Ein Schwerpunkt meiner wissenschaftlichen Arbeit ist die Analyse der Entwicklung der ländlichen Räume in Europa, wobei es mir ein Anliegen ist, Ergebnisse und Erfahrungen daraus dann auch in die Praxis umzusetzen. Dabei bin ich davon überzeugt, dass die Metropolen in Europa allein ohne die ländlichen Räume nicht dauerhaft lebensfähig sind, und deshalb engagiere ich mich auch über die Wissenschaft hinaus dafür, dass die ländlichen Räume nicht völlig entwertet werden.


Forschungsschwerpunkte: Alpen und ländliche Räume
Mein Hauptforschungsgebiet sind die Alpen, wobei eines meiner Daueruntersuchungsgebiete in den Südwestalpen liegt, die in den letzten 130 Jahren extrem stark an Bevölkerung verloren haben. Im Gebiet (Fläche 21 km²), das ich in meiner Dissertation untersucht habe, lebten 1880 560 Personen, und heute sind es gerade noch drei Personen. Durch die Förderung von umweltverträglichen Wanderinfrastrukturen und die Publikation von Wanderbüchern - u.a. die beiden Bände über den Weitwanderweg "Grande Traversata delle Alpi/GTA", die im März 2011 in 6. Auflage erscheinen und meine meist verkauftesten Bücher darstellen - engagiere ich mich sehr konkret für die Aufwertung dieser Region durch die Stärkung eines umwelt- und sozialverträglichen Wandertourismus, wobei ich seit 2002 aktiv durch Michael Kleider unterstützt werde, der bei mir Geographie studiert hat.
Seit meinem Ruf nach Erlangen im Jahr 1995 habe ich als zweites Forschungsgebiet neben den Alpen die ländlichen Räume in der Metropolregion Nürnberg hinzugenommen, weil ich der Meinung bin, dass die Universität für ihre Standortregion eine Verantwortung besitzt und dass gerade die Geographie diese Verantwortung sehr gut wahrnehmen kann. Die Analysen in diesen Gemeinden und Landkreisen werden meist in Form von Projektseminaren und mittels der Betreuung von Examensarbeiten und Dissertationen durchgeführt, wobei dies in der Regel jeweils in enger Zusammenarbeit mit lokalen und regionalen Akteuren geschieht. Die Umsetzung dieser Ergebnisse konzentriert sich schwerpunktmäßig auf die Förderung von "Regionalprodukten" und regionalwirtschaftlichen Vernetzungen und auf die Entwicklung von nachhaltigen Tourismus-/Naherholungsangeboten (hier besonders "Kulturwege", die sehr gut angenommen werden).

Hochschullehre
Um die Studenten auf diese Aufgaben angemessen vorzubereiten, halte ich alle zwei Jahre die Einführungspflichtvorlesung "Der ländliche Raum" und ergänze diese mit einschlägigen Seminaren zur Vertiefung.
Im Wintersemester 2010/11 habe ich das Seminar "Raumordnung, Regionalplanung und Regionalentwicklung in Deutschland" durchgeführt. Darin ging es im ersten Teil darum, das System der traditionellen bundesdeutschen Raumordnung und Regionalplanung zu verstehen, um dann im zweiten Teil die aktuellen Entwicklungen zu diskutieren (allmähliches abrücken von der Leitidee der "gleichwertigen Lebensbedingungen", von der Zentrale-Orte-Politik, von der staatlichen Verantwortung für Raumentwicklung; allerdings ohne dies explizit auszuweisen). Diese neuen Entwicklungen zielen in meinen Augen darauf ab, dass wahrscheinlich zentrale Elemente der bisherigen Raumordnung in absehbarer Zeit über Bord geworfen werden dürften (zu aufwendig, zu bürokratisch, zu wenig wirtschaftsfreundlich). Dies hätte dann weitreichende Auswirkungen auf die peripheren ländlichen Räume.
Weil in Erlangen die Seminarplätze und die Referate jeweils am Ende des vorangehenden Semesters vergeben werden, hatte ich dieses Seminar schon im Juli 2010 konzipiert. Dann gab es auf einmal im Januar 2011 ganz plötzlich eine Entwicklung, die dazu führte, dass das Seminarthema auf eine fast unheimliche Weise aktuell und praxisrelevant wurde.

