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Kategorie: Rezensionen

Peter Wood (Ed.): Consultancy and Innovation. The Business Service Revolution in Europe. London, New York 2002 (Routledge Studies in International Business and the World Economy). 384 S.

Was hat das Wachstum wissensintensiver Wirtschaftsberatung mit der Innovationstätigkeit in Europa zu tun? Dieser Frage widmete sich das von der EU finanzierte "thematische Netzwerk" KISINN (Knowledge Intensive Services and Innovation), dessen Ergebnisse von Peter Wood in einem Sammelband herausgegeben werden. Die Beobachtung des europaweit parallelen Wachstums wissensintensiver Dienstleistungen einerseits und zunehmender Innovationstätigkeit andererseits bildet den Ausgangspunkt der Analyse.

Das Buch verfolgt dabei die Hypothese, daß unternehmensorientierte Beratungsdienste eine immer größere Rolle in der Unterstützung und Auslösung von Prozessen des Wandels und der Innovation bei Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen spielen (S. 7). Neben der Klärung des Zusammenhangs dieser Entwicklungen suchen der Herausgeber und 16 weitere Autoren nach Empfehlungen dafür, wie Beratungsaktivitäten in alternative Ansätze nationaler und regionaler Innovationspolitiken einbezogen werden können. Das Buch unterteilt sich und zerfällt gleichsam in einen konzeptionellen und einen Teil mit empirischen Länderstudien. Der Beitrag des Herausgebers zu diesem Buch ist auffallend groß: Fünf der zwölf Kapitel und somit alle konzeptionellen Kapitel stammen allein von Peter Wood. Hier definiert er die zentralen Begrifflichkeiten und formuliert den Forschungsrahmen der Untersuchung. Beratung (consultancy) wird hierbei im weitesten Sinne als jegliche Form des Austauschs von Expertise zwischen Kunden und wissensintensiven Dienstleistern verstanden (S. 6). Die Rolle der Wirtschaftsberatung im Innovationsprozeß wird in Kapitel 1 vor dem Hintergrund des konzeptionellen Wandels in der Innovationstheorie diskutiert. Als Ausgangspunkt dient das traditionelle, lineare Innovationsmodell. Gegenüber dessen programmatischer Beschränkung auf technologischen Fortschritt im verarbeitenden Gewerbe argumentiert Wood für ein interaktives Innovationsmodell, das die inkrementale der radikalen und die interaktive der linearen Innovation gegenüberstellt. Er fordert somit einen Rahmen dafür, stärker organisatorische Aspekte des Innovationsprozesses zu würdigen. Kapitel 2 analysiert die Ursachen und Formen des europaweit starken Wachstums von Wirtschafts- und Politikberatung vor dem Hintergrund zunehmender Internationalisierung, Differenzierung und Flexibilisierung von Produkten und Märkten. Das Kapitel liefert eine umfassende Zusammenschau der Ursachen für den erheblichen Nachfrageanstieg externer Beratungsdienste, wie z.B. die Restrukturierung der Kapitalmärkte, der technologische Wandel und die Zunahme der internationalen Wertschöpfungsverflechtungen. Diese bedingen wiederum eine zunehmende Internationalisierung der Beratungsaktivitäten selbst, woraus einige Fragen über die Quellen und Flüsse von innovationswirksamem Wissen abgeleitet werden.
