Karl Lenz: Kanada. Geographie, Wirtschaft, Politik (unter Mitarbeit von Rainer-Olaf Schultze). Darmstadt 2001 (Wissenschaftliche Länderkunden). 349 S.

Das Buch stellt die veränderte Neuauflage des 1988 erstmals erschienenen und gut aufgenommenen Werkes 'Kanada. Eine geographische Landeskunde' dar. Der Text ist weitgehend neu gefasst, gekürzt oder ergänzt. Ein Kapitel über politische Strukturen und Entwicklungen in Kanada ist hinzugekommen und von Rainer-Olaf Schultze unter Mitarbeit von Dagmar Eberle, Steffen Schneider und Tanja Zinterer verfertigt worden. Im wesentlich umfangreicheren geographischen Teil gelingt es dem Autor, wichtige geographische Merkmale des Landes in einer prägnanten, gut lesbaren Form darzustellen.

Die Schwierigkeit beim Verfassen eines derartigen Werkes liegt nicht zuletzt darin, einen methodischen Weg zu finden, aus der Vielzahl der bestehenden geographischen Informationen bei stark angewachsenem neuerem Schrifttum Wesentliches und besonders Charakteristisches herauszufiltern. Diese Aufgabe hat der Autor in sehr ausgewogener Weise mustergültig bewältigt. Die Darstellung ist faktenreich und präzise, ohne sich je in Details zu verlieren oder irgendwo weitschweifig zu werden. Die Urteilssicherheit ist bemerkenswert, wobei dem Autor eine vierzigjährige Forschungstätigkeit über die Kulturgeographie Kanadas zugute kommt. In jedem anthropogeographischen Hauptkapitel wird konsequent nach dem Prinzip vorgegangen, langjährige Entwicklungsprozesse zu verfolgen, oft beginnend im 19. Jahrhundert, teilweise noch früher. Dies ist ein anspruchsvolleres Verfahren als die Beschränkung auf eine geographische Momentaufnahme oder die Darstellung kurzfristiger Änderungen und wird durch eine profunde Literaturkenntnis unterstützt. Ungeachtet des Einbeziehens der historisch-geographischen Dimension werden jüngere und jüngste Entwicklungen, und zwar in den relevanten Wirtschaftssektoren einschließlich des Außenhandels, im Verkehrswesen, bei der bevölkerungsgeographischen Struktur sowie beim stadtgeographischen Gefüge, angemessen berücksichtigt. Angesichts der heutigen Bedeutung der Großstädte Kanadas als Siedlungs- und Lebensraum der Mehrzahl der Bevölkerung und ihres Gewichtes bei den Wirtschaftsleistungen außerhalb des primären und rohstoffverarbeitenden Sektors in der hoch entwickelten kanadischen Volkswirtschaft ist es konsequent, wenn das Kapitel 'Verstädterung und Dominanz der Metropolen' das umfangreichste ist. In diesem Kapitel werden unter anderem die dreizehn wichtigsten Städte Kanadas in kurzen stadt- und wirtschaftsgeographischen Porträts vorgestellt, was in ihrer differenzierenden Betrachtungsweise allzu einfachen Modellvorstellungen von der angeblich typischen nordamerikanischen Stadt wohltuend entgegenwirkt. Nur bei einigen wenigen Details sind Einwände vorzubringen, allerdings eher Marginalien angesichts der Informationsfülle des Werkes: 1890 als Datum für den Beginn der Industrialisierung erscheint mir etwas spät, da in Montréal schon 20 Jahre früher, insbesondere entlang des Lachine-Kanals, größere Industriebetriebe bestanden haben. Bei den Bergbauaktivitäten sollte sowohl in der zugehörigen Karte als auch im Text die Kupfer-, Blei- und Zinkförderung in einer der größten Lagerstätten dieser Art in Kanada, nämlich im Raum Bathurst, Berücksichtigung finden. Dem neuen Verlagskonzept der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft innerhalb der Reihe 'Wissenschaftliche Länderkunden' entsprechend, ist der geographischen Darstellung noch ein politikwissenschaftliches Kapitel angefügt. In Anbetracht des zu erwartenden breiten Interessentenkreises ergibt dieser interdisziplinäre Ansatz durchaus einen Sinn, zumal hier grundlegende Fakten über die Verfassung und die politischen Institutionen präsentiert werden, über die eigentlich jeder, der sich wissenschaftlich mit dem Land beschäftigen möchte, Kenntnisse erwerben sollte. Zudem lassen sich Bezüge zum geographischen Teil herstellen, insbesondere bei der Behandlung von Ethnizitätsproblemen und bei der Wirtschaftspolitik. Zum Verständnis etlicher wirtschaftsgeographischer Prozesse ist nicht zuletzt das gut geschriebene Unterkapitel über die Außenwirtschaftspolitik wichtig. Außerhalb des systematischen Aufbaus liegt der Abschnitt mit dem Titel 'Einblicke' am Ende des Buches, in dem in vier Miszellen für Kanada typische Themen behandelt werden, nämlich der Norden Kanadas als Entwicklungsland, die Urbevölkerung, der kulturelle Dualismus mit der Gefahr einer Separation und das Verhältnis Kanadas zu den USA. Das Buch ist mit (teilweise sehr stark generalisierten) Farbkarten und sachkundig ausgewählten Farbbildern reichhaltig ausgestattet. Dem ausgezeichneten und anregenden Werk ist eine weite Verbreitung und viel Beachtung zu wünschen.

Autor: Axel Wieger

 

Quelle: Die Erde, 131. Jahrgang, 2000, Heft 1