Suburbanisierung in Nordamerika - neue Facetten eines alten Phänomens

Robert A. Beauregard: When America Became Suburban. Minneapolis, London 2006. 288 S.
Robert Bruegmann: Sprawl. A Compact History. Chicago 20005. 306 S.
Kevin M. Kruse, Thomas J. Sugrue: The New Suburban History. Chicago 2006. 300 S.
Robert Lewis: Manufacturing Suburbs: Building Work and Home on the Metropolitan Fringe. Philadelphia 2004. 294 S.
Jon C. Teaford: The American Suburb. The Basics. London, New York 2007. 288 S.

Die Suburbanisierung von Bevölkerung, Beschäftigung und Raumnutzungen hat die Raumentwicklung in der Mehrzahl der Industrieländer spätestens seit der Nachkriegszeit ganz wesentlich bestimmt. Sie ist auch heute noch Gegenstand zahlreicher Analysen der Stadt- und Raumforschung. Nicht zufällig bietet Nordamerika hierzu praktische Anschauung, polarisierende Klischees (sprawl) sowie vertiefende Auseinandersetzung und Reflektion.

Dies drückt sich auch in einem konstanten Fluss von wissenschaftlichen Publikationen aus. In den letzten Jahren sind eine Reihe von Arbeiten erschienen, die unser Bild von Suburbia weiter geöffnet haben. Sie handeln von den Entstehungsbedingungen suburbaner Räume, von ihren Trägergruppen, aber auch von der Art und Weise, wie Suburbanisierung und suburbane Räume Nordamerikas im fachlichen Diskurs kommuniziert und bewertet werden. Der Schwerpunkt der hier vorzustellenden Werke liegt weniger auf der analytischen Durchdringung der Resultate der aktuellen (Sub-)Urbanisierungsformen. 1 Es werden vielmehr Ansätze vorgestellt, die in einem neuen interpretativen Kontext zu einer veränderten Bewertung suburbaner Räume kommen und damit das tradierte Bild Suburbias in ein anderes Licht rücken.  
Robert Beauregard widmet sich in seinem jüngsten Werk der Suche nach der richtigen Interpretation der Suburbanisierung in Nordamerika, speziell in den USA. Ausgangspunkt seiner Darstellung ist eigentlich der Niedergang der altindustriellen "central cities", deren Schicksal eng verknüpft ist mit dem Auszug der weissen Mittelschichten ins Umland und der aufkommenden Suburbanisierung. Die Auszehrung der Kernstadt durch diese Abwanderung bringt er auf den Begriff der "parasitären Urbanisierung" (40 ff.). Sie ersetzte seit der Nachkriegszeit die "distributive Urbanisierung", einen langandauernden Zyklus der Stadtentwicklung in Nordamerika, in dem alle grossen Städte vom demographischen und ökonomischen Wachstum des Landes gleichermassen profitierten und der zunächst bis 1940/1945 andauerte (in den 1980er- Jahren aber wiederkehrte). Die sich in der Nachkriegszeit anschliessende Phase der parasitären Urbanisierung bezeichnet Beauregard auch als "short American century", eine historisch einzigartige Formation, geprägt durch den Niedergang der alten Industriezentren, den Aufstieg der Suburbs insbesondere im Sunbelt, bis dahin unerreichte wirtschaftliche Prosperität und militärische Hegemonie in der Welt:  
Parasitic urbanization [...] produced the trauma that devastated older, industrial cities, created a crisis of national consequences, and undermined the way of life that had defined achievement in the United States for hundreds of years. The dominance of the center [...] was replaced by a fragmentation of the periphery brought about by suburban development. Urbanization had jumped to the metropolitan scale. (4)  
In seiner weitreichenden Betrachtung verknüpft Beauregard den Prozess der Suburbanisierung mit den historisch "langen Wellen" der wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung einerseits und ihrer Interpretation im Kontext der Herausbildung einer nationalen Identität, dem "becoming suburban ", andererseits. Dass die Herausbildung eines suburbanen Lebensstils eng verzahnt ist mit nationaler Identitätsbildung wurde bisher nirgendwo so explizit gemacht wie hier. Periodisierungen in der Stadtentwicklung sind jedoch häufig mit Abgrenzungsproblemen verbunden; bezogen auf sein Hauptargument der parasitären Urbanisierung stellt sich die Frage, inwieweit der Zusammenhang von Niedergang hier (central city) und Aufstieg dort (suburbs) nicht prinzipiell ein zentrales Merkmal kapitalistischer Verwertungsprozesse darstellt - und insofern ein stetiger Wegbegleiter von Urbanisierungsprozessen ist, der sich nicht auf eine bestimmte Phase der Stadtentwicklung beschränkt.  
