sehr wesentliche Fragen offen. Die Sinn- und Zweckhaftigkeit einer Geographie der Geisteshaltung bleibt ungeklärt in der Schwebe. Das aber ist kein guter wissenschaftlicher Stil. Denn wenn wir uns in wissenschaftlichen Diskursen nicht immer wieder bewußt bemühen, auf bestehende Beiträge, Konzepte und Argumentationslinien Bezug zu nehmen, so zerrinnen uns die Erträge der Wissensproduktion zwischen den Fingern. Auf diese Weise ist Erkenntnisfortschritt nicht wirklich möglich.
Die fehlende konzeptionelle Einordnung und Diskussion der Aufgabenstellung des Sammelbands schlägt sich in der Folge auch in seiner opaken Systematik nieder. So gliedert sich das Buch in drei Abschnitte. Der erste Teil nimmt den Buchtitel direkt spiegelverkehrt wieder auf. Er widmet sich also dem Thema "Stadtgestaltung und Geisteshaltung". In den Kapiteln zwei und drei werden zunächst "Regionale Identitäten und Geisteshaltung" und schließlich Beiträge zur "Geographiegeschichte" präsentiert. Warum ein Sammelband über Geisteshaltung und Stadtgestaltung zu einem Drittel aus Beiträgen zur Geographiegeschichte bestehen muß, ist weder von selbst einsichtig noch wird es begründet. Und warum der interessante Beitrag von Josef Birkenhauer zum "Gang der Kultur über die Erde - Zu einem geographiegeschichtlichen Topos" nicht in dem eigens der Geographiegeschichte gewidmeten Kapitel drei eingeordnet ist, sondern schon im zweiten Abschnitt auftaucht, ist undurchsichtig. Schon solche offensichtlichen Gliederungsfehler deuten darauf hin, daß über die Struktur des Gesamtwerkes nicht konsequent nachgedacht wurde.
Am Ende bleiben einer Leserin dieses Bandes deshalb zwar einzelne gute Beiträge in der Erinnerung, die man als solche individuell genießen kann. Diese Aufsätze könnten jedoch fast genauso gut isoliert in einer Fachzeitschrift veröffentlicht sein und wären dort ebenso zugänglich und verständlich, weil sie intellektuell auf eigenen Füßen stehen und in sich schlüssig sind. So macht es etwa Freude, Erdmann Gormsens reich bebilderter Schilderung über den "Städtebau im Wandel gesellschaftlicher Leitbilder" zu folgen oder Lutz Holzners pointierte Sichtweise zur "Geisteshaltung des Pluralismus" in den USA knapp und präzise präsentiert zu bekommen. Auch Jürgen Strassels Interpretationen zur inhaltlichen Bedeutung von Stadtparks als Interpretationsfolie und "Beitrag zu vielen gesellschaftlichen Diskursen" (119) über Natur, Kunst, Arbeit oder Freizeit ist inspirierend. Diese und weitere Beiträge wie der von Wolfgang Aschauer über die Ethnizität der Donauschwaben sind einzeln betrachtet sehr interessant. In der Zusammenstellung des Sammelbandes unter der leider im Nebulösen gelassenen Wolke der "Geisteshaltung" gewinnen sie jedoch im wechselseitigen Zusammenspiel nichts an Kraft, gemeinsamer Aussage oder Bedeutung. Deshalb ist es eigentlich fast schon bedauerlich, daß sich einzelne so gute Texte in einem insgesamt mißlungenen Sammelband verbergen.
Autorin: Ilse Helbrecht

Quelle: geographische revue, 3. Jahrgang, 2001, Heft 1, S. 78-79