Jens Friedemann, Rüdiger Wiechers (Hg.): Grundlagen und Visionen europäischer Stadtentwicklung. Frankfurt a. M. 2008. 389 S.
Ein Sammelband, der seinem anspruchsvollen Titel mit einer Vielzahl von EinzeIbeiträgen gerecht zu werden sucht. Auf ein Geleitwort von Klaus Töpfer, Generaldirektor des Büros der Vereinten Nationen in Nairobi, folgen 22 Artikel von insgesamt 26 Autoren, die im Anhang einzeln vorgestellt werden. Auf dreieinhalbhundert Seiten wird das Generalthema Stadt mit unterschiedlichen Schwerpunkten behandelt.
Wenn der Leser eine systematische Gliederung der Artikel nach solchen Unterthemen erwartet, wird er allerdings enttäuscht, denn die Herausgeber haben als Ordnungsprinzip lediglich eine alphabetische Reihung nach den Verfassernamen gewählt. Etwa die Hälfte der Beiträge ist durch Illustrationenergänzt.
Zu den Kernthemen gehört zweifellos der Blick auf die geschichtliche Entwicklung und die gegenwärtige Situation der Stadt im Allgemeinen und der Stadtplanung im Besonderen. Hier ist zunächst Jens Friedemanns einleitender Überblick über «die abendländische Stadt – vom frühen Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert » zu nennen; über die «Entstehung der mittelalterlichen Stadtlandschaft Europas» berichtet Immo Eberl in einem weiteren Beitrag.
Die Stadtplanung wird in mehreren Artikeln behandelt – so von Werner Durth in einer sehr dichtenund informativen Darstellung der «Wandlungen der Moderne» seit der vorigen Jahrhundertwende und in Friedrich Spengelins Artikel «Stadtplanung in menschlichen Dimensionen», deren Schwerpunkt bei der heutigen Situation und ihren Problemen liegt.
Einzelaspekten der Stadtplanung sind weitere Beiträge gewidmet: Gestaltungsfragen stehen im Vordergrund von Rob Kriers Ausführungen über «stadträumliche Kompositionen»; Albert Speer berichtet mit Johannes Dell über ihre Planung einer neuen Stadt in China, im Umfeld von Shanghai. Auch Hans Kollhoffs aphoristische Betrachtungen, die vom neugeschaffenen Walter-Benjamin-Platz in Berlin ausgehen und ferne Weltstädte streifen, gehören noch in diese Kategorie, ebenso wie Alois Rhiels umfassende Darstellung der «Infrastruktur in Städten.»
Dem Wohnen in der Stadt gilt eine Reihe weiterer Beiträge; Ingeborg Flagge gibt einen weiten Überblick über das «Wohnen – eine unendliche Geschichte» von der Höhle über das Zelt zum Wolkenkratzer, wie es im Vorspann heisst. Drei weitere Beiträge zum Thema Wohnen – von Alexander Erdland, Rüdiger Wiechers und Birgit Langer – stellen die Vorzüge des Wohneigentums in den Vordergrund, während Franz-Georg Rips mit seinen Betrachtungen zur «Zukunft der Stadt aus der Sicht des Deutschen Mieterbundes» hierzu mit Recht einige Vorbehalte anmeldet.
Einen breiten Raum nimmt der Bereich der Ökonomie ein. Bernd Knobloch erörtert das Thema «Kapital für städtebauliche Projekte» mit den Voraussetzungen für seine Bereitstellung und dem neuen lnstrumentarium der «public-private partnership». Ulrich Pfeiffer setzt sich mit den Bedingungen für ein «Wirtschaftswachstum ohne Bevölkerungswachstum» auseinander und umreisst dabei die Konsequenzen der bevorstehenden Schrumpfung und Alterung der Stadtbevölkerung. Karl Werner Schulte und Matthias Wiffler behandeln «die Rolle der Stadtplanung in der Immobilienökonomie », die sie als interdisziplinäre wissenschaftliche Disziplin interpretieren.
Zukunftsaspekte kommen ins Blickfeld mit den «Thesen zur künftigen Stadtentwicklung »des kürzlich verstorbenen Paul Klemmer, weiland Präsident des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung. Sie beziehen sich auf die «neuen Rahmenbedingungen», die der Autor in der Bevölkerungsentwicklung – Alterung, Schrumpfung, Heterogenisierung, in weiterer De-Industrialisierung und in einem Trend zur wissensbasierten Ökonomie sieht. Dem nicht minder wichtigen Thema der ökologischen Aspekte widmen sich Uwe Wullkopf und Peter Werner; sie stellen fest, dass trotz zunehmender Berücksichtigung von ökologischen Erkenntnissen in der Stadtplanung der Weg zu einer nachhaltig umweltgerechten Stadtentwicklung noch nicht konsequent beschritten wird.
Der Rolle der Stadt als kulturelles Zentrum gelten zwei weitere Beiträge; so harakterisiert Ferry Ahrlé die Werke von zwölf Künstlern – mit Piranesi beginnend –, die sich mit der Stadt auseinandergesetzt haben. Hilmar Hoffmann, langjähriger Kulturstadtrat von Frankfurt mit bundesweitem Prestige, erörtert die «Kultur in der Stadt» mit dem kritischen Blick auf die Risiken und Chancen der heutigen Situation. In der Koordination von öffentlicher Hand, bürgerschaftlichem Engagement und florierendem Markt sieht er die Chancen für die «Zukunft als kulturelles Programm».
Dass Frankfurt und Hessen auch mit zwei weiteren Beiträgen ins Blickfeld kommen, erklärt sich gewiss aus dem Tätigkeitsfeld der Herausgeber im Frankfurter Raum: bei der FAZ und in Bad Vilbel. Oberbürgermeisterin Petra Hoth berichtet über die Probleme Frankfurts, seine regionalen Beziehungen zum Umland und seine internationale Rolle; Klaus Minkel erörtert am Beispiel Bad Vilbels das Vorgehen bei der Entwicklung eines neuen Siedlungsgebiets im regionalen Umland der Metropole.
Insgesamt also eine facettenreiche Darstellung der gegenwärtigen Situation in der Entwicklung der Städte; in der sich zwangsläufig manche thematische Überlappungen ergeben. Die Vielzahl der behandelten Aspekte rundet sich zwar nicht zu einem geschlossenen Gesamtbild, doch kann man gerade darin auch einen Beleg für die Ungewisssheiten und Ambivalenzen sehen, die heute die Stadtentwicklung kennzeichnen.
Gerd Albers