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Kategorie: Rezensionen

Beate M. W. Ratter: Natur, Kultur und Komplexität: Adaptives Umweltmanagement am Niagara Escarpment in Ontario, Kanada. Berlin, Heidelberg u.a. 2001. 315 S.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Es ist für die Verfasserin wie den Verlag gut, daß die Arbeit in die interdisziplinäre Reihe Umweltnatur- und Umweltsozialwissenschaften des Springer Verlages Aufnahme fand. Den damit verbundenen hohen Erwartungen wird die Publikation voll gerecht.

Die hier veröffentlichte Habilitationsschrift widmet sich der nachhaltigen Landschaftsentwicklung und Ressourcennutzung und demonstriert dies am Beispiel der Niagara Schichtstufe in Süd-Ontario. Es geht um die Frage, wie der Mensch und seine gesellschaftlichen Systeme mit der Umwelt umgehen oder umgehen sollten, d.?h. wie sie die Natur nutzen und schützen sollen. Vorrangiges Ziel ist der Nachweis, dass das Mensch/Natur-Verhältnis als System zu interpretieren ist, das sich nicht-linear verhält, sich nur schrittweise und fallibilistisch beeinflussen läßt und in hohem Maße kulturbestimmt ist. Nur ein lernendes, adaptives Management kann dabei steuernd eingreifen.
Das Buch enthält im wesentlichen drei Teile. Im ersten (nach Einleitung: Kapitel zwei und drei) werden grundlegende Begriffe und Theorien diskutiert. Schon wie im ‚Prolegomena' die aktuellen und für die Arbeit zentralen Termini Umwelt, Ressourcen, Nachhaltigkeit und Management in erfrischend unkonventioneller, dennoch präziser und ganz auf den Zweck der Arbeit konzentrierter Weise entfaltet werden, läßt aufmerken und macht gespannt auf die folgenden Abschnitte. Dort werden grundlegende Theorien erörtert, wobei die Verfasserin weit ausholt, indem sie die Allgemeinen Systemwissenschaft, die Naturphilosophie und die Humanökologie daraufhin untersucht, wie sie für die weitere Arbeit nutzbar gemacht werden können. Das Leitbild des Gleichgewichts und der allmählichen Veränderung wird verworfen und abgelöst durch eine Sichtweise, die den nicht-linearen Veränderungen, den Sprüngen und Unsicherheiten gerecht zu werden versucht. So ergibt sich folgerichtig die Auseinandersetzung und Einbeziehung der Komplexitätstheorie. Konsequent werden sodann detaillierte Forschungsfragen für die Fallstudie entwickelt. Die Art und Weise wie insbesondere die Komplexitätstheorie als Ideengenerator und kulturökologische Ansätze der Ecohistory für das allgemeine Verständnis von Mensch/Natur-Beziehungen fruchtbar und gleichzeitig als Konzeption für die anschließende konkrete kulturhistorische Analyse von Gesellschaften und ihrem Umgang mit Umwelt und Ressourcen konstruktiv umgesetzt werden, verdient hohe Anerkennung. Es gelingt eine stichhaltige Begründung der empirischen Untersuchung und damit eine über diese hinaus weisende erkenntnisförderliche Diskussion. Frau Ratter schlägt hier nicht nur eine Brücke zwischen Theorien und konzeptioneller Anwendung, sondern gleichzeitig zwischen deutschsprachiger Ökosystemforschung und kanadisch/amerikanischer Ressourcengeographie.
Die Fallstudie bildet den zweiten Teil (Kap. 4) der Arbeit. Entsprechend den systemtheoretischen Überlegungen werden die Mensch/Umwelt-Beziehungen auf drei Maßstabsebenen analysiert. Zunächst stellt Frau Ratter Ontario als Systemumwelt des Planungsgebietes dar, indem die ökologische Geschichte dieser Provinz skizziert und der Frage nachgegangen wird, in welcher Weise Landschaften und Ökosysteme durch die sich wandelnden sozio-ökonomischen, politischen und kulturellen Rahmenbedingungen beeinflusst wurden. Nach der Darstellung des geophysischen und biologischen Raumpotentials werden auch die ökologischen Veränderungen in der Zeit vor der europäischen Besiedlung berücksichtigt, bevor auf die Entwicklung von Raumorganisation, Raumlage und Raumperzeption seit der europäischen Inbesitznahme eingegangen wird. Auch hier gelingt es der Verfasserin kenntnisreich und sehr geschickt, die erforderlichen Detailfakten darzulegen, ohne dass diese als Selbstzweck erscheinen; vielmehr bleibt das übergeordnete Ziel jederzeit transparent.
