Heidi E. Megerle: Metropolitan Regions as a New Spatial Planning Concept. Aspects of Implementation. Using the Example of South-Western Germany. Studies in Spatial Development. Hannover 2009. 185 S.
„Alles Metropolregionen?" seufzten die Herausgeber von Heft 4 der Zeitschrift „Raumforschung und Raumordnung" angesichts der rasanten Ausbreitung eines Raumordnungskonzepts, das nicht nur den größten Teil des Bundesgebietes erfasst hat, sondern auch in der Alltagswahrnehmung (wenngleich mit unterschiedlichen Begriffsinhalten) eine Rolle spielt.
Knieling führt dies auf das „Bildversprechen" zurück, das diesem bewusst unscharfen Begriff innewohnt – das Versprechen auf Wachstum und Innovation im internationalen Standortwettbewerb. Deutschland verfügt mittlerweile über elf „Metropolregionen von europäischer Bedeutung", die 60 % der Fläche, 70 % der Bevölkerung und 74 % der Wirtschaftskraft umfassen. Sie gelten als Motoren der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung. Die Abgrenzung von Metropolregionen wirft aufs Neue die Frage auf, was künftig aus den übrigen, zumeist ländlich geprägten (peripheren) Regionen wird.
Doch auch innerhalb der weit in den ländlichen Raum reichenden Metropolregionen besteht bei Kommunalpolitikern die Befürchtung, von der Entwicklungsdynamik der fernen Metropole ausgeschlossen zu bleiben. Die vorliegende Untersuchung geht anhand umfangreicher empirischer Erhebungen der Frage nach, welche Erfahrungen bei der Implementierung dieses Konzepts in die Planungspraxis gewonnen wurden und wie Akteure und Betroffene die sich daraus ergebenden Chancen, Hemmnisse und Herausforderungen beurteilen. Auf diese Weise soll „Licht ins Dunkel" eines durch Symbole, Raumbilder und Images mystifizierten Konzepts gebracht werden, das vorgibt, ein offenes Netzwerk zu sein.
Die vorliegende Veröffentlichung beruht auf der Habilitationsschrift der Verfasserin zur Erlangung der Lehrbefugnis im Fach Geographie der Universität Tübingen und bezieht sich auf die Metropolregionen und verwandten Raumkategorien in Baden-Württemberg (die Habilitationsschrift umfasst auch die grenzüberschreitenden Verflechtungen und zum Vergleich zwei Agglomerationsräume in Frankreich). Im Mittelpunkt der Analyse stehen Experteninterviews mit Repräsentanten ausgewählter Gebietskörperschaften, Planungsverbände, Ministerien und wissenschaftlicher Einrichtungen sowie schriftliche (standardisierte) Befragungen aller Gemeinden in den Metropolregionen und der zentralen Orte des Landes.
Nach einer inhaltsreichen, gut strukturierten Übersicht über den Forschungsstand zur Theorie und Praxis von Metropolregionen als Instrument der Raumplanung (Teil I) werden die Ergebnisse der empirischen Erhebungen in Teil II der Untersuchung eingehend dokumentiert und erörtert (Kap. 6). Wer mit den örtlichen Gegebenheiten in Baden-Württemberg und der dortigen Organisation der Regionalplanung vertraut ist, wird mit Gewinn die zahlreichen Zitate aus den Befragungen (Fußnoten) lesen. Es zeigt sich, dass kleinere bzw. ländlich geprägte Gemeinden geringere Erwartungen an die Zugehörigkeit zur Metropolregion haben als größere Gemeinden oder solche im verdichteten Kernbereich. Eher erwartet man Impulse zum Wirtschaftswachstum als die Hilfestellung bei der Bewältigung des demographischen Wandels oder beim Natur- und Umweltschutz. Beschränkungen der Planungshoheit stoßen generell auf Ablehnung; Leitlinien der Planung und „Leuchtturmprojekte" sollten stattdessen die gewünschte Orientierung geben. Nur für ein Drittel der Gemeinden ist das Konzept der Metropolregionen transparent und glaubwürdig; kleinere bzw. ländlich geprägte Gemeinden fühlen sich mehrheitlich nicht ausreichend informiert, möchten künftig aber stärker beteiligt werden. Die Frage, ob Metropolregionen mit anderen Regionen kooperieren oder konkurrieren sollten, wurde mehrheitlich dahingehend beantwortet, dass die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse dabei nicht gefährdet werden dürfe. Eine offene Netzwerkstruktur mit der Folge variabler Regionsabgrenzung führt nach Einschätzung der Gemeinden zu Misstrauen innerhalb des Verbundes. Es gibt daher Überlegungen, nach dem Vorbild von Rhein/Neckar die Metropolregion Stuttgart in Übereinstimmung mit den demokratisch legitimierten Planungsverbänden abzugrenzen.
