Conrad Schetter: Kleine Geschichte Afghanistans. München 2004. 157 S.
Die vorliegende Publikation zur Geschichte Afghanistans kommt der selbst gestellten Aufgabe, die komplexen historischen Zusammenhänge des zentralasiatischen Landes innerhalb von kaum 160 Seiten darzustellen, in eingängiger Weise nach.
Der übersichtliche, chronologische Aufbau der Publikation und der klare Sprachstil verhilft zu einem überblicksartigen Eindruck. Die Leistung SCHETTERs besteht dabei nicht zuletzt darin, die Fülle der Materie auf ein verständliches Maß zurechtzustutzen. Nach einer Einleitung und der Vorstellung des Natur- und Kulturraumes Afghanistan beginnt SCHETTER seine Ausführungen in der Antike. Von dort ausgehend verfällt er im weiteren Aufbau der Publikation nicht dem Fehler, alle historischen Wendungen gleichermaßen gerecht werden zu wollen, sondern setzt Schwerpunkte innerhalb der Publikation. Während der Entwicklung bis ins 17. Jahrhundert kaum zwei Kapitel eingeräumt werden, nimmt die Beschreibung der Ereignisse und Zusammenhänge ab diesem Zeitpunkt alle folgenden zehn Kapitel in Anspruch. Tiefe und Komplexität der Darstellung nimmt mit der zeitlichen Nähe zur Gegenwart zu. SCHETTER beendet seine Ausführungen mit Erläuterungen zur afghanischen Entwicklung seit dem 11. September 2001. Diese an sich gelungenen Gewichtung der Gliederung schlägt sich allerdings auch in der Schärfe der Quellenarbeit nieder. SCHETTER greift zwangsläufig auf geleistete Forschung zur mittelalterlichen und neuzeitlichen Geschichte Afghanistans zurück, wobei es bisweilen nur mit Mühe nachzuvollziehen ist, welche geltenden Lehrmeinungen reflektiert werden und auf welche wissenschaftlichen Publikationen zurückgegriffen wird. Dies erschwert die Einordnung der deswegen nicht zwangsläufig weniger richtigen Folgerungen SCHETTERs in den historischen Forschungsstand. Der Bericht des britischen Gesandten Mountstuart Elphinstone beispielsweise, den SCHETTER als "großartige[s] Werk" und "der zuverlässigsten und eine der ältesten Quellen über die Ereignisse im 18. Jahrhundert" (S. 48) preist, ist in der Forschung nicht so unumstritten, wie der Autor angibt. Diese marginalen Schwächen verschwinden, sobald SCHETTER in der Lage ist, zur jüngsten Entwicklung Afghanistans auf in Zusammenhang mit seiner 2001 fertig gestellten Dissertation "Ethnizität und ethnische Konflikte in Afghanistan" getätigten, eigenen Forschung zurückzugreifen. Die Beschreibungen des zeitgeschichtlichen Wandels der Staatlichkeit Afghanistans und der wechselnden politischen Strömungen in der jüngsten Geschichte des Landes, insbesondere seit der sowjetischen Invasion von 1979, meistern angemessen die Gratwanderung zwischen akribischer Detailwiedergabe und Überblicksvermittlung. Auch in Anbetracht der gegenwärtigen Afghanischen Demokratisierungsbemühungen lohnt sich der Blick in SCHETTERs Werk. Politische Herkunft und Gesinnungsgenese mancher Vertreter von Regierung und Opposition werden auf interessante Weise erhellt. SCHETTER sieht zu Recht davon ab, eine Prognose für die weitere Entwicklung Afghanistans zu stellen, trägt aber innerhalb des deutschsprachigen Publikationsraumes in nicht unerheblichen Maße zu einem erweiterten Verständnis des Landes bei.
Autor: Kai Yamaguchi