Matthias Drilling und Patrick Oehler (Hg.): Soziale Arbeit und Stadtentwicklung. Forschungsperspektiven, Handlungsfelder, Herausforderungen. Springer VS, Wiesbaden 2013. 428 S.
Im der amtierenden Bundesregierung zugrunde liegenden Koalitionsvertrag finden sich unter dem Kap. 4.2 „Lebensqualität in der Stadt und auf dem Land – Gutes und bezahlbares Wohnen“ Ausführungen zur Liegenschaftspolitik, zum Sozialen Wohnungsbau (S. 114), zu Bezahlbaren Mieten (S. 115) sowie zum Generationen- und altersgerechten Wohnraum (S. 116). Nach Jahren der Kürzungen, beispielsweise im Programm Soziale Stadt, möchte die Bundesregierung nunmehr den Sozialen Wohnungsbau wiederbeleben und u. a. eine sozialverträgliche Sanierung des Wohnungsbestandes vorantreiben (S. 114 f. des Koalitionsvertrags). Was der Begriff sozialverträglich in diesem Zusammenhang bedeutet, wird nicht erläutert. Eindeutig scheint aber zu sein, dass der Sozialplanung im Städtebaurecht, mit der sich bereits Schulze-Fielitz in seiner Dissertation im Jahre 1982 auseinandersetzte, in der Gegenwart größeres Gewicht – möglicherweise gar eine Renaissance? – beschieden sein könnte.
Zur Ausfüllung des Terminus „Sozialverträglich“ finden Wissenschaftler und Praktiker in dem vorliegenden, gehaltvollen Kompendium von Matthias Drilling und Patrick Oehler von der Fachhochschule Nordwestschweiz sinnhafte Anregungen. Doch kann – unter den aktuellen Herausforderungen – das Zusammenleben der Menschen gesamthaft gestaltet werden, wie es Le Corbusier einst forderte? Drilling und Oehler meinen: ja und greifen in sieben Hauptkapiteln die mannigfaltigen Facetten von Sozialplanung, Gemeinwesenarbeit, Quartiersmanagement, Immobilienentwicklung und (Stadt-)Planung auf. Sehr gut gefallen mir die Kapitel zu Forschungsperspektiven (S. 43–109), Handlungsfeldern (S. 113–191) und zu den Herausforderungen (S. 307–419). Die Praxisbeispiele fallen mitunter etwas dünn und nichtssagend aus, mit einem Schwergewicht auf den Städten Basel und Bern. Hier hätte ein Blick über den schweizerischen Tellerrand hinaus durchaus gut getan. Man ahnt zudem, dass sozial nachhaltiger Stadtumbau im österreichischen Salzburg etwas diametral anderes bedeuten kann als beispielsweise in Frankfurt/Oder, um nur ein Raumbeispiel zu nennen. Die Erfahrungen mit Mietenpolitik, Stadtteilentwicklung und der gesamtstädtischen Bodenpolitik in Wien nach dem Motto „Leben und leben lassen“ in Bezug auf die Steuerung des Grundstückseigentums sind nicht unbedingt verallgemeinerbar. Wien ist boden- und sozialpolitisch nach wie vor eine Insel der Seligen. Die Autoren des Kapitels „Akteure und Kooperation“ belegen, dass die Anforderungen an eine benevolente Stadtplanung beachtlich sind. Man denke nur an das Problem der Effektivierung der direkten Lenkung privater Nutzungen des Grund und Bodens durch Einflussnahme auf die privaten Nutzungsentscheidungen und die Bodenverteilung. Im Jahr 2010 rechnete die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) mit dem Verkauf bundeseigener Liegenschaften im Volumen von 6,8 Mrd. Euro innerhalb der nächsten fünf Jahre. Der Markt für Privatisierung scheint nach wie vor das Gebot der Stunde zu sein; die fortschreitende Enteignung des Gemeinwesens ist vorprogrammiert und Sozialplanung dadurch weniger wirkmächtig. Was geschieht beispielsweise mit dem (Paket-)Verkauf von Belegrechtswohnungen an Investoren? Die Heterogenität von Eigentümerstrukturen und neue Geschäftsmodelle wie ein sich herausbildender Markt für KdU-Empfänger, der für den Investor stabile Mietzahlungen und einen verlässlichen Cash Flow garantiert oder das Phänomen der „Quartiere auf Zeit“, wie es gegenwärtig in Halle/Saale zu beobachten ist, zeigt das Spannungsfeld zwischen den Bemühungen um soziale Quartiersentwicklung, Immobilienmarkt und Stadtpolitik. Investoren argumentieren nicht selten: „Beton hält 90 Jahre“; sie präferieren Insellösungen und inkorporieren nicht unbedingt den ökologischen und sozialen Wert und die Bedeutung ihrer Portfolioentscheidungen. Ein lang laufendes sozialräumliches Monitoring und eine Kooperation mit den für die soziale Quartiersentwicklung verantwortlichen Akteuren wird dadurch fraglos erschwert. Es gibt auch „sozial schwache“ Investoren, worauf Ulrich Kriese treffend und pointiert hinweist (S. 327–341). Sehr informativ ist der Beitrag von Martin Becker zum „Ende der Bürgerkommune oder ein Recht auf Stadt“ (S. 289–304), in der er die Gestaltungsmöglichkeiten der physischen Stadtstruktur durch Mitwirkung aus stadtökonomischer und juristischer Warte untersucht. Für ein zukunftsfähiges Change Management, wie mit Brachflächen und Zwischennutzungen umgegangen werden kann, sind Anregungen aus dem Bereich der Gemeinwesenarbeit und Sozialraumorientierung gewiss sinnvoll. Als Fazit dieser interessanten, aktuellen Publikation kann durchaus die Frage gestellt werden, ob Planer, verantwortliche Politiker und die Immobilienwirtschaft radikal umdenken müssen im Sinne einer gemeinschaftlichen Grundstücksentwicklung? Deutlich wird, dass soziale Bodenpolitik mithin eine Good Land Governance-Flankierung braucht. Governance kann die Nutzung der Grundstücke im Stadt- und Dorfraum erheblich optimieren, ist aber an bestimmte Steuerungsvoraussetzungen und vor allem an die Kooperationsbereitschaft der bisherigen Grundstückseigentümer geknüpft. Diese Kooperationsbereitschaft könnte durch – zukünftig aufgestockte – Fördermittel aus dem Programm Soziale Stadt, durch städtebauliche Verträge oder mit baurechtlichem Zuckerbrot und Peitsche erlangt werden, um die Diskrepanz zwischen Renditeerwartung und gemeinwohlgeleitetem Sozialraummanagement auszugleichen. Fazit: Einem wissenschaftlich fundierten Kapitel zu den Fortentwicklungsmöglichkeiten und Integrationschancen der Sozialen Arbeit in die Stadtplanung steht ein m. E. nach teilweise marginaler und einseitiger Abschnitt mit Raumbeispielen – etwa zum Stadtteilsekretariat Kleinbasel, zum „Sofaprojekt“ in Basel oder zur Quartierskoordination in Zürich – gegenüber.
Fabian Thiel