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Kategorie: Rezensionen

Eike W. Schamp: Vernetzte Produktion. Industriegeographie aus institutioneller Perspektive. Darmstadt 2000. 248 S.

Ausganggspunkt des Buches sind die dramatischen Veränderungen der industriellen Produktion in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Flexibilisierung der Produktion, Globalisierung, neue IuK-Techniken, Unternehmensnetzwerke - die Stichworte sind schnell bei der Hand, und sie erzwingen nach Schamp eine grundlegende Selbstverständigung in der (deutschen) Industriegeographie: "Die sozialwissenschaftlichen Theorien haben gezeigt, dass traditionelle ökonomische Ansätze, die überwiegend auf dem Faktor Transportkosten beruhen, nicht mehr ausreichen: Eine sozio-ökonomische Begründung im weiteren Sinne ist notwendig." Es bedarf heute "einer systemischen Sichtweise der Industriewirtschaft", die eine institutionenökonomisch und evolutorisch ausgerichtete Regionalforschung leisten soll. Aufgabe des Buches ist es, die entsprechenden Konzepte kurz vorzustellen, aufeinander zu beziehen und ihren empirischen Ertrag zu überprüfen.
Im ersten Abschnitt stellt Schamp das weitgehend bekannte Spektrum von Theorieansätzen (Zyklentheorien, Regulationstheorien, Institutionenökonomie, evolutorische Ökonomie) vor. Im (auch vom Umfang her) zentralen zweiten Abschnitt wird dann die Bedeutung der Institutionen in der industriellen Produktion untersucht. Hier wird zuerst die Produktion als technisch-organisatorisches System bestimmt, dann räumliche Strukturen für das Einzelunternehmen und schließlich für ein Netzwerk von Unternehmen betrachtet. Einige Aussagen zu den institutionellen Ebenen des Marktes und des Staates schließen diesen Abschnitt ab. Der dritte Abschnitt bezieht dieses Theorieangebot auf das Problem der regionalen Entwicklung, und der vierte Abschnitt formuliert ein Zwischenresümee für die industriegeographische Forschung.
Im Spektrum der vorliegenden Bestandsaufnahmen und Einführungen, die in ähnlicher Weise eine Umorientierung der Industriegeographie fordern, hat Schamps Buch einige Vorzüge: Es bringt eine weitgefasste Zusammenschau der verschiedenen Theoriebausteine, vermittelt diese sehr unprätentiös und bezieht zahlreiche empirische Befunde mit ein. Der weite Theoriehorizont wird beispielsweise in dem Kapitel über die "Industriewirtschaft als verbundenes System" deutlich, wo Schamp relativ unbekannte bzw. im deutschen Sprachraum noch kaum behandelte Ansätze referiert. Der Reichtum des empirischen Fundus ist vor allem bei der Betrachtung der regionalen Entwicklung augenfällig. Hier werden neben den bekannten Raumtypen der alten Industrieregionen und der neuen Technologieräume auch industrielle Entwicklungsländer und die postsozialistischen Transformationsländer einbezogen. Die empirische Evidenz und die Formen von regionaler Spezialisierung und Netzwerkbildung sind in diesen Raumtypen noch wenig untersucht. Dabei ist der Vergleich unterschiedlicher Gesellschafts- und Raumtypen für eine institutionell ausgerichtete Industriegeographie zweifellos eine wesentliche Aufgabe.
Schamp möchte nach eigenem Bekunden den Zwischenstand der geleisteten Arbeit dokumentieren. Dieses hochgesteckte Ziel erfüllt er überzeugend. Und unter der Hand belegt dieses Buch noch mehr. Bereits zu Beginn der Debatte über die Industriedistrikte am Ende der 80er Jahre war eingewandt worden, es handle sich hier um Theoriekonzepte, in denen die regionale Verflechtung zugunsten anderer sozioökonomischer Fakten und Trends überhöht werde. Gerade Schamps akribische Sichtung des empirischen Materials und seine zurückhaltenden Bewertungen lassen die diskutierten Befunde um so stichhaltiger erscheinen. Und überblickt man die Summe der empirischen Ergebnisse, dann spricht doch mehr für die Relevanz institutionengeleiteter Ansätze als dies einige der Protagonisten zur Zeit selbst annehmen mögen.
Für die deutsche Industriegeographie ist dieses Buch Teil eines Aufholprozesses vor allem gegenüber den angelsächsischen Vertretern. Nicht die bloße Raumausstattung (und schon gar nicht die naturgegebenen Lagequalitäten) bestimmen die regionalökonomische Struktur, sondern spezifische Wertschöpfungszusammenhänge einschließlich deren Verbindungen zu gesellschaftlichen Institutionen. Daß ein gutes Stück Weg zu gehen bleibt, zeigt sich, wenn Schamp noch pauschal eine Versozialwissenschaftlichung der Industriegeographie und eine Abkehr von Natur- und Technikdeterminismus fordern muß. Erst wenn dies akademischer Standard geworden ist, wird die Debatte um die Eignung der verschiedenen sozialwissenschaftlichen Konzepte auch in Deutschland Früchte tragen.
Autor: Christoph Scheuplein

Quelle: geographische revue, 3. Jahrgang, 2001, Heft 1, S. 84-85