Senatsverwaltungen der Stadt Berlin et al. (Hg.) 2008: Kulturwirtschaft in Berlin: Entwicklungen und Potenziale. Berlin. 176 S.
Berlin hat eine neue Leidenschaft. Nachdem das Projekt, als Hauptstadt des wiedervereinten Deutschlands neue wirtschaftliche Macht zu erhalten, nicht sehr erfolgreich war, hat es die Kreativwirtschaft als neue Chance erkannt. Beflügelt von der Begeisterung von Planern, Soziologinnen, Wirtschaftsförderern und Wirtschaftsjournalistinnen ist die Stadt darum bemüht, sich als kreative Hauptstadt Europas zu vermarkten. Und sie tut dies mit einigem Erfolg, da die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen für die Kreativwirtschaft in der Stadt sehr gut sind.
Die kulturelle Infrastruktur ist beeindruckend, sie kann es mit der von Wien, Paris und London gut aufnehmen, die Lebenshaltungskosten in der Stadt sind geringer als in anderen grossen Metropolen Europas, und die junge, kosmopolitane Stadt ist offen für kreative Erkundungen der Zukunft. Und sie hat dafür umfassende politische Unterstützung, denn die «Kreative Stadt» entspricht dem Slogan des regierenden Bürgermeisters, dem ein besonders enges Verhältnis zur Unterhaltungsindustrie nachgesagt wird. Für ihn ist Berlin «arm, aber sexy», jedenfalls der richtige Nährboden für die in Mode gekommene Kreativwirtschaft, die in Berlin im letzten Jahrzehnt zu einem für die Stadt wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden ist.
Dies wird aus dem zweiten Kulturwirtschaftsbericht deutlich (der erste stammt aus dem Jahre 2005), den die Stadt vor kurzem der Öffentlichkeit vorgelegt hat. «Kreativität braucht Stadt. Nicht die fertige und satte Stadt, sondern die Nischen und Brüche, den Dialog der Kulturen, den Reiz des Übergangs. Das bietet Berlin und macht seine Faszination aus», schreiben die politisch verantwortlichen Herausgeber Klaus Wowereit, Ingeborg Junge-Reyer und Harald Wolf. Der Bericht, zu dem die Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung sowie Wirtschaft, Technologie und Frauen beigetragen haben – die politische Zuständigkeit für Kultur hat der Regierende Bürgermeister selbst –, liefert die wirtschaftlichen und stadträumlichen Daten für eine breite Diskussion. Die detaillierten Datengrundlagen dafür wurden von Forschern am Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin und vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erarbeitet. Die Definition dessen, was zur Kulturwirtschaft gehört und was nicht, ist trotz aller Bemühungen um eine einheitliche Definition in Deutschland noch immer umstritten, doch es gibt inzwischen eine Übereinkunft der Wirtschaftsminister der deutschen Länder bezüglich der Definition der Kulturwirtschaft, an die sich auch die Berliner Studie gehalten hat. Danach umfasst die Kulturwirtschaft neun Teilmärkte (Buch- und Pressemarkt; Softwareentwicklung / Games/Telekommunikationsdienstleistungen; Werbemarkt; Film- und Rundfunkwirtschaft; Kunstmarkt; Musikwirtschaft; Architektenbranche; Designwirtschaft; Markt für Darstellende Künste). In diesen Teilmärkten waren in Berlin im Jahre 2008 insgesamt 160 515 Erwerbstätige tätig, das sind 5,9 % aller Erwerbstätigen der Stadt Berlin. (Zum Vergleich: Im Jahre 2006 waren es im gesamten Produzierenden Gewerbe (ohne Bauwirtschaft) in Berlin insgesamt nur 143 700 Erwerbstätige). Der Bericht enthält sehr detaillierte Zahlen und Analysen zu den einzelnen Teilmärkten, zur Einkommenssituation und zu den Erwerbsformen der Berliner Kultur- und Kreativberufe. Er bestätigt, dass die Einkommenssituation vieler Erwerbstätiger in der Kulturwirtschaft in Berlin,vor allem aber die Alterssicherung dieser Berufsgruppe, unbefriedigend ist.
Ein zweiter Schwerpunkt des Berichts ist die räumliche Dimension der Kulturwirtschaft. Zahlreiche Karten der Standorte der Kreativwirtschaft in Berlin – und ihrer Teilmärkte – machen deutlich, dass die wirtschaftlichen und die räumlichen Bedingungen der Kulturwirtschaft in einer Stadt eng miteinander verbunden sind. Auf dieser eindrucksvollen Informationsgrundlage beschreibt der Bericht dann die «wichtigsten» Handlungsfelder zur Förderung der Kulturwirtschaft in der Metropole. Diese Handlungsfelder reichen von Strategien zur Vernetzung und Clusterbildung bis zu Massnahmen zur Ausbildungsförderung und Finanzierung. Er beschreibt aber auch, wie Stadtentwicklungsplanung dazu beitragen kann, kreative Räume in der Stadt zu schaffen bzw. zu erhalten.
An diesem Bericht ist bemerkenswert, dass er den Eindruck vermittelt, dass in Berlin Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung eng zusammenarbeiten, um die Metropole Berlin als wichtigen europäischen Standort der Kreativwirtschaft dauerhaft zu etablieren.
Es verwundert nicht, dass im Sogwasser der allgemeinen politischen und akademischen Begeisterung für die Kreative Stadt ständig neue Veröffentlichungen zum Themenfeld erscheinen. Die Zahl der Projekte, Diplomarbeiten, Dissertationen und Sammelbände, die sich mit dem breiten Themenfeld der Kulturwirtschaft in Berlin befassen, nimmt beinahe täglich zu.
Klaus R. Kunzmann