Elisabeth Lichtenberger: Die Stadt. Von der Polis zur Metropolis. Darmstadt 2002. 304 S.
Der Untertitel, vom Verlag gewählt, wird im Vorwort relativiert. Er betont zwar die bis zur griechischen Polis zurückreichende Sichtweise, entspricht jedoch nur bedingt den Auswahlkriterien der Beschreibung und Erklärung der Stadtentwicklung. Das Grundthema des Buches sind die Beziehungen zwischen Stadtentwicklung und politischen Systemen in Europa und Nordamerika, eine im Titel nicht erkennbare thematische und räumliche Beschränkung.
Damit sind Armut, informeller Sektor und Marginalisierung keine Themen des Buches, allerdings auch nicht De- oder Entindustrialisierung, Grund erheblicher Veränderungen der Siedlungs-, Wirtschafts-, Bevölkerungs- und Sozialstruktur in Europa und Nordamerika. In den ersten Kapiteln werden Formen, Normen und soziale Bewertungen der Stadt seit der Antike in Europa sowie konvergente und divergente Entwicklungspfade in Europa und Nordamerika, Strukturen innerstädtischer Räume (Stadtmitte, Stadtviertel, Stadtränder) und Determinanten und Leitbilder der Stadtentwicklung aufgezeigt, in den letzten Kapiteln Grund- und Aufrissformen, historische Wohnraumtypen, Segregation in Wohnhäusern und Wirtschaftsbetriebe in Städten. Unterschiedliche Entwicklungslinien werden souverän zusammengeführt. Hinter den Siedlungsstrukturen, -formen und -funktionen treten jedoch die handelnden Menschen, Entscheidungen und Motive stark zurück, hinter detaillierten Grundrissbeschreibungen der Gebäude und Wohnungen soziale Ungleichheit und Polarisierung, Konflikte und Abhängigkeiten. Durch Zeichnungen, Fotos und Abbildungen ist das Buch sehr anschaulich. Es beeindruckt durch den breiten interdisziplinären Ansatz, durch Literaturkenntnis und Forschungserfahrung und durch die sichere Einordnung und Bewertung von Forschungsbelegen. Nützlich wären Literaturverweise im Text und Definitionen wichtiger Begriffe. Das Buch ergänzt, vertieft und erweitert Lehrbuchdarstellungen.
Autor: Wolf Gaebe