Der von Robert Lewis bereits 2004 herausgegebene, in Europa kaum rezipierte Band Manufacturing Suburbs befasst sich mit dem auch in Nordamerika bis dato nur randständig bearbeiteten Themenkomplex der gewerblich-industriellen Suburbanisierung. In zahlreichen Fallstudien zeigen die Autoren, dass die suburbanen Gewerbelandschaften frühzeitig angelegt wurden und keineswegs durchgängig als Wohnfolgewanderung zu verstehen sind. Sie waren vielerorts das Ergebnis durchaus eigenständiger Standortstrategien von Unternehmen bzw. von Landentwicklern. Schliesslich sind sie auch dadurch gekennzeichnet, dass sie sich in ihrem Entwicklungszyklus stetig ausdifferenzieren und wandeln. Damit verändert sich das Bild von Industrie und Gewerbe als Trägern der Suburbanisierung, so wie die sozialwissenschaftliche Forschung bereits seit den 1990er-Jahren ein neues Licht auf Suburbia als komplexen Ort gesellschaftlicher Praxis geworfen hat.  
In the classic studies, suburbia is conjured up as an image of 'homes in a park', a middle landscape constituted as a way of life halfway between city and country. This conventional wisdom needs considerable revision. Residential areas have not singularly led the way outward from a previously concentrated city, but have always been joined at the hip by industry locating at the urban fringe. The outward spread of factories and manufacturing districts has been a decisive feature of North American urbanization since the middle of the nineteenth century. (Lewis 2004: 16)  
Das Buch versammelt eine Reihe von regionalspezifischen Erklärungsansätzen für das stürmische Wachstum insbesondere der gewerblichindustriell entwickelten Suburbs. Dazu gehören erstens ein durch erhebliches Kapital gestütztes expansives Wachstum der Firmen, das die Grenzen des vorhandenen Standorts sprengte; zweitens Innovationen in den Produktionsmethoden, die grössere, besser zugeschnittene Flächen erforderten; drittens Verkehrs- und Erreichbarkeitsprobleme auch an den alten Schnittstellen der Kernstädte (Häfen, Güterbahnhöfe); schliesslich Veränderungen in der Regulation der Industriebeziehungen, vor allem die Entfaltung einer gewerkschaftlichen Gegenmacht zum Kapital, was die Unternehmen nicht selten zur Abwanderung aus der Kernstadt veranlasste.  
Die Suburbanisierung von Industrie und Gewerbe wird hier als differenzierter Prozess verstanden, der unterschiedliche Typen von Raumnutzungen hervorgebracht hat, je nachdem wer Hauptakteur dieses Prozesses war und wo innerhalb von Suburbia dieser Prozess stattfand: (i) quasi inkrementelle, "informelle" Erweiterungen bestehender Standortstrukturen vornehmlich an den Rändern der Kernstadt, (ii) die industrielle Satellitenstadt (satellite city) bzw. (iii) die "company town" oder Suburb, dessen treibende Kraft ein einzelnes Unternehmen darstellte, beide in grösserem Abstand von der Kernstadt gelegen, schliesslich (iv) der organisierte Industriedistrikt, am Rand der Kernstadt errichtet mit Vorteilen gerade für kleinere Unternehmen, die einen guten Standort suchten. Der Industriedistrikt wurde vielfach von Immobilienentwicklern oder Eisenbahngesellschaften gebaut. Er kann daher in gewisser Weise als Vorläufer unserer heutigen Gewerbeparks gelten. Die Standortwahl der Unternehmen, so eine zentrale Aussage des Buchs, fiel auch deshalb auf Suburbia, weil dort ein institutioneller Rahmen gegeben war, der Boden und Planungssicherheit zur Verfügung stellte. Letzteres geschah in Europa sowohl durch die Städte als auch durch Terraingesellschaften; in den USA wurde diese Rolle sehr dezidiert durch Developer wahrgenommen. In weiteren Beiträgen dieser lesenswerten Zusammenstellung von Lewis werden diese Entwicklungsdynamiken der Suburbanisierung anhand von Fallstudien zu Chicago, Los Angeles, Montreal, Toronto und San Francisco vertieft. Das Buch vertritt zu Recht den Anspruch, ein neues Licht auf die lange Zeit als "bedroom suburbs " verengte Perspektive der Suburbanisierung zu werfen.  
