Frau Hillmann, woran arbeiten Sie gerade?
In diesen Monaten beschäftigen mich zwei Themen ganz besonders. Ein Dauerbrenner in meiner wissenschaftlichen Arbeit ist das Thema "Migration", das m.E. besonders gut dazu geeignet ist, veränderte soziale und räumliche Organisationsformen im Rahmen der Globalisierung zu verstehen und zu analysieren. Auf einer theoretischen Ebene interessiert mich, wie Migration zunehmend als räumliche Definitionsmacht funktioniert, d.h. Ausdruck und Triebkraft von veränderter sozialer, ökonomischer und politischer Organisation und Verteilungslogiken ist.
Empirisch interessiert mich, wie sich diese globalen Veränderungen regional und lokal niederschlagen: beispielsweise durch eine veränderte Bedeutung migrantischen Unternehmertum für die Stadtentwicklung (z.B. als ‚marginale Urbanität') oder aber konflikthaft, beispielsweise durch veränderte Migration trajectories und verschärfte Grenzkontrollen. ‚Migrationsbewegungen' sind komplexe Prozesse und die Analyse der Verschiebungen von Handlungspielräumen und - reichweiten der unterschiedlichen Akteure (die sich in "Migrationen" ausdrückt) lässt sich nur über eine Mehr-ebenenanalyse erzielen.
Zweitens interessiere ich mich dafür, wie europäische Stadtentwicklung hergestellt wird. Hierzu beschäftige ich mich seit einigen Jahren schon mit dem Fallbeispiel Genua.
Die Umgestaltung der europäischen Städte in den vergangenen zwei Dekaden fand ihren Ausdruck in einer Überformung der gebauten Stadtlandschaft und in einer Umstrukturierung der sozialräumlichen Struktur innerhalb der Städte selbst. Das, was gemeinhin als "Urbanität" gefasst wurde - die entfaltete Individualität bzw. bürgerliche Emanzipation, die produktive Differenz und soziale Integration in den Städten - wird in Europa in den kommenden Jahren zu einer der wesentlichen Herausforderungen der Stadtentwicklung werden. Die europäischen Städte, die lange ein Produkt bewusster Planung waren, verwandelten sich von selbstverwalteten Institutionen mit dem Ziel der Sicherung der Daseinsvorsorge für alle BürgerInnen zu unternehmerisch strukturierten Städten, deren Handeln sich zunehmend auf die Sicherung von ökonomischen Vorteilen und u.a. durch Privatisierung ausrichtete.
Wie viele andere Städte hat Genua seit 1992 die völlige Abkehr von einem auf Schwerindustrie ausgerichteten Wirtschaftssystem verkraften müssen - ohne dass neue Wirtschaftsfelder bereits angelegt gewesen wären. Auch hier wurden neue Instrumente der Stadtentwicklungspraxis angewendet und weiterentwickelt; man hat sich dazu dem internationalen Wettbewerb um Finanzmittel ausgesetzt. Die Altstadt wurde revitalisiert und das reiche historische und kulturelle Erbe aufgewertet. Die Stadt versucht einen Umgang mit dem demographischen Wandel, der sehr viele alte und weniger junge Menschen mit sich bringt, zu finden und reagiert auf eine starke Immigration aus Afrika und Südamerika. Einiges spricht dafür, dass die Stadt Genua jetzt schon vieles modellhaft abbildet, was sich im nächsten Jahrzehnt in vielen anderen Städten Europas erst noch vollziehen wird. Warum? Stärker als andere Städte musste sich Genua in seiner Stadtgeschichte immer wieder für ausgewählte Entwicklungslinien entscheiden und diese dann umsetzen - weil dies in der geographischen Lage der Stadt so angelegt ist und dies eine stärkere Eindeutigkeit von Entwicklungen einforderte.
kurzer Lebenslauf: Studium der Geographie, Linguistik und Italianistik in Freiburg im Breisgau, Promotion 1995 (Auszeichnung durch die DSW), 1994 - 2000 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am WZB, Berlin, 2001 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am WSI, Düsseldorf; 2001 - 2006 FU Berlin, Vertretung einer akademischen Ratsstelle; seit 2006 Ruf auf die Professur "Angewandte Geographie" an der Universität Bremen (Vertretung), zahlreiche internationale Publikationen, Mitglied im Kuratorium des Bundesinstitutes für Bevölkerungsforschung; Mitglied des Steering Committee von Migremus (Universität Bremen), Sprecherin des AK "Geographische Migrationsforschung" der DgfG.
zum Weiterlesen (Migration): Editorial Erde; Beitrag Nationalatlas(http://aktuell.nationalatlas.de/Gewerbeanmeldungen.6_06-2010.0.html) sowie Migremus (http://www.migremus.uni-bremen.de/).
Stadtentwicklung: Forum -IFL (2011): Grosse Schiffe am Horizont und Fragmentierung zuhause. Stadtentwicklung in Genua. Band 14. Leipzig.
Kontakt:
Prof. Dr. Felicitas Hillmann
Universität Bremen
Institut für Geographie
Bibliothekstr. 1
28359 Bremen
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Tel.: 0421-218 67130