Zukunftsrat
Am 20. Januar 2011 veröffentlichte die "Süddeutsche Zeitung" einen Bericht über das Gutachten eines - zuvor unbekannten - "Zukunftsrates der Staatsregierung", der forderte, in Zukunft nur noch die 5-7 größten Zentren Bayerns zu fördern (ihre Konkurrenzfähigkeit für den globalen Wettbewerb zu erhöhen), die ländlichen Räume (gemeint waren die suburbanen Räume) um die Zentren herum sehr viel enger mit dem jeweiligen Zentrum zu vernetzen, und alle ländlichen Regionen, die weiter als eine Stunde Fahrtzeit von diesen Zentren entfernt sind, aus der Förderung herauszunehmen (das "Gießkannen-Prinzip" der Förderung wäre hier kontraproduktiv), weil sie im globalen Wettbewerb keine Rolle spielen könnten.
Dieser Bericht schlug in Bayern ein wie eine Bombe und rief eine außergewöhnlich heftige öffentliche Diskussion hervor (sogar in der sehr beliebten Fernsehsendung "Fasnacht aus Franken" wurde darauf später Bezug genommen). Da ich mit dieser Thematik sehr vertraut war und ganz ähnliche Ansätze bereits aus der Schweiz ("alpine Brache"), aus Graubünden "potenzialarme Räume") und aus Island kannte, nutzte ich meine Kontakte zur Presse, um gleich noch am selben Tag eine Gegenerklärung abzugeben - und dabei war es mir wichtig, dass mit meinem Votum in der Öffentlichkeit deutlich wurde, dass keineswegs "die Wissenschaft" hinter diesen Ideen des Zukunftsrates steht, sondern ein neoliberaler Zeitgeist, der übrigens sehr wenig mit Kreativität und Phantasie zu tun hat (wie er selbst gern behauptet), sondern der sehr pauschal argumentiert.
Da meine Erklärung über das DPA-Büro in Nürnberg an die Presse gelangte, wurde sie am nächsten Tag in recht vielen bayerischen Zeitungen abgedruckt und erreichte so eine relativ breite Öffentlichkeit. Mein nächster Schritt bestand dann darin, meine Kritik am Gutachten des Zukunftsrates detaillierter und gründlicher schriftlich zu fixieren - und zwar ganz bewusst nicht als wissenschaftlichen Text, sondern als Text für betroffene Politiker, der deshalb nicht zu lang sein durfte. Diesen Text schrieb ich etwa 14 Tage später (siehe Link am Ende dieses Textes) und schickte ihn gezielt an eine Reihe von Personen, die ich persönlich kannte und die bei der politischen Diskussion eine Rolle spielten.
Am liebsten hätte ich das Seminar komplett umgestellt, die Lektüre des Gutachtens (99 Seiten) zur Pflichtlektüre gemacht und verschiedene Teilbereiche in Form von studentischen Referaten konkret bewerten lassen - schließlich ist in diesem Gutachten die gesamte Seminarthematik direkt präsent -, aber dies ist im Rahmen der neuen Studiengänge nicht mehr möglich: Am Ende eines Semesters haben die Studenten inzwischen so viele Prüfungen zu bewältigen, dass es nicht möglich ist, zu diesem Zeitpunkt zusätzliche Aufgaben und Referate zu vergeben. Deshalb habe ich mich darauf beschränkt, darüber in der letzten Sitzung grundsätzlich mit den Teilnehmern zu diskutieren.
Natürlich hat dieses öffentliche Engagement zu weiteren Aktivitäten geführt - Zeitungs- und Rundfunk-Interviews, Einladungen zu Vorträgen im politischen Rahmen -, die im strengen Sinn keine "wissenschaftlichen" Aktivitäten sind, die m.E. aber unverzichtbar und notwendig sind, um der Seriosität und Glaubwürdigkeit wissenschaftlicher Analysen und Bewertungen Nachdruck zu verleihen und um die Wissenschaft nicht im "Elfenbeinturm" verkümmern zu lassen.
Die dafür eingesetzte Zeit geht einem als Professor mit einem hohen Anteil an Lehraktivitäten (in Erlangen gibt es in allen geographischen Studiengängen einen Numerus Clausus) natürlich an der Zeit für Forschung ab. Aber ich halte diese Art der Zeitverwendung für sehr produktiv, weil ich bei all diesen Aktivitäten sehr wertvolle Erfahrungen sammeln kann, die meinen Blick auf die Entwicklung der ländlichen Räume sehr vertiefen und schärfen. Und diese Erfahrungen gehen dann direkt in meine Lehrveranstaltungen ein - wo ich immer wieder spontan abstrakte Problemkonstellationen durch selbst erlebte Erfahrungen veranschauliche -, und sie gehen in reflektierter, vermittelter Form in meine Publikationen ein. Gerade diese Verschränkung von wissenschaftlicher Analyse und praktischen Umsetzungserfahrungen erscheint mir persönlich sehr wichtig, um relevante Forschungsergebnisse zu erzielen. Und da ich gerade von einer Veranstaltung komme, wo ich mit Bürgermeistern hier aus der Region über die Grundfragen der Raumentwicklung diskutiert habe, hat sich dies erneut bestätigt.