Auch der Historiker John Teaford geht in seiner übersichtlichen, sehr kondensierten Darstellung der Amerikanischen Suburbs auf die Bedeutung der Gewerbeentwicklung im äusseren metropolitanen Raum ein. Dabei bezieht er sich bspw. auf die Herausbildung von verdichteten Büro- und Einzelhandelsstandorten an den Knotenpunkten der Autobahnen, den "edge cities". Durch die Zuwanderung und Neugenerierung von Arbeitsplätzen haben sich die edge cities stark von den traditionellen Suburbs unterschieden. Sie haben mit ihrem vielfältigen Angebot die Bindungen zur Kernstadt gelöst; sie weisen funktional betrachtet viele Merkmale einer eigenständigen Stadt auf, wenn auch ihre städtebaulichen Erscheinungsformen alles andere als urban sind. Die Dynamik der nordamerikanischen Suburbanisierungsverläufe zeigt sich indes auch daran, dass die edge cities bereits selber Gegenstand von dezentralisierenden Absetzbewegungen wurden und durch das Aufkommen von edgeless cities in ihrem Bestand in Frage gestellt sind. Der räumliche Massstab dieser semi-urbanen Regionen ist nicht mehr die nach Häuserblock zählende Strasse, sondern der Wachstumskorridor, der sich über 50 oder 100 Meilen erstreckt - eine endlose, autogerechte "Vorstadt" mit zahllosen verstreuten Clustern zentraler Funktionen. Das Wachstum ist nicht mehr auf einen Punkt (Zentrum, Kernstadt), sondern in den Raum gerichtet, auf eine Fläche. Teaford behandelt neben diesen strukturellen Aspekten Suburbias auch Fragen der sozialen Diversität, das Wohnungswesen, Governance-Formen sowie die Planungspraxis im suburbanen Raum. Einer durchaus sympathisierenden Einschätzung von Planungsansätzen wie Smart Growth und New Urbanism steht eine kritische Bewertung ihrer bisherigen Bilanz gegenüber, die sich vor allem auf die antistaatliche Einstellung vieler Amerikaner stützt (Widerstand gegen überlokal gesetzte Normen), aber auch Realisierungsdefizite aufzeigt, die mit einer widersprüchlichen Einstellung der Bewohner Suburbias an sich korrespondiert, etwa der Ablehnung weiterer Verdichtung durch Neuzugezogene:  
Though many Americans claim to deplore sprawl, even more appear to hate density. In the end, most seem to favor their existing suburban environment, so much so that they oppose any change in the form of additional people or traffic. (p. 216)  
Offenbar können oder wollen viele Bewohner suburbaner Räume dem dynamischen Wandel ihres Standortes nichts abgewinnen, was in naher Zukunft grössere Konflikte wahrscheinlich werden lässt:  
For many suburban residents, change seems to be the ultimate enemy. (p. 222)  
Die U.S.-amerikanischen Historiker Kevin Kruse und Thomas Sugrue wollen mit ihrem Sammelband zu einer neuen Geschichtsschreibung Suburbias beitragen. Das Buch basiert auf den Beiträgen einer vorwiegend geschichtswissenschaftlichen Konferenz an der Universität von Princeton im Jahr 2004. Ausgangspunkt des Buches ist der Anspruch, das traditionelle Image der Suburbs als homogener, konfliktfreier Raum in Frage zu stellen. Stattdessen zeigen die Autoren anhand zahlreicher Fallstudien, wie konfliktträchtig die Lebenswelten Suburbias de facto sind - ganz gleich, ob es sich um ethnisch oder rassisch motivierte Konflikte handelt, Sezessionsbewegungen mit fiskalischem Hintergrund oder staatliche Wachstumspolitiken, die sich in Nordamerika über einen längeren Zeitraum vor allem im suburbanen Raum manifestierten. Ähnlich wie bei Beauregard werden in dieser politischen Ökonomie der Suburbanisierung jeweils Verbindungslinien zwischen den nationalen und regionalen Massstabsebenen einerseits und der Entwicklung von Kernstädten und Suburbs andererseits hergestellt. Die bereits zuvor thematisierte Wirkung von Organisationen wie Hausbesitzervereinigungen oder der Autobahnverwaltung, von Banken und Kreditgebern, der Rüstungsindustrie sowie New Deal und post-New Deal Programmen erfährt hier eine vertiefende Betrachtung.   
