Isabelle Häner, Markus Rüssli u. Evi Schwarzenbach (Hg.): Kommentar zur Zürcher Kantonsverfassung. Zürich 2007. 1428 S. Kommentar zur Zürcher Kantonsverfassung - Hinweise auf Raumplanung, Umwelt und Verkehr
Die Bundesverfassung belässt die Raumplanung den Kantonen, erst recht das Baurecht (Art. 75 BV). Demgegenüber ist die Gesetzgebung über den Umweltschutz (Art. 74 BV) dem Bund übertragen, selbst den Vollzug kann er auf dem Wege der Gesetzgebung an sich ziehen. In Verkehrsfragen (Art. 82 ff. BV) tritt der Bund seit Jahren sukzessive pointierter hervor, nachdem früher das Strassenwesen weitgehend den Kantonen vorbehalten war.
Nicht nur das Strassenverkehrsrecht ist Bundesrecht, auch die Nationalstrassen sind zur Bundesaufgabe geworden. Die Gesetzgebung über die Eisenbahnen und weitere Verkehrsträger (Seilbahnen, Schifffahrt sowie Luft- und Raumfahrt) ist ebenfalls dem Bund vorbehalten. Im Bereich der Agglomerationsprobleme und des Agglomerationsverkehrs beansprucht der Bund, am Rande seiner Kompetenzen, so etwas wie Innovations- und Anstossvermögen, einerseits von der finanziellen Seite her, anderseits aufgrund der Rücksichtnahme, auf die er gemäss dem Gemeindeartikel (Art. 50 BV) verpflichtet ist.
Der Kanton Zürich verfügt seit dem 1. Januar 2006 über eine neue Verfassung. Diese handelt in den Artikeln 101, 102, 103, 104 in dieser Reihenfolge ausdrücklich von der Raumplanung, dem Umweltschutz, dem Natur- und Landschafts-, Ortsbild- und Denkmalschutz sowie vom Verkehr. Diese sind im neu vorliegenden Kommentar qualifiziert beleuchtet. Vorweg fällt auf, dass die Zürcher Verfassung mit der Raumplanung einsetzt und die andern erwähnten Aufgaben systematisch nachordnet, was sachgerecht ist, zumal Umweltschutz, Landschaftsschutz sowie Verkehr die räumliche Grundordnung voraussetzen, was (leider) die Bundesverfassung, entgegen dem bundesrätlichen Entwurf, unter Nachhaltigkeitsaspekten anders entwickelte.
Die knapp gehaltene zürcherische Kommentierung
der Raumplanung (Art. 101) hebt die Querschnittsfunktion hervor, unterstreicht den Bezug zur Nachhaltigkeit und die Bedeutung der Ziele, ergänzt durch die zutreffende Aussage, dass die Ziele der Raumplanung vielfältig sind, dass sie sich teilweise widersprechen und dass die Ziele des (nominalen) Raumplanungsrechts um jene des funktionalen, also des Umweltrechts, des Waldrechts usw. zu ergänzen und immer ganzheitlich abzuwägen sind. Nicht verständlich bleibt, nachdem im zitierten Verfassungsartikel vom "Lebensraum" die Rede ist, dass von einer Umweltverfassung gesprochen wird, würde es doch nahe liegen, die massgebenden Bestimmungen unter dem Begriff der "Lebensraumverfassung " zusammenzufassen, zumal es den Lebensraum nicht nur zu schützen, sondern auch zu gestalten gilt.
Im Artikel über den Umweltschutz (Art. 102) ist, zusätzlich zu den parallelen Aussagen der Bundesverfassung, die Förderung der Anwendung nachhaltiger Technologien betont. Der Kommentar widmet dieser Ausweitung Aufmerksamkeit. Anders als im Bundesgesetz über den Umweltschutz geht es auf kantonaler Ebene akzentuiert um deren Anwendung und nicht um die Entwicklung. Neben der finanziellen Unterstützung wird auch an das Beseitigen von rechtlichen Hindernissen gedacht, beispielsweise im Bau- und Planungsrecht. Der Kommentar unterstreicht dabei den Bezug zur Verpflichtung, nachhaltig zu handeln.
Bei der Kommentierung der Bestimmung über den Landschafts-, Natur- und Heimatschutz usw. (Art. 103) fallen, neben der hilfreichen Erläuterung der Kompetenzverteilung Bund/Kantone/Gemeinden, die Hinweise auf die Raumplanung auf, was nicht nur sachgerecht ist, sondern auch den herausragenden Stand der entsprechenden Regelungen im kantonalen Raumplanungsrecht spiegelt. Klärend ist die Aussage, gemessen am Wortlaut des Verfassungstextes, dass die Raumplanung ihre Aufgaben hier wie ganz allgemein kaum an Dritte delegieren kann, sondern selbst wahrnehmen muss.
Was den Verkehr (Art. 104) angeht, so finden sich auf der Verfassungsstufe des Kantons Zürich Formulierungen, welche die Bundesverfassung nicht kennt. Diese Bestimmung ist denn auch beispielhaft aussagekräftig und ruft geradezu nach einer entsprechenden Kommentierung. Es geht u.a. um die Ordnung des gesamten Verkehrs sowie um die Förderung des öffentlichen Personenverkehrs im ganzen Kanton. Bedauerlich ist, dass just bei dieser Bestimmung das Verhältnis Raumordnung/Verkehr in seiner wechselseitigen Relevanz kommentarseitig nicht deutlich hervortritt, um so mehr als die Verfassung den Verkehr, der nicht Selbstzweck ist, ganzheitlich und auf Leistungsfähigkeit gerichtet geplant sehen will. Dies kann ohne Abstimmung mit der Raumordnung nicht erfolgreich geschehen. Das Bemühen des Kommentators, die Förderung des Güterverkehrs auf der Schiene, die gemäss Wortlaut der Verfassung nicht erwähnt ist, zu retten, erscheint juristisch eher fragwürdig. Wichtig sind hingegen die Aussagen zum Flughafen Zürich. Allerdings zeigt sich hier: Ohne das Mitbedenken des Bundesrechts bleiben Aussagen, begrenzt auf das kantonale Recht, eher ohne ausreichendes rechtliches Fundament und ohne hinreichende Problemrelevanz.
Wenn hier nur die für Raumplaner und zugewandte Kreise unmittelbar relevanten Bestimmungen, resp. deren Kommentierung, besprochen wurden, so heisst dies nicht, der Kommentar sei anderweitig nicht wichtig genug, konsultiert und gelesen zu werden. Seine besonderen Qualitäten sind im Verfahrens- und Organisationsrecht auszumachen - und selbst dieses verdient die Aufmerksamkeit aller, die mit dem "Lebensraum" befasst sind.
Martin Lendi
Quelle: disP 172, 1/2008, S. 99-100