Erst mit Erweiterung der Gebietskulisse der Metropolregionen in Deutschland 2005 wurde der Raumordnungsverband Rhein/Neckar in den „Club" der europäischen Metropolregionen aufgenommen (Kap. 7). Im Unterschied zur Metropolregion Stuttgart handelt es sich um eine langjährig bewährte Kooperation im Rahmen der grenzüberschreitenden Regionalplanung von Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen. Es kann daher nicht verwundern, dass Regionszuschnitt, Governance, Ziele und Konzepte der Planung (einschl. möglicher Beschränkungen kommunaler Planungshoheit zugunsten großräumiger Lösungen) weitaus größere Akzeptanz als in der Metropolregion Stuttgart finden. 70 % der befragten Bürgermeister sehen darüber hinaus Vorteile in der Drei-Länder-Konstellation. Die Verfasserin betrachtet die Metropolregion Rhein/Neckar allerdings als singulären Fall, da die Initiative zur Anerkennung als Europäische Metropolregion nicht von der Politik, sondern von regionalen Akteuren (insb. aus der Wirtschaft) ausging. Zugleich sieht sie darin aber ein gutes Beispiel für die institutionell-funktionale Kooperation und die Übereinstimmung von Planungs- und Funktionsraum.
Warum Erhebungen auch im deutschen Teil des Eurodistrikts Strasbourg/Ortenau durchgeführt wurden, obwohl deren Ergebnisse keinen Beitrag zur vergleichenden Analyse von Metropolregionen in Deutschland leisten können, ist nicht ersichtlich. Wie auch bei den Ausführungen über die potenzielle Metropolregion Oberrhein und die Bodensee-Region („Regiopolis"), die beide nur im grenzüberschreitenden Rahmen bedeutsam wären, dient dieser Untersuchungsteil (Kap. 8) offenbar dem Zweck, die raumstrukturellen Verhältnisse und Potenziale in Baden-Württemberg vollständig abzubilden. Der abschließende Vergleich bezieht sich auf die Metropolregionen Stuttgart und Rhein/Neckar (Kap. 9). Erstere wird als Benchmark und Prototyp für die Neuausrichtung der Kooperation auf regionaler Ebene gewürdigt; die räumliche Überdehnung habe jedoch zu Problemen der Governance im Innern geführt. Die Metropolregion Rhein/Neckar verdankt ihre Anerkennung eigener Initiative, was das Regionalbewusstsein enorm gestärkt und die Akzeptanz der Institutionen, Netzwerke und Konzepte erhöht habe. Kritisch könnte allenfalls der Einfluss der Wirtschaft, nicht zuletzt durch ihr finanzielles Engagement, werden.
Die Untersuchung endet mit einer Reihe interessanter Schlussfolgerungen und Empfehlungen zum Status und zur Fortentwicklung von Metropolregionen in Südwestdeutschland (Teil III). Solange offen bleibe, welche Perspektiven Kommunen außerhalb von Metropolregionen künftig haben (Aufgabe der Landesraumordnung), würden Marginalisierungsängste am Rand einer Metropolregion dazu führen, dieser beizutreten (auch wenn keine Vorteile erwartet werden). Für die Metropolregion Stuttgart plädiert die Verfasserin daher für ein Organisationsmodell, das die feste Institutionalisierung im Kernbereich (VRS) mit einem projektbezogenen Netzwerk der Kooperationspartner im weiteren Verflechtungsbereich (mit variablen Außengrenzen) verbindet. Ein weiteres Hindernis sei die mangelnde Vertrautheit der Bürgermeister (auch größerer Städte) mit der neuen Planungsterminologie und das Denken in festen Raumeinheiten und Zugehörigkeiten.
Inwieweit die empirischen Befunde auf Metropolregionen im übrigen Bundesgebiet übertragbar sind, bleibt offen. Die Rolle der Bundesländer bei ihrer Bildung sowie die siedlungs- und raumstrukturellen Unterschiede in Deutschland sind nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Zudem erfolgte die Auswertung rein deskriptiv, obwohl die Erhebungsdaten die Möglichkeit zu vielfältiger statistischer Analyse zur Aufdeckung von Zusammenhängen und deren Erklärung geboten hätten. Es verwundert daher, dass eine allein auf Baden-Württemberg bezogene empirische Studie über ein Raumordnungskonzept in Deutschland in englischer Sprache erschienen ist (was impliziert, dass außerhalb des deutschen Sprachraums ein besonderes Interesse an den Ergebnissen besteht). Für deutsche Leser ist der Verfremdungseffekt hinderlich, der von der strikten Übersetzung aller relevanten Institutionen der Raumordnung, Landes- und Regionalplanung ins Englische ausgeht (zumal die Liste der Abkürzungen S. XI einem nicht bei der Rückübersetzung oder der raschen Identifikation der verwendeten Abkürzungen hilft).
Dennoch wird dieser material- und facettenreiche Beitrag zur Erforschung der Metropolregionen, der Bestandteil einer (bisher in deutscher Sprache erschienenen) Reihe der Akademie für Raumforschung und Landesplanung ist, seine Leser finden, vor allem im südwestdeutschen Raum. Es ist zu wünschen, dass die von der Verfasserin aufgezeigte Lücke zwischen Theorie und Praxis der Metropolregionen als Planungsinstrument alsbald durch weitere Forschungsarbeiten geschlossen wird.
Jürgen Deiters
Geographische Zeitschrift, 98. Jg. 2010, Heft 4, S. 244-245
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