Aufschlussreich ist insbesondere der Beitrag von Betty Nikolaides "How Hell Moved from the City to the Suburbs", in dem sie auf treffliche Weise die kritische Bewertung Suburbias durch Vertreter der Stadtforschung und -planung analysiert. Ihren Ausgangspunkt nimmt sie bei älteren Klassikern wie Lewis Mumford, William Whyte und Jane Jacobs sowie der Chicago School of Urban Sociology, deren Einfluss bis in die heutige Zeit nachwirkt. Dort wurden Stadt und - insbesondere - Suburbs als Synonyme für eine kritische Bewertung der Moderne, der Massengesellschaft, der Homogenität bzw. Konformität städtischer Siedlungsräume angesehen. Umgekehrt galt eine massvoll verdichtete bauliche Umwelt immer auch als unmittelbarer Ansatzpunkt zur Lösung städtischer bzw. gesellschaftlicher Probleme. Diese narrativen Figuren der Stadtkritik ziehen sich von den 1950er-Jahren bis in die heutige Zeit. Sie finden sich nicht nur im fachlichen Diskurs, sondern haben sich auch in Sitcoms und Kinofilmen verfestigt, reproduzieren die einschlägigen Images von Suburbia bis in die Gegenwart. Eine Leerstelle dieser kollektiven Verdikte bleibt jedoch, beispielsweise die Frage, warum die suburbanen Lebenswelten trotz ihrer vielfach beschriebenen Mängel eine erstaunlich stabile Anziehungskraft auf zahlreiche Nutzer ausgeübt haben; eine andere handelt von der Entschiedenheit, mit der civil rights movements auch benachteiligten Bevölkerungsgruppen wie Afroamerikanern Zugang zum suburbanen Raum verschafft haben. Offenbar waren die tradierten Schlussfolgerungen der Stadtkritik zu einfach, zu eindimensional, so dass sie der Verschiedenheit der Suburbs oder ihrem Potential zur Herausbildung von community gegenüber blind blieben. Thematisiert wird auch die stetig nachlassende Ortsbindung sozialer Aktivitäten und Zusammenhänge, die "Stadt" bzw. "Urbanität" womöglich auch jenseits der alten Zentren möglich und erfahrbar gemacht haben - zumindest so lange, wie die zeitlichen und stofflichen Ressourcen (Energie) hierfür ausreichend zur Verfügung stehen.  
Robert Bruegmanns Buch Sprawl. A Compact History ist weniger ein historischer Abriss der Suburbanisierung in den USA als vielmehr eine Untersuchung dessen, wie dieser Gegenstand im gesellschaftlichen Diskurs verhandelt und bewertet wurde. Insofern fügt Bruegmann der bisher stark durch geschichtswissenschaftliche Arbeiten und Sichtweisen geprägten Diskussion einen neuen Akzent hinzu, der zudem einer dezidiert libertären Einstellung folgt: erstens kritisiert er die Kritik an der Suburbanisierung, zweitens interpretiert er ihre Folgen als Ausdruck der freien Wahl souveräner Konsumentinnen und Konsumenten.  