hier geht es zur Kritik am Gutachten des Zukunftsrates



Lebenslauf
am 24.06.1949 geboren in Kassel/Nordhessen/Deutschland, aufgewachsen in einem kleinen nordhessischen Haufendorf und in der Kleinstadt Fritzlar
1968 Abitur am König-Heinrich-Gymnasium in Fritzlar, mathematisch-aturwissenschaftlicher Zweig
1968-1974 Studium der Evangelischen Theologie und der Philosophie an der Kirchlichen Hochschule Bethel/Bielefeld, und an den Universitäten Tübingen und Heidelberg. Abschluß mit dem 1. Theologischen Examen
1974-1975 Tätigkeit als Religionslehrer an einem Berliner Gymnasium
1976-1983 Ausbildung (Lehre) zum Sortimentsbuchhändler und Tätigkeit als Buchhändler, als Verlagsangestellter (Buchhersteller) und als Verlagslektor in verschiedenen Buchhandlungen und Verlagen in Berlin (West). Unterbrochen durch eine eineinhalbjährige Tätigkeit in Nordhessen (1981-1982) als Repräsentant der "Nordhessischen Fachwerkhausbörse"
1983-1987 Studium der Geographie und der Philosophie an der Technischen Universität Berlin. Abschluss mit dem Magisterexamen
1987-1988 Lehrbeauftragter am Institut für Landschafts- und Freiraumplanung der Technischen Universität Berlin und Doktorand am Geographischen Institut der TU Berlin
1988-1989 Assistent (Oberassistent-Stellvertreter) am Geographischen Institut der Universität Bern/Schweiz, im Dezember 1989 Promotion in Geographie
1990-1995 Oberassistent und Dozent am Geographischen Institut der Universität Bern/Schweiz, im Januar 1993 Habilitation für das Fach Geographie
WS 1994/95 Gastprofessur am Institut für Geographie der Universität Wien/Österreich
ab VII/1995 Professor für Kulturgeographie (Extraordinarius) am Institut für Geographie der Universität Erlangen-Nürnberg

 

Anschrift
Prof. Dr. Werner Bätzing
Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg
Institut für Geographie
Kochstr. 4/4
D-91054 Erlangen
Tel.: ++49 (0)9131/ 85-2 26 37 (Durchwahl)
Tel.: ++49 (0)9131/ 85-2 26 33 (Sekretariat)
Fax: ++49 (0)9131/ 85-2 20 13
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