Hannah Reich: Medien und Konflikt: der Landdiskurs in Palästina. Stuttgart 2003. 162 S.

Der Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis ist ein Konflikt um Land. Ein Konflikt, der mit Panzern, Stacheldraht und Bomben vielfach blutig ausgetragen wird. Im Mittelpunkt der Publikation von Hannah Reich, die auf einer sozialgeographischen Diplomarbeit basiert, stehen aber nicht diese unmittelbar physischen Auseinandersetzungen, sondern der Konflikt der Worte und Bilder in den Medien, welche die physischen Konflikte begleiten, diese strukturieren und ihnen Bedeutung geben.

Mittels einer Analyse des Mediendiskurses untersucht Reich das "Land in den Köpfen". Die Sozialgeographin möchte mit ihrer Arbeit eine geographische Perspektive in die Konfliktforschung einbringen und auf der Basis einer Fallstudie eine sozialgeographische Raumauffassung entwickeln, die sich für die Konfliktforschung eignet (15 f.). Die Autorin greift dazu in erster Linie auf den Diskursbegriff zurück, wie er von Foucault geprägt wurde, und bietet in Kapitel 2 und 3 eine souveräne und schlüssige Darstellung des Potenzials der Foucaultschen Diskurstheorie und ihrer Weiterentwicklung und Anwendung in der Diskursanalyse durch Jäger und Link für eine geographische Konfliktforschung. Unverständlich ist allerdings, warum Reich so gut wie keine geographischen Studien zur Kenntnis nimmt, die politische Konflikte in einer konstruktivistischen Perspektive analysieren. Die Berücksichtigung der umfangreichen Literatur, die in den critical geopolitics seit Ende der 1980er Jahre in der angelsächsischen Geographie und seit wenigen Jahren auch in der deutschsprachigen Geographie entstanden ist, hätte die konzeptionelle Fundierung der Arbeit bereichert. In Kapitel 4 legt die Autorin ihr methodisches Vorgehen dar: Die Analyse der Radioberichterstattung über den palästinensichen "Tag der Wut über den Siedlungsbau" im Jahr 1999 - also vor Ausbruch der zweiten Intifada - als Analyse eines Diskursfragmentes bettet sie ein in die längerfristige teilnehmende Beobachtung in den Redaktionen eines staatlichen und eines privaten Senders und trianguliert sie mit verschiedenen Methoden qualitativer Interviews. Im selben Kapitel umreißt Reich den Kontext der Berichterstattung zum "Tag der Wut": Sie skizziert die Entwicklung des israelischen Siedlungsbaus und gibt einen Überblick über die Geschichte der palästinensischen Medien. Die Analyse des Landdiskurses in der staatlichen "Stimme Palästinas" und dem privaten Sender "Liebe und Frieden" am Beispiel der Berichterstattung über den "Tag der Wut" stellt Reich in Kapitel 5 dar. Dabei präsentiert sie zunächst den "nichtsprachlichen Kontext der Diskursfragmente": den Aufbau der Sender und die Organisation des "Tags der Wut" durch die offiziellen palästinensischen Behörden. Dann zeigt Reich den sprachlichen Kontext auf: die Programmgestaltung der Sender und die mediale Sprache im Arabischen. In der Mikroanalyse der Diskursfragmente arbeitet sie heraus, wie gezielt Begriffe aus einem muslimisch religiösen Diskurs wie der "Märtyrer" in einen nationalpolitischen Diskurs eingebaut werden. Das "Land Palästina" bleibt im Mediendiskurs nach Reich seltsam "unverortet und flächenlos" (S. 92). Stattdessen wird die Nation und die ewige Hauptstadt Jerusalem beschworen. Die Autorin interpretiert dies als Konsequenz der innerpalästinensischen Machtstrukturen - "das Vernebeln und im-Unklaren-lassen der gegenwärtigen Prozesse wird mit dem noch nicht erreichten Ziel gerechtfertigt" (S. 102). Insgesamt scheinen sowohl die Berichterstattung des staatlichen als auch des Privatsenders die politischen Vorgaben zu akzeptieren. Das aus der Diskussion Foucaultscher Originaltexte entwickelte Forschungsgerüst erweist sich als geeignet, um das "Land in den Köpfen" aufzudecken. Die Ursache dafür, daß der mediale Diskurs nicht der Breite des gesamtgesellschaftlichen Diskurses entspricht, sondern in erster Linie die Standpunkte der Herrschaftselite spiegelt, liegen nach Reich einerseits in einer expliziten Zensur und andererseits aber vor allem im Selbstverständnis der palästinensischen Journalisten, die sich als Teil eines nationalen Projekts verstehen (Kapitel 6). Im so genannten Wye-Abkommen konnte die israelische Regierung Netanjahu Zugeständnisse von Gebieten an die palästinensische Autonomiebehörde an die Voraussetzung knüpfen, daß die Palästinenser erfolgreich "incitement" - Aufhetzung - in den Medien verhindern. Reich interpretiert dieses Vorgehen in Kapitel 7 als "Besetzung der Worte", die der gleichen Logik folgt wie die Besetzung des Landes. Auf der Basis ihrer konzeptionellen Überlegungen und ihrer Fallstudie entwickelt Reich im Schlußkapitel schließlich ein Raumverständnis, wonach sich ein "Raum" dadurch auszeichnet, daß er über eine "selektierende Ordnungsfunktion" Macht ausübt. Raum als das "Element sozialer Kommunikation (...), welches nicht hinterfragt wird, welches als allgemein gegeben hingenommen wird und nicht zur Disposition steht". Das gelte für den materiellen Raum "der allgemein als die Wirklichkeit schlechthin angenommen wird" wie auch für Aussagen, deren "Wahrheit als die Wahrheit postuliert" werden (S. 151). Reich plädiert also dafür, daß in Konfliktanalysen eine Aufspaltung in den "Raum der ‚Bilder'", den sie auch Realraum nennt, und einen "Raum der ‚Aussagen'" vorgenommen wird. Die theoretisch-konzeptionellen Schwierigkeiten, die eine solche Aufspaltung mit sich bringt (Wie lassen sich "Ereignisse im Realraum" ohne "Aussagen" denken?), reißt die Autorin leider nur noch sehr kurz an. Ärgerlich sind einige handwerkliche Unzulänglichkeiten der Arbeit: So wird an mehreren Stellen im Text auf Anhänge verwiesen, die nicht in der Veröffentlichung enthalten sind. Das Fehlen von Karten sowie eines Literaturverzeichnisses erschweren die Nutzung der Arbeit. Fazit: Ein letzter handwerklicher Schliff fehlt. Eine Berücksichtigung der Literatur aus den critical geopolitics hätte konzeptionelle Anregungen bieten können und die Studie in der Humangeographie anschlussfähiger gemacht. Insgesamt bietet die Arbeit aber einen konzeptionell und methodisch sehr anregenden und daher empfehlenswerten Beitrag zur geographischen Konfliktforschung.
Autor: Georg Glasze

Quelle: Geographische Zeitschrift, 92. Jahrgang, 2004, Heft 1 u. 2, Seite 124-125