Das Buch ist in drei Teile gegliedert: Teil 1 befasst sich mit der historischen Entwicklung von Sprawl und - vorweg - einem Definitionsversuch des Gegenstandes. Teil 2 besteht aus der keineswegs wertfreien Rekonstruktion historischer Diskussionsstränge und Kampagnen gegen Sprawl, fokussiert auf Entwicklungen im Grossbritannien der 1920er-Jahre sowie im Amerika der Nachkriegszeit. Ein Überblick der verschiedenen Argumentationslinien und Diskursmodi wurde bisher nirgendwo so anschaulich gegeben wie hier. Teil 3 analysiert die seit den 1970er-Jahren vornehmlich in den USA verfolgten Aktivitäten zur Bekämpfung von Sprawl, wobei sowohl analytische Konzepte (etwa die vielzitierte, von der Bank of America geförderte Untersuchung: The Costs of Sprawl) als auch neue Planungs- und Gestaltungsideen, wie sie etwa in Portland, Oregon oder im Kontext von Labels wie Smart Growth und New Urbanism entwickelt wurden. Die zentrale Aussage von Bruegmann liest sich wie folgt: die Abnahme städtischer Bevölkerungsdichten ist im Zeitablauf eine unabänderliche Konsequenz der Urbanisierung; diese Bewegung folgt nahezu naturgesetzlichen Regeln bzw. Logiken; alle Versuche, diese Bewegung und ihre Folgen zu steuern, sind (unzulässige) Eingriffe in die Autonomie individueller Entscheidungen und effektiv zum Scheitern verurteilt.
Das Buch hat seine unbestrittenen Verdienste in der Öffnung einer durch diffuse Begrifflichkeiten, komplexe Bedeutungszuschreibungen und politische Hybris verengten Debatte. Es reiht sich ein in eine Familie von Arbeiten, die die streckenweise sehr pauschale und polarisierte Kritik der Suburbanisierung intellektuell herausfordert und pluralisiert (vgl. Clapson 2003). Andererseits weist Bruegmanns Argumentation auch erhebliche Schwächen auf. Zum einen verkürzt auch er den vielschichtigen Prozess der Siedlungsentwicklung auf einen - zu simplen - Indikator, die Bevölkerungsdichte pro Raumeinheit. Auch durch Bruegmanns Werk diffundiert die Vokabel Sprawl in ihrer schimärenhaften Vieldeutigkeit - obwohl er selbst feststellt, dass der Gebrauch dieses Wortes eher verwirrend ist und im Ergebnis Uneinigkeit stiftet (p. 223). Zum anderen kommt die politische Natur von Stadtplanung und Stadtökonomie in seiner Darstellung viel zu kurz. Wenn er die vermeintlich überragenden Erfolge der regionalen Planung in Portland, Oregon zu Recht vom Sockel ihrer internationalen Reputation stösst, unterlässt er doch auch eine kritische Auseinandersetzung mit den Folgen der Suburbanisierung. Selbst unterstellt, dass diese Entwicklung nicht einfach linear steuerbar ist, darf man die Augen wohl nicht vor der Tatsache verschliessen, dass das ungebremste Flächenwachstum der Stadtregionen auch grosse Probleme mit sich bringt. Bruegmann bringt diesen Prozess stattdessen auf die Formel "choice": das Ergebnis folgt der freien Wahl souveräner Marktteilnehmer. Über Marktzugang, Verteilungsgerechtigkeit und -grenzen kein Wort; die öffentliche Sache kommt nicht vor. Der durchaus vorhandene Wert des Buches liegt insofern in seiner provokativen Hinterfragung vermeintlicher Gewissheiten des planungspolitischen Diskurses, weniger im Aufzeigen von Pfaden einer allgemein tragfähigen zukünftigen Entwicklung. Dass der Klappentext Bruegmanns Buch als bedeutendstes Werk zur amerikanischen Landschaft seit Jane Jacobs' Tod und Leben der Grossen Amerikanischen Städte lobt, ist eine grandiose Übertreibung des einschlägigen Verlagsmarketings, die dem Buch selbst nicht gerecht wird.   