 Kapitel 3 geht diesen Fragen genauer nach, indem es die Funktion der Wirtschaftsberatung im Innovationsprozeß konzipiert. Ausgehend von der einfachen Auslagerung von Routineprozessen über den Transfer von best practice-Lösungen zwischen Unternehmen oder Industrien werden die Innovationswirkungen der Beratung bis hin zur originären Einbindung in Produkt- oder Prozeßneuerungen oder der Entwicklung von Managementtechniken und Wettbewerbstrategien unterschieden. Im Mittelpunkt der Argumentation steht die Entwicklung eines Innovationsmodells, das neben den verschiedenen Graden der Einbindung in Innovationsleistungen vor allem die geographischen Maßstabsebenen des Innovationsflusses einbezieht. Das System innovativen Wissenstransfers (S. 78ff.) bildet den konzeptionellen Kern des Buchs. Hier unterscheidet Wood sowohl für Kunden- als auch für Beratungsorganisationen regionale, nationale und globale Unternehmen. Unter der Annahme, daß Kunden die Treiber der Innovationstätigkeit sind und Berater hauptsächlich als Katalysatoren von Methoden und Wissen fungieren, steht eine Reihe notwendiger Beziehungen im Vordergrund. Grundsätzlich wird ein Strom des Wissensaustauschs von Kunden zu Beratern und von globaler über nationale zu regionaler Maßstabsebene angenommen. Entgegen diesem Hauptstrom existieren ferner kontingente Beziehungen, also mögliche und unterstützende Linien des Wissenstransfers, einerseits zwischen Beratern unterschiedlicher Maßstabsebenen sowie auch direkt zwischen globalen Kunden und national oder regional begrenzten Beratungsunternehmen. Die Stärke des Modells liegt in der Umrahmung der Komplexität möglicher Austauschbeziehungen. Allerdings muß man der Vorrangstellung geographischer Maßstabsebenen zur Analyse der Wissensströme nicht unbedingt folgen. Daher scheint das Konzept eher als deskriptives Ordnungs- denn als Erklärungsschema Gewinn zu versprechen. Der zweite Teil des Buchs präsentiert Länderstudien von Frankreich (Farcy/Moulaert/Gallouj), Deutschland (Strambach), den Niederlanden (Manshanden/ Lambooy/van der Vegt), Großbritannien (Wood), Italien (Cavola/Martinelli), Griechenland (Delladetsima/Kotsambopoulos), Portugal (André/ Areosa Feio/Ferrão) und Spanien (Rubalcaba/ Cuadrado). Die Vorzüge dieser Berichte liegen zum einen in der stringenten Struktur der Analysen. So werden für jedes Land sektorale und regionale Angebots- und Nachfragestruktur, ihre historische Entwicklung und die Ansätze der nationalen und regionalen Förder- und Innovationspolitiken analysiert. Zum anderen werden diese Entwicklungstrends umfassend mithilfe von Sekundärstatistiken illustriert. Leider sind nur für Deutschland, Großbritannien, Portugal und Spanien die Entwicklungslinien bis über das Jahr 1995 hinaus aufbereitet, wodurch gerade die Boomphase wissensintensiver Dienstleistungen während der späten 1990er Jahre zumindest statistisch nicht gleichförmig erfaßt wird. Dennoch sind die Länderanalysen aufgrund des konsistenten Aufbaus gut vergleichbar und lassen die Leitlinien der Entwicklung wissensintensiver Dienste erkennen: Der erhebliche Angebots- und Beschäftigungsanstieg ebenso wie die starke Segmentierung der nationalen Anbietermärkte in wenige große, multinationale Unternehmen und eine hohe Zahl kleinster, kleiner und mittlerer Unternehmen werden länderübergreifend sichtbar. Ein weiterer Trend zeigt sich in der starken geographischen Konzentration der Beschäftigung in den wissensintensiven Dienstleistungen auf die jeweils dominierenden Agglomerationsräume. Gleichzeitig werden aber, wie am Beispiel von Paris, auch relative Dekonzentrationsprozesse erkennbar, die ihre Ursache in dem starken Wachstum kleiner und mittlerer Unternehmen in anderen Regionen finden (Kap. 4). Aus den ausgewählten Fallstudien geht ferner hervor, daß Beratungsdienstleister ihren Innovationsbeitrag vor allem in der Leistungssteigerung und Prozeßverbesserung ihrer Kundenorganisationen erkennen. Quellen der Innovationsunterstützung von Kunden liegen zumeist in der Vermarktung, Organisation und Strategie. Beratung wird aus zahlreichen Länderanalysen heraus letztlich immer wieder als Katalysator identifiziert, der in einen Prozeß des Wandels von Organisationen eingebunden ist.
