Peter Lindner: Räume und Regeln unternehmerischen Handelns: Industrieentwicklung in Palästina aus institutionenorientierter Perspektive. Stuttgart 1999 (Erdkundliches Wissen, Heft 129) 280 S.
Dieses Buch hat zwei ,Agenden': Eigentlich untersucht der Autor die soziale Einbettung der Unternehmer in der zumeist kleinbetrieblichen Industrie der West Bank. Seine These lautet, daß der gebräuchliche Begriff des ,Familienunternehmens' im sozio-kulturellen und politischen Kontext Palästinas eine eigene, andersartige Bedeutung erhält. Andererseits diskutiert der Autor mit der ,institutionenorientierten Perspektive' einen neuen Forschungsansatz - zumindest für die deutsche Geographie -, den er seiner empirischen Analyse zugrunde legt. Er versteht die Industrialisierung eines Landes als einen weiten gesellschaftlichen Prozeß, in dessen Verlauf sich eine spezifische Institution, hier ,das Unternehmertum', bildet. Man sieht, ein anspruchsvolles Projekt, das ganz im Trend einer stärker soziologisch orientierten Geographie steht.Wie wichtig ihm die zweite ,Agenda' ist, wird im Aufbau des Buches deutlich: Der Autor stürzt sich und den Leser unmittelbar in die konzeptionelle Problematik einer institutionenorientierten Perspektive, die (dennoch) Akteurshandeln in den Mittelpunkt der Analyse stellen will. Denn die folgende Untersuchung der Unternehmer auf der West Bank stellt ja deren Handeln in den Mittelpunkt. Dieser Teil des Buches ist hoch interessant und verdiente eine längere Debatte. Den starken Bezug auf ältere soziologische Arbeiten sähe der Rezensent allerdings gerne ergänzt durch die Berücksichtigung der jüngeren Diskussion über einen akteurszentrierten Institutionalismus, wie sie etwa von Renate Mayntz und Fritz Scharpf geführt wird.
Der Großteil des Buches ist aber der Empirie gewidmet. Teil 2 des Buches stellt in quellen- und methoden-kritischer Weise die Industrialisierung des Landes unter den besonderen politischen Bedingungen der vergangenen 30 Jahre dar. Es ist weitgehend eine Geschichte des Mißerfolgs, der nicht erfüllten Erwartungen im Friedenprozeß, in dem Entwicklungskonzepte und Fördermaßnahmen stärker von Absichten als dem tatsächlichen Erfolg getragen sind. Eine ,ambivalente' Transformation, wie der Autor sagt.
Der zentrale, und auch empirisch neue Teil 3 analysiert auf der Grundlage einer qualitativen Befragung von 46 Unternehmern wichtige Teilaspekte der Institution des (Familien-)Unternehmertums auf der West Bank. Auch hier begeht der Autor zumindest für die Industriegeographie neue, interessante und methodisch sehr sorgfältig abgewogene Wege. Die Vielseitigkeit des Unternehmertums, die in ,Bruchbiographien', in Gründungstypen, in der ganz unterschiedlichen Behandlung der ,Familie' im Unternehmen und damit unterschiedlichen ,Regeln' deutlich wird, macht es allerdings am Ende schwer, die Institutionalisierung eines Unternehmertums auf der West Bank zu erkennen. Dem entspricht der bisherige Mangel an Selbstorganisation der Unternehmer auf der West Bank.
Das Buch hinterläßt beim Rezensenten ambivalente Gefühle: Endlich ein in Deutschland neuer Ansatz, der ,die Wirtschaft in die Gesellschaft' zurückbringen könnte, wie dies z. B. Piore und Sabel früher postuliert haben. Aber zugleich sieht der Autor soziopolitische Handlungen und Institutionen nur als ,Rahmenbedingungen', wo man sich einen aktiveren Part politischer Akteure im Institutionalisierungsprozeß des Unternehmertums hätte vorstellen können. Zudem wird dieser Prozeß nur aus der selbst-reflektiven Einschätzung der Unternehmergespräche analysiert, was noch wenig zur Belegung der Institution in der Gesellschaft beiträgt. Wer etwas zur Industrialisierung Palästinas lernen will, wird eher mit den Textausschnitten von Unternehmergesprächen als mit einer ,harten' Analyse bedient. Allerdings: Die von PETER LINDNER vorgestellte institutionenorientierte Perspektive ist es wert, diskutiert zu werden; seine Arbeit gibt dazu sowohl im Konzeptionellen als auch im Empirischen wichtige Anregungen.
Autor: Eike W. Schamp