Fabian Thiel: Auferzwungene Politik? – Die Energiewende im bodenpolitischen, planerischen und benevolenzeffizienten Spagat zwischen NIMBY und YIMBY

Gregory K. Ingram, Yu-Hung Hong (Eds.) 2011: Climate Change and Land Policies. Cambridge, Massachusetts 478 S.

Patrick Devine-Wright (Ed.) 2011: Renewable Energy and the Public – From NIMBY to Participation. London, Washington DC. 336 S.

Durch ambitiöse politische Zielmarken bedingt, hat die Diskussion um den Ausbau der erneuerbaren Energien (fortan: EE) in zahlreichen Staaten Europas und in den USA erheblichen Rückenwind erhalten. Zu erinnern sei an die im Juni 2011 unter breiter politischer Zustimmung beschlossene «Energiewende» in Deutschland. Doch ist das Thema EE auch in Raumplanung, Bodenpolitik und Projektmanagement angekommen? Zwei im Jahr 2011 erschienene Monografien nehmen sich dieser überaus spannenden und aktuellen Thematik an.

Es sind dies die englischsprachigen Publikationen «Climate Change And Land Policies» des renommiertenLincoln Institute of Land Policy unter Herausgeberschaft von Gregory Ingram und Yu-Hung Hong sowie «Renewable Energy and the Public », herausgegeben von Patrick Devine-Wright. Beide Veröffentlichungen thematisieren Fragen der Energieherstellung, -nutzung und des Transports in Bezug auf die Raumnutzung und Entwicklung. Kardinalproblem ist und bleibt in sämtlichen Ländern, die eine Wende hin zu EE vollziehen möchten: Haben die (Energie-)Politiker und Raumplaner im Vorhinein nach der Meinung der von dem Umstieg betroffenen Grundstückseigentümer gefragt? Manche Wissenschaftler meinen, die Umstellung der Energieerzeugung, -verteilung und des Transports werde beispielsweise allein in Deutschland mit 300 Mrd. Euro zu Buche schlagen. Wer wird diese Energiewende bezahlen? Werden sich die Grundstückseigentümer monetär beteiligen und bei dem möglicherweise erforderlichen Trassen- und Speicherausbau mit den zuständigen Behörden kooperieren? Wie wird die Umgestaltung der (Kultur-) Landschaft für EE ästhetisch von den Eigentümern empfunden? Langfristig jedenfalls ist die Mitwirkung sämtlicher Bodeneigentümer und -nutzer zur Realisierung der Neuerungen im Energiesektor unbedingt erforderlich. Beiden Monografien ist es zu verdanken, dass sie die Energiediskussion in einen weiten rechtlichen und ökonomischen, vor allem aber planerischen Kontext stellen. Im Mittelpunkt stehen Eigentumsfragen an Grund und Boden (Property Rights), Aspekte der Mitwirkungsbereitschaft oder auch des erbitterten Widerstands der betroffenen Grundstückseigentümer, deren Eigentum durch Anlagen für EE in Anspruch genommen, beeinträchtigt oder im Wert gemindert wird. Lesenswert sind die Bücher somit in jedem Fall: Das erstere wegen seiner boden- und verkehrspolitischen Erkenntnisse, das zweite wegen seiner wertvollen empirischen sozialgeografischen Studien zur Erreichung von Öffentlichkeit, Image, Partizipation und Kooperation für die gewiss auch auferzwungene Energiewende. Eigentümer verhalten sich alternativen Energien – die «alternativ» eigentlich gar nicht mehr sind – gegenüber entweder kooperativ, oder aber sie leisten energischen Widerstand (NIMBY [Not in My Backyard], BANANA [Build Absolutely Nothing Anywhere Near Anything], LULU [Locally Unwanted Land Use]). Die politische und wissenschaftliche Auseinandersetzung in den USA  und um Fragen des Landmanagements und der Raumplanung pro und contra EE ist der deutschen Debatte um einiges voraus. Getreu dem Motto «Frage, was du für deine kommunale Energiegemeinschaft tun kannst und wie du dabei noch eine Rendite bekommst» werden in den USA Bürger-Finanzierungsinstrumente für Küsten- und Hochwasserschutz und effiziente Verkehrssysteme eingeführt. Der Zentralregierung in Washington und den Bundesstaaten als Kontrollinstanz fällt bei der Entwicklung zukünftiger Verkehrs-, Klima-, Boden- und Energiepolitikstrategien eine prominente Rolle zu. Die immobilienbezogene Energiepolitik muss aber vor allem von den privaten und institutionellen Grundstückseigentümern und Investoren (z. B. Pensionskassen, Land Trusts, Risikokapitalfonds) angenommen werden. Dies ist in den USA nicht anders als in Europa. Empirische Untersuchungen von Devine-Wright et al. ergeben, dass insbesondere bei der Akzeptanz der Grundstückseigentümer der neuralgische Punkt liegt. Lediglich Fördermittel und Marktanreizsubventionen dürften bei Weitem nicht reichen. Die Monografien sind aufgrund ihrer vielfältigen Beispiele zu intelligenten Mautsystemen (Road Pricing, High Occupancy Toll), zur Finanzierungsbereitschaft der Eigentümer/Ressourcennutzer (Willingness to Pay) oder der Energiewende als soziale Aufgabe eine Fundgrube für Bodenpolitiker und Landmanager. Es lässt sich eine aufkeimende Sehnsucht nach Gemeinschaft und Benevolenzeffizienz ausmachen, die die Energiewende gewiss erleichtern könnte; es bleibt die Finanzierungsproblematik zu lösen. Ist die Gründung von speziellen Infrastruktur- und Energiebanken erforderlich? Wie gelingt die Mobilisierung des weltweit reichlich vorhandenen, verzweifelt nach Renditemöglichkeiten fahndenden Venture Capitals? Was ist einem Investor langfristig ein Engagement in alternative Energieerzeugungsanlagen wert? Welche Rendite kann er beim Exit realisieren? Was kostet der Schutz des klimaregulierenden brasilianischen Regenwaldes? Vor allem: Wäre es nicht sinnvoller, anstatt Green Buildings zu errichten und aufwendig zu zertifizieren, die Bautätigkeit insgesamt zu reduzieren und Gebäude flächenhaushaltspolitisch  sinnvoll primär im vorfindlichen Bestand energieeffizient zu sanieren? In diesem Fall könnten EE mit einem weiteren Politikziel, der Bremsung der Flächen- Neuinanspruchnahme, vorzüglich kombiniert werden. Im Bereich Nachhaltigkeit in der Gebäudewirtschaft und Flächennutzung ähneln sich die Defizite in Deutschland und den USA. Hierzulande fehlt es etwa an einheitlichen Nachhaltigkeitskriterien in der Grundstückswertermittlung. Die potenziellen Eigentümer- und Nutzerwiderstände sind weit vielfältiger, als es das NIMBY-Paradigma suggeriert. Das Machbare zur Einführung von EE sollte Allokation und Distribution von Flächen im Verhältnis Staat – Eigentümer sowie Eigentümer – Eigentümer zur Akzeptanzsteigerung umfassen. Die Energiewende benötigt zweifellos ein intelligentes Projektmanagement, welches sowohl der Allgemeinheit als auch den privaten Grundstückseigentümern Vorteile bringt. Der Staat, soweit er sich denn überhaupt für EE engagieren sollte, wird seine energiepolitischen Ziele durch Ordnungs- und Planungsrecht, Anreize (Marktanreizsubventionen, Belohnungen, Steuererleichterungen) sowie verursachergerechte Bestrafung durchzusetzenwissen. Beispiele hierfür sind Überlegungen zur Einführung/Erhöhung der Maut für Leerfahrten und handelbare Fahrkontingente, die in dem Buch des Lincoln Institute präsentiert werden. Der Ansatz einer sozial ausgewogenen und klimaneutralen Energiepolitik ist dann umso Gemeinsinn stiftender und in Bezug auf YIMBYism (Yes In My Backyard) förderlicher je mehr durch rechtliche und ökonomische Instrumente sowie Bürgerpartizipation Gesellschaftsformen wie Energie-Genossenschaften, Bürgerbeteiligungsmodelle, Stiftungen und Vereine entstehen. Allerdings gehen beide Publikationen auf die Verbindung von Flächenhaushaltspolitik und Energiepolitik nur am Rande ein. Schlagworte wie «Energy Commons» oder «Common Property» sucht der Leser vergebens. Dabei ist die Energiewende eine nachgerade einmalige Chance, die u. a. durch Elinor Ostrom initiierte Debatte um Gemeinschaftsgüter mit Fragen zu Rohstoffen und regenerativen Energien zu verknüpfen. Politiker, Wissenschaftler und die in die Raumplanung Involvierten sollten diese Chance jedenfalls beherzt ergreifen. Die Energiewende könnte damit eine flächenhaushaltspolitische und benevolenzeffiziente, akzeptanzsteigernde Komponente erhalten.

