Matthias Schmelzer u. Alexis Passadakis: Postwachstum. Krise, ökologische Grenzen und soziale Rechte, AttacBasisTexte 36. Hamburg 2011. 96 S.
In dem knappen Band geht es um Bedingungen gesellschaftlicher Entwicklung jenseits wirtschaftlichen Wachstums. Verf. steigen mit einer kurzen Geschichte des Wachstums ins Thema ein. Der Fordismus lieferte eine ökonomische und gesellschaftliche Entwicklungsweise, die darauf abzielte, »hohe Wachstums- und Profitraten durch eine Kombination aus relativ hohen Löhnen, öffentlichen Investitionen, einem Wohlfahrtsstaat und hohen Militärausgaben zu generieren« (14).
Dieses Modell wurde durch das Bretton-Woods-System gefestigt und bescherte den kapitalistischen Kernländern enorme Wachstumsraten. Es stünde »vor allem in sozialdemokratischen Kreisen im weitesten Sinne als modellhaft für ein ›goldenes Zeitalter‹« (16). Die ›Kosten‹ der Wachstumsgesellschaft würden jedoch vollständig ausgeblendet; vor allem die Ausbeutung der Natur, die fatalen Folgen für den Süden, die Aufblähung des militärischen Sektors sowie der Aufbau eines »strikten hierarchischen Fabrikregimes«(16) würden in dieser Perspektive nicht thematisiert. Seit den 1970er Jahren geriet das System immer mehr unter Druck, da die Wachstumszahlen stetig sanken: »von durchschnittlich 7% in den 50er Jahren auf 0,8% in den 2000er Jahren« (17). Als Hauptursache für sein Scheitern sehen Verf. eine Profitabilitätskrise, zugespitzt durch Arbeitskämpfe und das Steigen der Rohstoffpreise in den 1970er Jahren. Die Umweltbewegung mit ihrer Kritik am »fossilistischen Industrialismus« und die Frauenbewegung, die »neue Ansprüche an den Sozialstaat erstritt« (18), taten das Übrige. In dieser Krise setzte sich die ›neoliberale Konterrevolution‹ durch, die nicht mehr auf Investitionen, sondern auf Kredite setzte. So mussten »immer höhere Pyramiden von privater und öffentlicher Verschuldung« (19) die fehlende Nachfrage kompensieren und führten zu so genannten Blasen, deren Platzen von Zeit zu Zeit Rezessionen und Krisen hervorrief.
Nach dem kurzen Abriss der Wachstumsgesellschaft hinterfragen Verf. einige scheinbar unantastbare Begründungslinien von Wachstumsbefürwortern, »warum Wachstum dem Allgemeininteresse dient« (21), allen voran in der deutschen Bundesregierung: Lebensqualität, Armutsbekämpfung, Verteilung, Arbeitslosigkeit, Umweltschutz, Staatshaushalt und Alternativlosigkeit. So werde Lebensqualität durch das BIP nur unzureichend dargestellt; Verteilungsgerechtigkeit und Armutsreduzierung basierten keineswegs auf
Wachstum, wie die anhaltende strukturelle Arbeitslosigkeit und die Erfahrung mit »jobless growth« (28) zeigten. Verf. weisen nach, wie begrenzt die Wirkungen des technischen Fortschritts auf den Umweltschutz sind, und widerlegen systematisch die Versprechen des Wachstumsprogramms.
Darauf aufbauend distanzieren sie sich von Vorstellungen eines ›Green New Deal‹. Die für ein »grünes Wachstum« nötige Effizienzsteigerung halten sie für unrealistisch. Die »Notwendigkeit, die Kohlenstoffemissionen um 95% zu senken und in absehbarer Zeit ohne fossile und andere endliche Brennstoffe zu wirtschaften« (35), ist mit einer Wachstumsökonomie nicht zu vereinbaren. Verf. betonen dagegen die Gefahr des »irreversiblen Zusammenbruchs ganzer Ökosysteme« (38) sowie die Folgen von ›Peak Oil‹.
Eine Lösung für das Dilemma, dass ein kapitalistisches Wirtschaftssystem ohne Wachstum nicht auskommt, gleichzeitig dieses aber zahlreiche negative Implikationen hat, sehen Verf. in einer solidarischen »Postwachstumsökonomie«, in einem »grundlegenden Umbau der Produktions- und Lebensweise, der die Wachstumsabhängigkeit überwindet« (51). Diese neue Entwicklungsweise wird schlagwortartig skizziert: gutes Leben, Kooperation statt Konkurrenz, keine Trennung von (männlicher) Produktion und (weiblicher) Reproduktion, Bedürfnis- statt Tauschwertorientierung, kollektiver Gebrauch statt privater Konsum, Dezentralität und Deglobalisierung.
Verf. bezeichnen ihren Vorschlag als Suchbewegung, die »noch viel intellektuelle Arbeit nötig« (67) mache. Konkret sollen einige Industrien schrumpfen (Automobilindustrie, Flugverkehr), andere wachsen (öffentlicher Nahverkehr, Bildung), insgesamt aber das BIP inken. Durch eine solidarische Ökonomie, Investitionslenkung, Schrumpfung und Regulierung der Finanzmärkte, eine andere Arbeitsweise, demokratische Wirtschaftspolitik, Umverteilung, Sicherung des Sozialen und Lokalisierung sollen die Ziele erreicht werden. Die Ausführungen zu den einzelnen Punkten bieten durchaus interessante Ansätze für einen Umbau im Kleinen. Verf. möchten aber darüber hinausgehen und Sand im Getriebe der Wachstumsökonomie sein. Sie zielen auf die Erarbeitung systemischer ökonomischer Alternativen, darauf, wie »unter den Bedingungen ökonomischer Schrumpfung eine egalitäre Gesellschaft zu erreichen« (86) sei. Hier liegen die Stärken des Textes. Verf. stellen große Fragen und finden teilweise griffige Antworten. Die Tatsache, dass die Alternativen »ohne eine konfliktive Durchsetzung« (91) rein theoretisch bleiben, macht allerdings auch die Schwächen der Argumentation deutlich. Die nationale und internationale Wirtschaftsrealität steht der Durchsetzung diametral entgegen. Umso dringender hätten Verf. den Blick auf die Akteure und die Profiteure, d.h. die strukturelle Machtverteilung, richten müssen, in der sich gesellschaftliche Alternativen bewegen. Diese bleibt aber weitgehend ausgeblendet.
Luisa Fischer (Siegen)