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Kategorie: Rezensionen

Holger Schiele: Strategisches Management in Wertschöpfungssystemen: Clusterbezogene Umweltanalyse - Gestaltungsempfehlungen - Anwendungsfall. Wiesbaden 2001. 363 S.

Cluster im Sinne sektoral-räumlicher Konzentrationen ökonomischer Aktivitäten werden derzeit in der Wissenschaft intensiv diskutiert. Holger Schiele untersucht in der publizierten Fassung seiner Dissertation, die am Lehrstuhl für Unternehmensführung und Organisation von Prof. Dr. Claus Steinle in Hannover entstanden ist, das Phänomen der Clusterung aus dem Blickwinkel des strategischen Managements.

Hierbei sind nach Ansicht des Autors für unternehmerische Akteure drei zentrale Fragen von Bedeutung (S. 4f.):
 • Findet in der analysierten Industrie Clusterung statt?
 • Ist die untersuchte Unternehmung Mitglied jenes Wertschöpfungssystems, welches die Chance hat, sich global durchzusetzen?
 • Wie kann die "Clusterevolution" im Sinne der betrachteten Unternehmung genutzt werden?
 Zunächst widmet sich der Autor im Kapitel zwei (S. 9 bis 46) dem gedanklichen Fundament des Ansatzes der Wertschöpfungssysteme (kybernetisches Denken, Ambiugitätstoleranz, ressourcenorientierte Sichtweise), betrachtet den Wandel im unternehmerischen Wettbewerb aufgrund von Globalisierungs-, Innovations-, Kosten- und Beschleunigungstrends als Ausgangspunkt für veränderte strategische Perspektiven und zeigt Möglichkeiten des strategischen Managements zur Nutzung des Wandels im unternehmerischen Umfeld auf. Als Zwischenfazit kommt Holger Schiele zu dem Ergebnis (S. 46), daß die Bedeutung des "näheren Umfelds" von Unternehmungen als Folge der Globalisierung wächst. So werden Innovationen zunehmend in Netzwerken generiert und auch die Kosteneffizienz der Unternehmungen wird in steigendem Maße von Partnern aus diesem näheren Umfeld bestimmt, das auch zeitbezogene Wettbewerbsvorteile generieren kann. Die Organisationsform auf der Mesoebene zwischen der Mikroebene der Unternehmung und der Makroebene der Volkswirtschaft wird als Wertschöpfungssystem bezeichnet. Die Rekontextualisierung im Sinne einer zunehmenden Aufmerksamkeit gegenüber dem Lokalen und Besonderen führt nach Meinung des Autors auch zu einem Bedeutungszuwachs der Wirtschaftsgeographie innerhalb der Wirtschaftswissenschaften (S. 15), ohne allerdings an dieser Stelle die genauen Gründe für das "geography matters", z.B. im Innovations- und Zeitwettbewerb, zu nennen.
 Das dritte Kapitel (S. 47 bis 128) begründet die Notwendigkeit einer mesobezogenen, strategischen Analyse vor dem Hintergrund unzulänglicher klassischer Umweltmethoden, beschreibt interdisziplinär ausgewählte Mesoebenenmodelle, wie z.B. den Diamanten von Porter sowie die Konzepte der Industriedestrikte und innovativen Milieus, und schlägt "innovative Cluster" als integrativen Ansatz vor. Aufgabe der clusterbezogenen Umweltanalyse ist - quasi als Zwischenfazit - die Unterscheidung zwischen einem innovativem Cluster, einer Diamanten- Struktur und einer peripheren Situation. Während innovative Cluster, die aus einer begrenzten Zahl an Organisationen wie z.B. direkten Wettbewerbern, den Trend vorwegnehmenden Nachfragern, hochspezialisierten Lieferanten und spezifischen Institutionen bestehen, als Idealsystem mit aktiven innovations- und effizienzsteigernden Vorteilen für Unternehmungen (Cluster als Club) angesehen werden, ist eine Diamanten-Struktur durch keinen intensiven Wissens- bzw. Informationsaustausch gekennzeichnet. Unternehmungen in peripheren Situationen ohne Kooperationspartner in ihrer näheren Umgebung können von keinerlei Clustervorteilen profitieren und verfügen damit über ein geringeres Wettbewerbspotenzial als ihre in Cluster eingebundenen Pendants. Hinsichtlich der Dimension des Wertschöpfungssystems kommt Holger Schiele aufgrund des "kooperationskatalysierenden Charakters der Nähe zwischen Akteuren" (S. 96) zu dem Ergebnis, daß sich eine regionale Ausprägung als ideal erweist. Leider bleiben in diesem Kapitel die Auswahlkriterien für die Partialmodelle unklar und damit auch, warum der Autor darauf verzichtet, weitere für die Fragestellung durchaus relevante theoretische Ansätze zu diskutieren, wie z.B. das Konzept der regionalen (nicht nationalen!) Innovationssysteme. Die Synopse der Mesoebenenmodelle in Abbildung 22 (S. 128) erscheint somit unvollständig.
