Jörg Goldberg: Überleben im Goldland, Afrika im globalen Kapitalismus. Köln 2008. 249 S.

Afrikas Position als Schlusslicht des globalen Kapitalismus findet allzu oft einfache Begründungen: die korrupten Eliten und „Bad Governance“, die willkürlich gezogenen Grenzen nach der Kolonisierung oder auch die „afrikanische“ Mentalität. Goldberg stellt in seinem Buch dank einer historischmaterialistisch orientierten Analyse viele dieser Befunde vom Kopf auf die Füße und räumt so mit vielen einseitig kulturalistischen oder liberalen Annahmen über Afrika auf. Wieso, so Goldbergs Hauptfrage, hat es der Kapitalismus so schwer, als dominierende Produktionsweise in Afrika Fuß zu fassen? Gut leserlich mit umfangreicher Aufarbeitung aktueller Daten auf nur 235 Seiten genießt das Werk auf Grund seiner theoriegeleiteten Analyse im  deutschsprachigen Raum ein Alleinstellungsmerkmal.
Aus einem dem politikwissenschaftlichen Mainstream unbekannten analytischen Blickwinkel liefert der Autor zu Themen wie Migration, Sklavenhandel, Kolonialismus, HIV/Aids-Pandemie, Freihandel, Investitionen und Staatlichkeit nicht zuletzt auch dank seiner teilweise sehr detaillierten empirischen Grundlagen interessante Deutungen.
Ihm gelingt es, sehr plausibel zu zeigen, wie sich mit der historisch bedingten „afrikanischen Produktionsweise“ (Catherine Coquery-Vidrovitch) ein für die Steigerung der Produktivität und damit der Entwicklung des Kapitalismus hinderliche Sicherheitslogik herausbildet
und so z.B. Kleinbauern eher auf eine Diversifi kation der landwirtschaftlichen Produkte als auf Spezialisierung setzen. Diese Rationalität der Sicherheit sei – so Goldberg schlüssig weiter – durch die Strukturanpassungen der 1980er/1990er Jahre noch verstärkt worden. Griffig arbeitet er die Gründe für eine wenig herausgebildete endogene Bourgeoise und der schwach entwickelten Proletarisierung – und damit der geringen Produktivkraftentwicklung heraus. Die endogene Handels- und Agrarbourgeosie wurde nach seiner Auffassung von den Kolonialmächten schon im frühen Stadium bekämpft, um Konkurrenz auszuschalten. Auf Grund der dünnen Besiedelung des afrikanischen Kontinents habe es zudem in der vorkolonialen Zeit kaum eine Abschöpfung des Mehrwertes durch herrschende Klassen gegeben. Die Abwesenheit einer systematischen Ausbeutung des Mehrwertes habe dazu geführt, dass staatliche Gebilde in Afrika weniger verbreitet gewesen seien.
Eine Proletarisierung im landwirtschaftlichen Bereich blieb im Großteil Subsahara Afrikas aus, da der Boden auch während der Kolonialzeit weiterhin in den meisten Ländern im Kollektivbesitz blieb und die Produktion von Exportprodukten von den Kolonialmächten kleinbäuerlich organisiert wurde. Die großen Infrastrukturprojekte wie Straßen zu Häfen u.ä. wurden vor allem in Zwangsarbeit erbaut – also gab es auch hier keine für den Kapitalismus notwendigen „doppelt freien Lohnarbeiter“.
Ist Goldbergs Begründung für die geringe Entwicklung von Lohnarbeiterschaft, Bourgeoisie und Staatlichkeit auch plausibel und lehrreich, so sind seine strategischen Schlussfolgerungen sowie seine Vorstellung von Entwicklung leider strukturdeterministisch und ökonomistisch geprägt. Den einzigen Weg, den er für die Entwicklung Afrikas sieht, ist der Aufbau einer endogenen Bourgeoisie – mit entsprechendem Klassenbewusstsein (194). Denn Goldberg strebt „Entwicklung im Sinne der Steigerung der Produktivkraft menschlicher Arbeit“ (177) an. Zentral sei hier das allgemeine Entwicklungsgesetz, „dem zufolge Entwicklung mit der Verwandlung des Mehrprodukts in Produktionsmittel (…) verbunden ist“ (178) – also die Akkumulation von Kapital. Und diese wird bekanntlich durch die Bourgeoisie betrieben.
Eine sozialistische Option hält er allein schon auf Grund der fehlenden Gegenmacht für obsolet. Goldberg fragt jedoch weder, wie emanzipatorische Kräfte gestärkt werden könnten, noch, welche sozialistische Strategie es angesichts dieser in der Tat vorhandenen Schwäche der afrikanischen Linken gibt. Auch beachtet er nicht, welche sozialen und demokratischen Konsequenzen der alleinige Blick auf die Produktivkraftentwicklung hat. Nur kurz geht er darauf ein, dass Privatunternehmen nicht gesellschaftliche Interessen sondern eben private verfolgen. Um dem ausschließlichen Fokus auf den privaten Gewinn entgegenzutreten, brauche es starke Gewerkschaften und Bauernverbände, so Goldberg – diese widersprächen aber dem Klasseninteresse der Bourgeoise, das er vorher noch als unabdingbar bezeichnet hat.