Im Zentrum diese Teiles steht die Planungseinheit der Niagara Schichtstufe. Diese wird konsequent als System behandelt und die funktionalen Subsysteme Umwelt (physisch-biotischer Komplex), Wirtschaft (sozio-ökonomsicher Komplex) und Planung (politisch-planerische Komplex) erörtert. Geradezu spannend liest sich die Entstehung und Verwirklichung des Niagara-Escarpment-Plan. Deutlich wird herausgearbeitet, wie sich die Methoden der Planung und die damit verknüpften Konflikte zwischen Ökonomie und Ökologie in Ontario veränderten. Konkret wird vorgeführt, wie durchaus überzeugende Planungsvorstellungen wegen des Mangels einer ‚adaptiven Managementmethode' und der Planung von oben zu Widerständen bei der Umsetzung führen können.
Schließlich werden die recht verschieden verlaufenden Aktionen und Reaktionen im Planungsprozess in noch höherer maßstäblicher Auflösung, nämlich in zwei aneinander grenzenden Kreisen (den counties Bruce und Grey) untersucht. Damit wird auf lokaler Ebene analysiert, wie unterschiedliche historisch-kulturelle Faktoren zu einem je spezifisch bestimmten Systemverhalten führen. Auch hier versteht es die Verfasserin, die Begriffsanalogien zur Komplexitätstheorie sowie Ansätze der Humanökologie und Ecohistory konstruktiv für das bessere Verständnis von Gemeinsamkeiten und Unterschieden in der Entwicklung der beiden Kreise einzusetzen. - Die Auswahl der behandelten Kreise überrascht allerdings zunächst. Beide liegen relativ abseits vom dichter besiedelten und intensiv genutzten Süden mit seinen bekannten Planungskonflikten, wie sie z.?B. von Krueger (u.?a. 1977 u. 1982) bearbeitet wurden. Eine Gegenüberstellung der Entwicklungen im Nord- und Südteil des Niagara-Escarpment-Plan wäre daher sicherlich auch aufschlussreich gewesen. Ausschlaggebend für die Beispielwahl waren aber offenbar weniger die gegebenen strukturellen Unterschiede als vielmehr die unterschiedliche Akzeptanz des Niagara-Schichtstufen Landnutzungsplans. So konnte vermutlich die Bedeutung von Schlüsselpersonen für die Planungskultur und Planungsakzeptanz besser herausgestellt werden. Der zweite Teil wird sodann sinnvoll abgeschlossen mit zusammenfassenden, prägnant formulierten Antworten auf die im theoretischen Teil entwickelten Fragen.
Die Fallstudie basiert auf einer sorgfältigen Auswertung der einschlägigen Literatur unter Einbeziehung lokalen/regionalen Archivmaterials, der Lokalpresse und Interviews mit einer Vielzahl von Informanten, die durch eine systematische Befragung von 130 Personen in den genannten Counties ergänzt wurden. Anhand von vorstrukturierten, jedoch offenen Fragebögen konnte im Sinne der Arbeit ein stark qualitativ bestimmtes Material gewonnen werden.
Die im Schlußkapitel vorgetragenen Konsequenzen für das Umweltmanagement bzw. für eine ‚Ressourcengeographie' können als Leitfaden für die Gestaltung konkreter Mensch/Natur-Beziehungen verstanden werden und leisten gleichzeitig einen Beitrag zur (allgemeinen) Theoretischen Geographie (im Sinne E. Wirths). Theorie und Empirie der Arbeit zeigen die Notwendigkeit eines Paradigmawechsels von der Planung zu Managementstrategien, die dem steten Wandel und den prinzipiellen Entwicklungsunsicherheiten angepaßt sind. Dies führt im Interesse der Zukunftsvorsorge und der Nachhaltigkeit zur Forderung nach adaptivem, die Bürger in verschiedenen Phasen partizipierendem Management. Das komplexe Mensch/Natur-Verhältnis kann demnach nicht in großen Planungsentwürfen, sondern nur mit einem reformistischen, Schritt für Schritt vorangehenden, auf Verhandlung und Dialog vertrauenden Verfahren erfolgversprechend beeinflusst werden. Dies nachzuweisen gelingt Frau Ratter anregend und überzeugend.
Dabei darf angemerkt werden, daß die Lektüre wegen der oft erfrischend sinnreichen Formulierungen, der gedanklichen Stringenz und der souveräne Behandlung der Fallstudie dem Rezensenten viel Freude bereitete.
Literatur
Wirth, E. (1979): Theoretische Geographie: Grundzüge einer Theoretischen Kulturgeographie. Stuttgart: Teubner (Teubner-Studiebücher: Geographie).
Krueger, R. R. (1977): The Destruction of a Unique Renewable Resource: The Case of the Niagara Fruit Belt. R. R. Krueger and B. Mitchell: Managing Canada's Renewable Resources. Toronto: Methuen, S. 132-148.
Krueger, R. R (1982): The Struggel to Preserve Specialty Crop Land in the Rural-Urban Fringe of the Niagara Peninsula of Ontario. Environments 14, S. 1-10.
Autor: Roland Vogelsang

Quelle: Geographische Zeitschrift, 89. Jahrgang, 2001, Heft 4, Seite 249-250