 Im vierten Kapitel (S. 129-182) entwickelt Holger Schiele ein betriebswirtschaftlich orientiertes Instrumentarium zur Untersuchung von Wertschöpfungssystemen im Rahmen der strategischen Analyse. Hierbei kann aus Sicht einer Unternehmung festgestellt werden, ob die Industrie zur Clusterung neigt und welche Chancen sich aufgrund der Konstitution des näheren Umfelds ergeben. Die Umweltanalyse beginnt mit der Voranalyse, d.h. der Identifikation des Clusterpotenzials als Produkt notwendiger und hinreichender Bedingungen. Während die Prozeßteilbarkeit und die Transportierbarkeit des Produkts als notwendige Bedingungen betrachtet werden, zählen eine lange Wertschöpfungskette, vielfältige Kompetenzen, die Innovationsintensität und die Marktvolatilität zu den hinreichenden Bedingungen einer Clusterung, die ergänzend aufeinander aufbauen. Die sich anschließende Hauptanalyse läßt sich in je ein Spezialisierungs-, Entfernungs- und Beziehungsmodul untergliedern und ist eine Aufarbeitung der Bestimmungsfaktoren des Diamanten der Wettbewerbsfähigkeit, der sich eine dynamische Betrachtungsweise (Evolutionsanalyse) anschließt, die der Erfassung von Wertwanderungen dient. Letztgenannte untersucht die Änderung der Bedeutung der einzelnen Wertschöpfungsstufen als Folge der Systemintegration. Das Kapitel endet mit sieben Fragen, die "einem gut informierten Mitarbeiter" (S. 180) innerhalb von 30 Minuten den Einstieg in eine clusterbezogene Umweltanalyse ermöglichen sollen.
 Kapitel fünf (S. 183 bis 224) formuliert basierend auf den Ergebnissen der Umweltanalyse strategische Gestaltungsempfehlungen, wobei das vom Total-Quality-Management abstammende Partnering- Modell als leistungsbezogene, multiorganisationale Kooperationsform mit Gewinnbeteiligung hervorgehoben wird. Je nach Zuordnung einer Unternehmung zu einem innovativen Cluster, einer Diamanten-Struktur oder einer peripheren Situation bestehen verschiedene strategische Möglichkeiten
 1. einen Cluster aufzubauen (Entwicklungs- und Vitalisierungsstrategie),
 2. Clusterpotenziale zu nutzen (Nutzungsstrategie) oder
 3. sich einem Cluster anzuschließen, Wettbewerbsvorteile aus verwandten Branchen zu übertragen oder sich aus dem Geschäft zurückzuziehen (Anschluß-, Verwandtschafts- bzw. Rückzugsstrategie).
 Im sechsten Kapitel (S. 225 bis 256) überträgt Holger Schiele das entwickelte Instrumentarium zur clusterbezogenen Umweltanalyse auf zwei Unternehmungen aus der Ölindustrie, die sich beide in peripheren Situationen befinden, und leitet fallspezifische, strategische Maßnahmen ab. Der deutsche Ölanlagenbauer (Fallbeispiel 1) konnte zwar Zugang zu einigen ausländischen Lead-Usern (den Trend vorwegnehmenden Kunden) aufbauen, verfügt jedoch auf der Lieferantenseite über keine intensiven Beziehungen zu den im Ausland angesiedelten Spezialzulieferern. Aufgrund vorhandener Kompetenzen im Bereich der Elektronik, die als Branche in Deutschland als wettbewerbsstark gilt, empfiehlt der Autor eine Verwandtschaftsstrategie bei Konzentration auf "Oiltronics-Produkte", die relativ viel Elektronik- und wenig Ölkompetenzen erfordern. Dagegen wird für den deutschen Anbieter von Bohrdienstleistungen (Fallbeispiel 2) u.a. aufgrund von Wertwanderungen die Anschlußstrategie und die Entwicklung innovativer Leistungen als strategische Option herausgearbeitet. Das siebte Kapitel (S. 257 bis 268) beendet das Buch mit einer Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse und einem Fazit. Hierbei betont Holger Schiele der Möglichkeiten der gegenseitigen Befruchtung von Regionalpolitik und strategischem Management und fordert neue Denkgewohnheiten, die nicht isolierte Unternehmungen, sondern ganze Wertschöpfungssysteme in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen (S. 267).
 Insgesamt bereichert Holger Schiele trotz der genannten Kritikpunkte die wissenschaftliche Diskussion des Clusterphänomens um den Aspekt des strategischen Managements und liefert unternehmerischen Akteuren wichtige Ansatzpunkte, um von positiven Clustereffekten profitieren zu können. Hervorzuheben ist insbesondere die gelungene Verknüpfung von Theorie, Empirie und Politik (verstanden als Handlungsempfehlungen für Unternehmungen und politische Akteure). Für die angestrebte Zielgruppe, u.a. Dozenten und Studenten der Wirtschaftsgeographie (siehe Klappentext), stellt das Buch eine interessante Diskussionsgrundlage dar, das allerdings aus geographischer Sicht allein nicht ausreicht, um das Clusterphänomen aus theoretischer und empirischer Sicht umfassend zu behandeln, da der Schwerpunkt der Ausführungen eindeutig in der Betriebswirtschaftslehre und dort speziell im Bereich des strategischen Managements liegt.
Autorin: Christine Tamásy  

Quelle: Geographische Zeitschrift, 90. Jahrgang, 2002, Heft 3 u. 4, Seite 250-252