nah & fern. Das Kulturmagazin für Migration und Partizipation. Schwerpunkt: Engagement ohne Bevormundung. Karlsruhe, Heft 37, 12/2007, 60 Seiten
"Wenn man den Helfer zufällig auf der Straße trifft, erzählt man ihm automatisch, ob [...] die Tabletten gegen Depression nun besser wirken. [...] Man benimmt sich wie ein Kind [...], das die Mutter trifft und sofort sagt, wohin es geht." Devrim Lehmann, die als politischer Flüchtling in Deutschland lebt, benennt damit einen Mechanismus alltäglichen und internalisierten Paternalismus. Der lesenswerte Heftschwerpunkt "Engagement ohne Bevormundung" der dreimal jährlich erscheinenden Zeitschrift nah & fern, die sich an ehrenamtlich und beruflich Aktive in der Flüchtlings(sozial)arbeit richtet, greift ein heikles Thema auf: das Verhältnis zwischen Helfenden und KlientInnen.
Vier Perspektiven werden auf die Problematik geworfen: Devrim Lehmann beschreibt den "Zwiespalt zwischen Abhängigkeit und Selbstbehauptung" auf beiden Seiten, so hat sie auch bei Helfenden eine Abhängigkeit von den zu Helfenden festgestellt. Sie fordert, dass - etwa vor Gericht - sie es ist, die bestimmt, ob und wie ihre Geschichte erzählt wird. Der Ethnologe Stephan Dünnwald hat ehrenamtliches Engagement genauer unter die Lupe genommen und diagnostiziert vor allem bei den deutschen Helfenden einen "pädagogischen Habitus" und eine "belehrende Grundhaltung". Zurückzuführen sei dies auf die deutsche Ausländerpolitik und die Vorstellung, dass "alle Problemfelder auf pädagogischem Weg bewältigt werden müssen" und nicht etwa politisch sowie auf die enge Verzahnung von Wohlfahrtsverbänden und staatlicher Migrationspolitik. Mehrnousch Zaeri- Esvahani, die mit ihren Eltern aus dem Iran über die Türkei nach Deutschland flüchtete, rechnet in "Nur ihr Bestes" mit den "Um zu"-Sätzen ab. - "Um sie zu integrieren, gebe ich ihnen Integrationskurse" (Innenminister) oder "Um sie vor der Abschiebung zu schützen, verstecke ich sie in meiner Wohnung" (Helfer). Der Soziologe Albert Scherr plädiert für einen Umgang mit Flüchtlingen und MigrantInnen, der Stereotype hinterfrage, mit Selbstorganisierungen kooperiere und sich einem ethnisierenden Kulturdiskurs entgegen stelle. Die Voraussetzung dafür ist eine Repolitisierung der Sozialen Arbeit und die Auseinandersetzung mit der Migrationspolitik und den Gründen von Problemlagen. Dem Heft gelingt es, facettenreich die Problematik zu beleuchten und ohne Schuldzuweisungen, aber trotzdem mit klaren Worten, Veränderung einzufordern. Folgerichtig behandeln auch die anderen Beiträge von nah & fern kritisch die deutsche und europäische Migrationspolitik, werden Fotos migrantischer KunstproduzentInnen publiziert und ironisch Deutsche im Einwanderungsland betrachtet.
Helen Schwenken