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Kategorie: Rezensionen

Rupert Kawka (ed.): From Bulamari to Yerwa to Metropolitan Maiduguri. Interdisciplinary Studies on the Capital of Borno State, Nigeria. Köln 2002 (Westafrikanische Studien 24). 187 S.

Die Konzeption des Sammelbandes über die nordwest-nigerianische Stadt Maiduguri folgt einem interdisziplinären Ansatz, der Beiträge aus physisch-geographischer, anthropogeographischer historischer, völkerkundlich-ethnographischer und linguistischer Forschungsperspektive zusammenfasst. Der überwiegende Teil der vorgestellten Ergebnisse wurde im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützten Sonderforschungsbereichs 268 „Kulturentwicklung und Sprachgeschichte in der westafrikanischen Savanne" ermittelt.

Der insgesamt gelungene Sammelband füllt auf
kompetente Weise eine bislang bestehende Dokumentationslücke über Städte des Sahel-Sudan-Gürtels. Die besondere Brisanz der bisherigen Quellenlage über Maiduguri drückt sich nicht nur in bemerkenswert unverschämten Plagiaten sowie bestenfalls als überholt- nostalgisch einzustufenden Internet-Informationsforen aus, sondern wird auch dadurch betont, dass vielfach selbst in wissenschaftlicher Literatur – auch geographischer – Maiduguri fälschlicherweise mit Begriffen wie „altes sudanisches Zentrum" oder gar „traditionelle islamische Stadt" belegt wird. Konsequent treten die verschiedenen Beiträge des Sammelbandes solchen Charakterisierungen entgegen und belegen die einerseits zwar lange Tradition des (Stand-)Ortes, betonen demgegenüber jedoch auch gleichzeitig die relativ kurze eigentliche Stadtgeschichte der kolonialzeitlichen Gründung von Maiduguri (1907).
Der Tatsache Rechnung tragend, dass im Untersuchungsraum oralen Traditionen eine mindestens ebenso große Bedeutung zukommt wie geschriebener Geschichte, wird eine ins Englische übertragene lokale Erzählung über die Geschichte des Gebietes von Maidiguri an den Anfang gestellt. In dem 1969 von N. CYFFER aufgenommenen Kanuri-Text berichtet Ibrahim Walad (~ 1905–1970), einer der besten Kenner der Lokaltraditionen Nordost-Nigerias, über die Entstehungsgeschichte der Stadt und sieht sie dabei vor allem im Zusammenhang mit ihren Funktionen innerhalb des Reiches Kanem-Bornu bis hin zu ihrer heutigen Stellung als Hauptstadt des Borno State in Nordost-Nigeria.
Der Sammelband ist in vier Hauptteile untergliedert. Im ersten Abschnitt (History and Urban Geography) wird zunächst ein historischer Überblick über die Entwicklung von Maiduguri gegeben (F. JÄGER) und dabei seine Bedeutung als Sitz der "Shehus of Borno", der lokalen Herrscher im System der britischen Indirect Rule-Verwaltung Nordnigerias ab 1907, hervorgehoben. Die Autorin betont jedoch, dass Maiduguri bereits vor der Kolonialzeit eine überregionale Bedeutung als Marktort besaß und funktional in das Gesamtsystem der Hauptorte des Reiches Kanem-Bornu eingebettet war. Detailliert und mit demographischen Daten untermauert wird im daran anschließenden Kapitel von R. KAWKA eine anspruchsvolle stadtgeographische Studie vorgelegt, die inhaltlich weit über das hinausgeht, was der bescheidene  Titel "The Physiognomic Structure of Maiduguri" ankündigt. Demnach unterlagen die vier wichtigsten Stadtteile Maiduguris (Old Maiduguri, Yerwa, Regierungsviertel sowie europäisches Wohn- und Geschäftsviertel) im Laufe der fast hundertjährigen Stadtgeschichte einer Fülle von Veränderungen und Umstrukturierungen. Klar wird, dass im Gegensatz zu anderen Zentren der nigerianischen Sudanzone, wie etwa Kano oder Zaria, der siedlungsgenetisch älteste Stadtteil (hier: Old Maiduguri) nicht Nucleus der heutigen Stadt war, sondern ein peripher gelegenener, ursprünglich eher dörflich strukturierter Ort, der später in die heutige Gesamtsiedlung inkorporiert wurde. Einen wichtigen Einschnitt in der Stadtgeschichte stellen neben den Umstrukturierungen der unmittelbaren Nachkolonialzeit vor allem die siebziger Jahre dar, als Maiduguri mehr und mehr zum Zentrum der Zuwanderung aus seinem ländlichen Umland wurde und ein explosionsartiges Wachstum erfuhr.