Gegenmacht u.a. von Gewerkschaften sei zentral, damit das Entwicklungsprojekt gelänge. Allerdings widmet Goldberg dieser Frage ganze zwei Absätze – angesichts der zahlreichen Erfahrung von Repression gegen klassenkämpferische Gewerkschaften in vielen Entwicklungsstaaten keine zu rechtfertigende Schwerpunktsetzung. Bei Goldberg ist die endogene Bourgeoisie der Entwicklungsmotor, alles andere ist demokratisches Schmuckwerk.
Neben dieser grundsätzlichen Anmerkung politischer Natur gibt es diverse Stellen in dem Buch, die inkonsistent argumentiert sind. Der bereits angemerkte Strukturdeterminismus taucht auch an anderer Stelle auf – und führt zu einer widersprüchlichen Argumentation.
So schreibt der Autor einerseits, dass ethnische Konflikte auf Grund der niedrigen Produktivkraftentwicklung unvermeidlich seien (111). Dies scheint jedoch Goldbergs Empirie zu widersprechen, denn an anderer Stelle verweist er darauf, dass die Bindungskraft der Verwandtschaft außerhalb der Kernfamilie an Bedeutung verloren habe und immer weniger auf entfernte Verwandte als soziale Absicherung zurückgegriffen werden könne – die traditionellen Strukturen seien erschüttert, daher müsse nach neuen Bezügen Ausschau gehalten werden, z.B. auch unter „Berufsgruppen“ (142f.). Diese Prozesse der Umorientierung könnte emanzipatorische Politik aufgreifen – eine Möglichkeit, die Goldberg leider nicht diskutiert.
An die Beobachtung der gesellschaftlichen Umstrukturierung anknüpfend stellt sich auch die Frage, weshalb Goldberg zwar alle möglichen Themen rund um Afrika diskutiert, eines aber vergessen hat: Urbanisierung. So wächst in den westafrikanischen Ballungsgebieten die Bevölkerung rasant an (Davis 2007: 11; 13). Zwar wird in den Slums und Hinterhöfen vielfach Überlebensnotwendiges angebaut – von kleinbäuerlicher Landwirtschaft kann hier aber kaum noch die Rede sein. Auf dieser fußt aber Goldbergs Argumentation.
Auch verstört seine Charakterisierung der Strukturanpassungsprogramme (SAPs) als entwicklungspolitische Maßnahme und als „Missverständnis“, da die institutionellen Gegebenheiten von den Geberländern schlicht nicht beachtet worden seien (156f). Träfe dies zu, wäre erstens der gesamte Neoliberalismus – in dem die SAPs ein wesentliches Element sind – eine Anhäufung von „Missverständnissen“, und zweitens wäre kein Interesse an der Marktöffnung von Seiten der Metropolenländer vorhanden, aber genau dieses Interesse beschreibt Goldberg an anderer Stelle (68f). Weitere Unklarheiten bleiben bei Goldbergs Auseinandersetzung mit Entwicklungshilfe oder mit den Millenium Development Goals bzw. mit seiner Diskussion des Armutsbegriffes.
Darüber hinaus lässt sich Goldberg zu einer allzu hoffnungsvollen Vorhersage zur Auswirkung der hohen Rohstoffpreise verleiten. Er  konstatiert angesichts des bis vor kurzem noch hohen Wirtschaftswachstums in vielen afrikanischen Staaten: „Es ist (…) nicht anzunehmen, dass es in näherer Zukunft erneut schwere Rückschläge geben wird. Denn das, was lange Zeit als Achillesferse der afrikanischen Wirtschaft galt, die Abhängigkeit von Rohstoffen, scheint nun zu einer Stärke zu werden…“ (63) Genau aber diese Rohstoffabhängigkeit macht Afrika zu einem der ersten großen Verlierer in der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise: Die Rohstoffpreise fielen zwischenzeitlich auf den Tiefpunkt, es kam zu massiven Entlassungen in den Minen, die Staatseinnahmen sanken, und ausländische Direktinvestoren zogen sich zurück. Zwar merkt Goldberg selbst am Rande an, dass der Rohstoffboom auf die Ökonomien auch destabilisierend wirken könne, dennoch wundert es, dass sich der Autor zu einem solchen Optimismus hat verleiten lassen, obwohl er mit seinem analytischen Handwerkszeug die gegenwärtige schwere Krise der afrikanischen Ökonomien hätte vorhersagen können. Es wirkt, als wolle er mit allen Mitteln einem „Afropessimismus“ entgegenwirken.
Frauke Banse

Literatur
Davis, Mike 2007: Planet der Slums. Berlin.


Quelle: Peripherie, 29. Jahrgang, 2009, Heft 116, S. 128-130