 Durch die Umstellung der nationalen Wirtschaftssystematiken auf eine einheitliche europäische Wirtschaftsklassensystematik (NACE) werden den Autoren Längsschnittvergleiche innerhalb der Länder ab dem Jahr 1993 zwar erschwert. Jedoch wird die Chance, die durch die Vereinheitlichung zu länderübergreifenden Querschnittsvergleichen entsteht, im letzten Kapitel nur partiell wahrgenommen. Der Hauptunterschied der Entwicklung wird zwischen den nördlichen und südlichen Staaten Europas erkannt. Während Deutschland, Frankreich, Niederlande, Großbritannien und der Norden Italiens vor allem industrielle Restrukturierungsprozesse erfuhren, zeigt sich in Spanien, Portugal, Griechenland und dem mittleren und südlichen Italien ein eher nachholender technologischer und wirtschaftlicher Entwicklungsprozeß. Dies erklärt auch den wesentlich stärker entwickelten Markt kleiner und mittlerer, oftmals regional tätiger Beratungsunternehmen in den nördlichen Ländern sowie den höheren Anteil an strategischen und innovationsrelevanteren Beratungsprojekten gegenüber eher Routinediensten und Auslagerungsprojekten in den südlicheren Ländern (z.B. Griechenland und Spanien). Die Autoren identifizieren europaweit eine Reihe von Hemmnissen für eine wirksamere Einbeziehung externer Beratung in unternehmerische Innovationsprozesse. Durch die segmentierte Nachfragestruktur fragen große Unternehmen Berater regelmäßiger und viel eher auf strategischer Ebene nach, während kleine und mittlere Unternehmen überwiegend, wenn überhaupt, Routineaufgaben an Berater auslagern. Ferner überwiegt in den innovationspolitischen Ansätzen der untersuchten Staaten nach wie vor die Betonung technologischer Innovativität, wodurch der innovationsunterstützenden Wirkung privater Wirtschaftsberatung bislang kaum Rechnung getragen wurde. Auch institutionelle Rahmenbedingungen stehen vielerorts noch der vermehrten Nachfrage nach externen Beratungsleistungen entgegen: So stellen ‚anti-consultancy'-Geschäftskulturen (S. 357) z.T. erhebliche Barrieren für den noch jungen Wandel zur externen Beteiligung im Innovationsprozeß gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen dar. Konventionen der Selbständigkeit und Geschlossenheit, wie z.B. mangelnde Erneuerung des Humankapitals durch interne Stellenbesetzung und Ausbildung wirken ebenfalls lähmend. In Zusammenfassung der einzelnen Beiträge kommt Wood zu dem Ergebnis, daß die bisherige Entwicklung bestehende Entwicklungsunterschiede eher polarisiert als ausgeglichen hat: "policies ... generally support established success" (S. 356). In den meisten Ländern konnte nur ein fehlendes oder erst entstehendes Bewußtsein in der Innovations- und Förderpolitik für den Beitrag von Beratungstätigkeiten zur Innovativität von Unternehmen beobachtet werden, da zumeist noch Philosophien des linearen Fortschritts und der FuE-intensiven Industrieförderung vorherrschen.
 Welche Schlüsse sind also für eine veränderte Innovationspolitik zu gewinnen? Das Buch kann mit Farcy/Moulaert/Gallouj (S. 120) als ein Plädoyer dafür aufgefaßt werden, unter dem Paradigma der learning economy Innovationen weniger in der direkten Förderung von FuE-Aktivitäten zu sehen als vielmehr in der Unterstützung von unternehmensübergreifenden Netzwerken, die ihrerseits die Grundlage für organisatorische Lern- und Innovationsprozesse bilden. Dabei stützt sich der Band insbesondere auf das Positionspapier der Europäischen Kommission 1993 zu Wachstum, Wettbewerb und Beschäftigung, das die organisatorischen, marktbezogenen und strategischen Anpassungen und Innovationen in Unternehmen hervorhebt. Positive Ansätze werden in der Förderung intermediärer Akteure in der Regional- und Wirtschaftspolitik gewürdigt, deren Erfolg Strambach (Kap. 5) für Baden-Württemberg durch die zunehmende privatwirtschaftliche Beratungstätigkeit ehemals nur vermittelnder Einrichtungen (z.B. Steinbeistiftung) nachweist.
 Letztlich kann das Buch die Ausgangsfrage aber nicht erschöpfend beantworten. Denn die Autoren räumen selbst ein, daß die bisherige empirische Forschung kaum klare Nachweise über den Grad und die Qualität der Innovationswirksamkeit von Beratungsunternehmen erbracht hat. Daher ist es schade, daß das Projekt mit Ausnahme der früheren Arbeiten der Autoren nicht auf originäre Primärforschung zurückgreifen kann, um eine konzeptionell abgestimmte, direkte Analyse der Ausgangsfrage über den Zusammenhang von Innovationstätigkeit und Beratung zu leisten. Da das Buch aber aus 250 Buchbesprechungen einem "thematischen Netzwerk" der EU hervorgeht, das a priori nur eine Zusammenschau der vorhandenen Forschungen zum Ziel hatte (S. 9), kann dem Buch dieser Mangel nicht vorgeworfen werden. Vielmehr dient das Buch gerade als Anstoß und Aufruf für eine stärkere Hinwendung zur Erforschung wissensintensiver Dienstleistungen. Der Text liefert eine Reihe gelungener Sekundäranalysen europäischer Beratungsmärkte, entwickelt Hypothesen, stellt ein System des geographischen Wissenstransfers vor und schafft somit gute Voraussetzungen für eine weiterführende Debatte um den Beitrag externer wissensintensiver Dienstleistungen zur Innovativität.
Autor: Johannes Glückler  

Quelle: Geographische Zeitschrift, 90. Jahrgang, 2002, Heft 3 u. 4, Seite 247-250