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Kategorie: Rezensionen

Georg Stöber: Zur Transformation bäuerlicher Hauswirtschaft in Yasin (Northern Areas, Pakistan). St. Augustin 2001 (Bonner Geographische Abhandlungen 105). 314 S.

Die Arbeit von STÖBER ist in die Reihe fundierter empirischer Untersuchungen zu stellen, die im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogrammes "Kulturraum Karakorum" im Norden Pakistans, im Yasin-Tal, entstanden sind (vgl. z. B. auch HERBERS, 1998: Arbeit und Ernährung in Yasin. Stuttgart). Ziel der Untersuchung ist die Rekonstruktion der sozio-ökonomischen Entwicklung sowie die Analyse der gesellschaftlichen und ökonomischen Transformation in einer peripheren Hochgebirgstalschaft des Hindukush-Karakorum. In einer Fallstudie soll der Produktions-Reproduktionszusammenhang bäuerlicher Hauswirtschaft aufgezeigt und dessen soziale und räumliche Differenzierung sowie seine zeitliche Veränderlichkeit untersucht werden. Die Studie basiert auf Feldarbeiten (10 Monate), die 1990/91 im Yasin-Tal durchgeführt wurden, ergänzt durch zweimonatige Archiv-Studien in London (India Office Library and Records, School of Oriental and African Studies).
Einleitend (Kap. 1) erläutert STÖBER das der Arbeit zugrunde liegende Konzept der Hauswirtschaft, welches in Anlehnung an den russischen Agrarökonomen A. CHAYANOV den Haushalt bäuerlicher Gesellschaften unter nicht-industriellen Bedingungen als komplexen Funktionsbereich von Produktion und Reproduktion betrachtet. Der Reproduktionsbegriff beinhaltet dabei nicht allein generative Aspekte, sondern umfasst ebenso die gesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Prozesse, die darauf abzielen, "die Ausgangsbedingungen eines weiteren Prozesses in einem zu benennenden Bereich wieder zu erzeugen" (S. 6). In den zwei folgenden Kapiteln stellt STÖBER die Voraussetzungen bäuerlicher Hauswirtschaft in Yasin dar: In Kapitel 2 werden die natürlichen Voraussetzungen der Hochgebirgsumwelt und ihre "Inwertsetzung" skizziert, wobei die vertikale Differenzierung des Wirtschaftsraumes sowie die zeitliche Differenzierung der Nutzungsmöglichkeiten im Vordergrund stehen.
In Kapitel 3 werden die sozialen Rahmenbedingungen, unter denen eine hauswirtschaftliche Produktion wie auch deren Wandel erfolgt, erörtert. Da der einzelne Haushalt nicht völlig autonom wirtschaftet, sondern Teil eines sozialen Systems ist, werden die unterschiedlichen Beziehungsebenen, auf denen inner- und zwischenhäusliche Kooperation beruhen, sowie die politisch-historischen Rahmenbedingungen herausgestellt. Die bäuerliche Hauswirtschaft in Yasin wird detailliert in Kapitel 4 behandelt. Sie basiert zu einem großen Teil auf der Landwirtschaft (Anbau und Viehzucht), heute jedoch zunehmend auch auf außeragraren Einkommensmöglichkeiten, z. B. aus dem Militärdienst. Die Transformation der hauswirtschaftlichen Strukturen bildet den thematischen Schwerpunkt der Arbeit und ist Inhalt von Kapitel 5 und 6. Eingehend beschreibt der Autor wie sich das Produktions- und Reproduktionssystem in Yasin während der letzten Dekaden hin zu einer Kapitalisierung der (Land-)Wirtschaft verändert hat und welche Faktoren dazu beigetragen haben: Bevölkerungsentwicklung, Arbeitsmigration, Konsum und Handel, Verkehrserschließung, "Entwicklungsmaßnahmen" von Staat und Nichtregierungsorganisationen. Obwohl die ökonomischen Aspekte des Wandels im Vordergrund der Betrachtung stehen, betont STÖBER, dass sich die Transformation der Hauswirtschaft nicht in der Monetarisierung des Produktions-Reproduktionsprozesses erschöpft, sondern dass auch die haushaltsinterne Aufgabenverteilung sowie die haushaltsübergreifende Arbeitsorganisation in den Wandel miteinbezogen sind. Außerdem spielen Änderungen von Verhaltensweisen und Wertvorstellungen, die im Zuge der kommunikativen Öffnung Yasins aufgetreten sind, eine wichtige Rolle. So besitzt die Transformation der Gesellschaft, die sich gleichzeitig als Veränderung hauswirtschaftlicher Strukturen, einer wachsenden Einbindung in übergeordnete wirtschaftliche, politische und soziale Systeme sowie als Abfolge von Innovationsprozessen beschreiben lässt, eine Entsprechung in der Vorstellungswelt der Betroffenen (S. 270).
Wichtig ist es dem Autor klarzustellen, dass der Transformationsprozess als Komplex zu verstehen ist, in dem externe Einflussfaktoren wie auch endogene Prozesse eine Rolle spielen und in dem aufgrund gegenseitiger Beeinflussung einzelner Entwicklungen oftmals keine eindeutigen, einseitigen Kausalzusammenhänge nachgewiesen werden können. Auch wenn sich laut STÖBER die zukünftige Entwicklung Yasins nicht voraussagen lässt, erscheint sicher, dass die allein auf "mixed mountain agriculture" basierende traditionelle Hauswirtschaft der Vergangenheit angehört, und eine Rückkehr zur Selbstversorgung kaum möglich ist. Der Autor ist jedoch optimistisch, dass die Yasiner Bevölkerung auch in Zukunft unter veränderten, komplizierteren, aber in vielem auch angenehmeren Lebensbedingungen ihr Überleben sichern wird (S. 272). Schließlich ist wie eingangs vom Autor angemerkt, die Veränderlichkeit der Strukturen heute wie in der Vergangenheit Bedingung für eine erfolgreiche  Überlebenssicherung in einer sich ebenfalls wandelnden Umwelt (S. 1).
Die Arbeit von STÖBER stellt eine instruktive Analyse des Produktions-Reproduktions-Zusammenhangs bäuerlicher Hauswirtschaft in Yasin dar. Sie beinhaltet nicht nur umfangreiches dokumentarisches Material, sondern besticht auch durch eine differenzierte Argumentation sowie eine fundierte Analyse des Transformationsprozesses einer bäuerlichen, nicht-industriellen Gesellschaft in den Northern Areas Pakistans.    
Autorin: Perdita Pohle

Quelle: Erdkunde, 56. Jahrgang, 2002, Heft 4, S. 431