Die daraus resultierenden Umweltbelastungen und die besondere Prägung der Stadt-Umland-Beziehungen werden im zweiten Hauptkapitel "Physical Geography and Rural-Urban Relations" hervorgehoben. Während hier H. THIEMEYER auf die potentielle Naturraumausstattung der Umgebung von Maiduguri eingeht sowie J. HEINRICH und K.-M. MOLDENAUER die Bodenkontaminierung im Raum Maiduguri näher untersuchen (siehe dazu auch Beitrag in ERDKUNDE 2/2003), heben J. IJERE und P. ODO die symbiotischen Verflechtungen zum landwirtschaftlich intensiv genutzten Becken von Jere Bowl nordöstlich von Maidugri hervor.
Der dritte Teil ist schlicht mit "Linguistics" überschrieben, belegt aber ebenso wie der überwiegende Teil der anderen Beiträge, dass im vorgelegten Band unter Interdisziplinarität wesentlich mehr verstanden wird als nur ein Zauberwort, mit dem Begutachtungsverfahren von Forschungsanträgen beschleunigt werden können.
Besondere Aufmerksamkeit wird der Rolle des Kanuri als ehemals dominierender Verkehrssprache des nordostnigerianischen Raumes zuteil. Die Beiträge von M. BROß und N. CYFFER belegen, dass im Kernland des Kanuri, diese Sprache mittlerweile zwar einerseits in ihrer Funktion als wichtigster lokaler Verkehrssprache von Haussa und Englisch abgelöst wurde, sie andererseits jedoch nach wie vor eine wichtige Funktion als Identität stiftendes Merkmal besitzt und Maiduguri überregional wie internationl als kulturelles Kanuri-Zentrum angesehen wird.
Den Bedeutungsverlust des Kanuri belegt darüber hinaus die Studie von D. LÖHR, die sich mit der vermeintlich bereits seit langem assimilierten Minderheit der Malgwa von Maiduguri beschäftigt. Klar wird dabei, dass eine Abkehr vom Kanuri hin zum Haussa u. a. auch mit der früher als beherrschend empfundenen Rolle des Kanuri verbunden ist.
Das Kapitel "Sociology and Social Anthropology" bildet den vierten Teil des Sammelbandes. Einem eher deskriptiv gehaltenen Kapitel über die gesellschaftliche Bedeutung unterschiedlichster Vereine, Verbände und Sozialorganisationen in Maiduguri folgt hier die sozialgeographische Detailanalyse des Stadtteils Yerwa durch R. KAWKA. Seine Befunde bilden zusammen mit dem o. g. Eingangskapitel über die Stadtstruktur Maiduguris
etwa ein Drittel des Gesamtumfanges des Sammelbandes und zeichnen sich vor allem durch die Klarheit der Ergebnisfindung und die Einbettung in überregionale Bezüge aus. Zunächst wird die besondere Situation von Yerwa in Zusammenhang mit der Diskussion um mögliche charakteristische Kennzeichen des sog. Typs der afrikanischen Stadt gesetzt und dann der Aspekt der multi-ethnischen Zusammensetzung in seiner Bedeutung für die Herausbildung bestimmter Stadtstrukturen behandelt.
Als eines der wenigen Monita des Sammelbandes erscheint die Druckqualität der Karten und kartenähnlichen Skizzen. Dieser Mangel hat sich bedauerlicher Weise mittlerweile schon zu einer Art Charakteristikum der Reihe „Westafrikanische Studien. Frankfurter Beiträge zur Sprach- und Kulturgeschichte" des Kölner Köppe-Verlag entwickelt und wurde in Rezensionen an anderer Stelle bereits mehrfach moniert. Anzulasten ist dieses Versäumnis weder den Autoren der Beiträge oder gar den involvierten Kartographen als vielmehr der allgemeinen Druckpolitik, die über die Deutlichkeit von „Kopien von Kopien" nicht hinauslangt und damit einen Standard dokumentiert, der so kolonialzeitlich wirkt wie die Zustände, die einige der Karten eigentlich beschreiben sollten.
Insgesamt liegt mit dem von R. KAWKA besorgten Maiduguri-Sammelband der „Westafrikanischen Studien" ein Werk vor, das nicht nur der Publikationspflicht von Projektergebnissen im Rahmen eines Sonderforschungsbereiches genügt, sondern vor allem als ein gelungenes Beispiel interdisziplinärer Focussierung auf einen gemeinsamen Forschungsgegenstand gelten kann. Darüber hinaus schließt der Band auf ausgesprochen kompetente Weise eine bisherige Lücke der Dokumentationen über afrikanische Städte des Sudangürtel.    
Autor: Andreas Dittmann

Quelle: Erdkunde, 57. Jahrgang, 2003, Heft 3, S. 250-251