Fazit
Die jüngere Forschung zur Suburbanisierung Nordamerikas betrachtet diesen Gegenstand als Ausdruck sehr verschiedener, komplex miteinander verknüpfter gesellschaftlicher, ökonomischer und baulich-räumlicher Prozesse und Wirkkräfte. Im Unterschied zu landläufigen Klischees werden suburbane Räume hier so vielschichtig und pluralistisch diskutiert wie wohl auch de facto sind. Während die Kernstädte sich ausgangs des 20. Jahrhunderts, u. a. mit Hilfe von Zuwanderung und demographischem Wandel erholen, zeigt sich die Entwicklung suburbaner Räume in Nordamerika weiter ausdifferenziert: Zum einen altern die klassischen Suburbs, insbesondere aufgrund zyklischer Effekte und der nicht nachlassenden räumlichen "drift" nach "aussen ". Teilweise zeigen sie Tendenzen zur ausgereiften Urbanisierung, mit den verschiedenen Begleiterscheinungen von Verdichtung, Anreicherung und "social mix", auf Kosten einer zunehmend überlasteten Infrastruktur; teilweise folgen sie einer sich selbst verstärkenden Abwärtsbewegung und entwickeln sich zu solchen Problemgebieten, wie sie bis dato eher die Inner Cities darstellten. Zum anderen sind in grösserem Abstand von den Kernstädten neue suburbane Wachstumsräume entstanden, insbesondere im südlichen und westlichen Nordamerika, die nicht Millionenstädte bilden, aber schnell gewachsene mittlere Grossstädte mit einer Bevölkerung von mehreren Hunderttausend Menschen. Sie werden heute auch als "Boomburbs" (Lang, Le Furgy 2007) bezeichnet. Gemeinsam ist alten und neuen Suburbs die Zunahme sozialer, ethnischer und, in geringerem Umfang, auch rassischer Diversität. Die dritte Bevölkerungsbewegung verläuft mit anhaltend hoher Dynamik in die gleiche Richtung: in die Exurbs und in ländliche Gebiete, teilweise bereits in grösserer Distanz zu bzw. wachsender Unabhängigkeit von der Kernstadt.   Die Fachöffentlichkeit in Europa interessiert sich für diese Entwicklungen vor allem aus vergleichender Perspektive. Dieses nachvollziehbare Interesse hat in den 1980er- und 1990er-Jahren zu intensivierten Diskursen um eine "Amerikanisierung " der Raumentwicklung geführt - eine Diskussion, die indes oft stark vereinfachend blieb. Natürlich beantwortet sich die Frage nach dem "Europäischen" unserer Städte nicht in der akklamatorischen Zuspitzung dessen, was sie nicht sein soll. Die zunehmend aufgefächerte Darstellung der Suburbanisierung in Nordamerika zeigt uns allerdings einen Ausschnitt sich stetig wandelnder Urbanität. Deren Interpretation setzt Offenheit für Neues voraus, aber auch Zurückhaltung gegenüber vorschnellen Bewertungen. Ein Beispiel hierfür könnte der momentane Rausch um eine "Renaissance " der Kernstädte geben, der nahezu umstandslos und kontextfrei an die Untergangsszenarien der schrumpfenden Stadt anknüpft - ebenso wie diese Szenarien zuvor ohne grossen Zusammenhang auf die Debatte um eine post-moderne Urbanisierung der 1980er- und 1990er-Jahre folgten. Es bleibt die Herausforderung der Stadtforschung, diese Facetten der Urbanisierung zusammenzuführen und in einen gemeinsamen Kontext zu stellen. Die hier vorgestellten Bücher geben auf jeweils sehr spezifische Art wichtige Anregungen dazu.  

Anmerkungen
1 Vgl. die Auswertungen des U.S.-Census 2000, die in der Brookings-Reihe Redefining Urban and Suburban America veröffentlicht wurden, ausserdem z. B. Lang (2003) und Lang/Le Furgy (2007).

Literatur
Clapson, M. (2003): Suburban Century. Social Change and Urban Growth in England and the USA. Oxford, New York: Berg.
Lang, R. E. (2003): Edgeless Cities. Exploring the Elusive Metropolis. Washington D. C.: Brookings Institution Press.
Lang, R. E.; Le Furgy, J. (2007): Boomburbs. The Rise of America's Accidental Cities. Washington D. C.: Brookings Institution Press.

Markus Hesse

 

Quelle: disP 173, 2/2008, S. 74-77