Nadja Meisterhans: Menschenrechte als weltgesellschaftliche Herrschaftspraxis. Zur Konstitutionalisierung und Demokratisierung des Weltrechts. Baden-Baden 2010. 151 S.
Menschenrechte besitzen ein hohes Maß an Evidenz und sind dennoch vielfältiger Kritik ausgesetzt – nicht zuletzt, weil die in ihnen verankerten Normen und Werte seit dem Ende der Blockkonfrontation immer wieder als Rechtfertigung kontroverser, militärisch vorgetragener Interventionen angerufen wurden.
Nadja Meisterhans nimmt in ihrer Bremer philosophischen Dissertation eine explizit postnationale Perspektive ein und fragt, wie sich auf globaler Ebene eine „gerechte und d.h. vor allem gerechtfertigte Weltordnung“ unter den Bedingungen „einer Entgrenzung von Rechtsbeziehungen“ (11; Herv. im Orig.) begründen lässt. In klarer Abgrenzung vor allem von gängigen Positionen der Internationalen Beziehungen geht es ihr um „die Modellierung und Rechtfertigung einer postnationalen weltbürgerlichen Verfassungsheuristik, welche die Rehabilitation demokratischer Potenziale zum Zweck einer legitimen Menschenrechtspolitik zum Ziel hat“ (18). Dabei insistiert Meisterhans gegenüber neueren Governance-Ansätzen, aber auch Regime und Regulierungs-Analysen sowie in Abgrenzung von Habermas darauf, „dass die Völkerrechtsordnung bestimmte rechtsstaatliche Komponenten benötigt“, nämlich „die Idee der Selbstgesetzgebung, die der Gewaltenteilung“ sowie ein sanktionsbewehrtes „Recht, das nicht zuletzt Klage und diskursive Veto und Partizipationsrechte in Aussicht stellt“ (21). Im ausdrücklichen Bestreben, Vorkehrungen gegen „weltgesellschaftliche Hegemoniebildungen“ zu treffen, konzentriert sie sich zunächst auf den Nachweis, „dass die kantische Idee des Kontrakts für das Design eines globalen Verfassungsbegriffs attraktiv ist“ (22). Dabei bemüht sie sich um eine strikt rechtsimmanente Begründung des zirkulären Zusammenhangs von Demokratie und Recht, der auf der Ebene einer globalen Verfassung als Prozess einer „umfassende(n) Rechtssozialisation“ erscheint (126).
Verschiedentlich unterstreicht die Autorin unter Verweis auf eine narrative Begründung des Rechts die Notwendigkeit von Lernprozessen. Damit erhält ihre Konzeption eine unverkennbar evolutionäre Perspektive. Wie sich ebenfalls an mehreren Stellen zeigt, scheint für Meisterhans diese evolutionistische Tendenz völlig unproblematisch zu sein. Es fragt sich jedoch u.a., wie der avisierte Lernprozess denn vonstattengehen soll. Die darin eingeschriebene asymmetrische Beziehung – eine Herrschaftsposition in einem genaueren und sicher problematischeren Verständnis als im Sprachgebrauch von Meisterhans – ist spätestens seit der dritten These von Marx zu Feuerbach klar und nahezu dilemmatisch formuliert: Wenn „der Erzieher selbst erzogen werden“ müsse, so werde „die Gesellschaft in zwei Teile – von denen der eine über ihr erhaben ist – sondier(t)“ (Marx). Das „Sesam Öffne Dich“ ist bei Marx die „revolutionäre Praxis“, Meisterhans operiert dagegen mit diskursiven Prozessen, zu denen anscheinend auch zivilgesellschaftliche Akteure als Teil eines sich erweiternden „völkerrechtlichen Akteursspektrum(s)“ (94) entscheidend beitragen sollen. Leider hat sie die vielfältig vorgetragene Kritik an den Aktivitäten von NGOs in Nord-Süd-Beziehungen nicht zur Kenntnis genommen. Dies ist auf politisch-praktischer Ebene fatal, denn hier reproduziert sich immer wieder die auch in die Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden eingeschriebene Machtasymmetrie. Die Befürchtung „paternalistische(r) Denkfiguren“ betrifft eben nicht allein die „Beurteilung der Einflussmöglichkeiten einer sich transnational organisierenden Zivilgesellschaft“ (71), sondern in Gestalt handfester Abhängigkeitsverhältnisse deren Binnenstruktur selbst.
Der Einwand liegt nahe, diese Kritik gehe über den Untersuchungsbereich der Studie hinaus. Man müsste sich dann entschließen, die sehr sorgsamen, hier bei weitem nicht ausgeschöpften kategorialen Überlegungen der Autorin gleichsam als utopischen Entwurf zu lesen, wobei die realen Verhältnisse von Macht, Herrschaft und Ungleichheit bestenfalls in Klammern gesetzt sind, also systematisch allenfalls als Gegenkräfte in Bezug auf das eigene „kosmopolitische Projekt“ (101) berücksichtigt werden. Eine „menschenrechtsinduzierte Interventions- und Völkerrechtspraxis“ (100) nimmt sie denn auch vor allem als Anfrage an Kant und die an ihn anschließende Diskussion auf. Dennoch: Den von Ingeborg Maus in aller Schärfe formulierten Einwand, hier handele es sich letztlich um ein „Weltkriegsprogramm“, zitiert Meisterhans zwar, tut ihn aber mit dem Verweis ab, es gehe vorab nicht um „politische Selbstermächtigungen“, sondern um eine „rechtliche Inklusionsform“ (68). Doch alle später mobilisierte Anerkennungsrhetorik kann nicht die historische Erfahrung konterkarieren, dass von Kosovo bis Libyen kriegerische Interventionen just mit solchen Inklusionsargumenten gerechtfertigt wurden.
Reinhart Kößler
PERIPHERIE Nr. 125, 32. Jg. 2012, S. 113-115
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