Fazit beider Publikationen: Mehr denn je geht es um einen sachgerechten Ausgleich zwischen der zukünftig auf Klimaneutralität und Energieeffizienz ausgerichteten Raumnutzung und der Sozialpflichtigkeit des Grundstückseigentums. Möglicherweise wird die Förderung der EE gleichsam als sozialpolitischer Auftrag dazu führen, dass die hierfür erforderlichen Flächen in kommunalem Eigentum zur lokalen Energieautarkie genutzt werden und dass Energie bezahlbar bleibt. Einige spannende Fragen ergeben sich hieraus: Wird die Energiewende mittlerweile in Vergessenheit geratene Instrumente für eine sozialpflichtige Bodennutzung wie Planungswertausgleich, räumliche Gemeinschaftsgüter zur Energieversorgung oder die Abschöpfung der Grundrente zur Finanzierung kommunaler Energieinfrastruktur revitalisieren? Gewiss: Für Euphorie besteht derzeit (noch) kein Anlass. Gleichwohl liefern die Monografien wichtige Impulse für die Energiewende. Für intensiven NIMBYism bleibt wohl schlichtweg nicht die Zeit angesichts der Schnelligkeit des Umstiegs der Energieversorgung. Es gibt guten Grund zur Annahme, dass die EE in den Regionen und Kommunen auf fruchtbares Terrain fallen, wenn Lasten und Gewinne gerecht verteilt werden. Die Mittelknappheit vieler Gemeinden in Deutschland wie anderswo ist eine ausgezeichnete Startbasis für partizipative und dezentrale(re) Energiepolitiken. Der Kreativität sind nahezu keine Grenzen gesetzt. Wer wissen möchte, wie diese Kreativität sich planerisch sowie boden- und verkehrspolitisch entfalten kann, möge ein Augenmerk auf beide gehaltvolle Publikationen richten.  

Quelle: disP 188, 1/2012, S. 107-108

 

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