Wolfgang von Hippel (Hg.): In Rußland und Kanada. Die Familienerinnerungen des Michael Stang aus der wolga-deutschen Kolonie Vollmer. Mannheim 2005 (Südwestdeutsche Schriften 33). 168 S.
Es ist relativ selten, dass ausführliche autobiographische Schilderungen dem Alltag von Familien gewidmet sind, die bestenfalls dem konsolidierten Mittelstand zuzurechnen sind. Die Erinnerungen des Michael Stang gehören zu diesen "Ego-Dokumenten", in denen die persönliche Wahrnehmung der Lebenswelt der eigenen Familie im Mittelpunkt steht. Sprachlich teilweise etwas unbeholfen und auch in der durch den Herausgeber vorgenommenen Strukturierung durch Zwischenüberschriften nicht immer stringent gegliedert, setzt der wolgadeutsche Verfasser drei Schwerpunkte: In einem ersten Teil wird retrospektiv die Familiengeschichte in den Kontext der Ansiedlung Deutscher im mittleren Wolgagebiet eingeordnet und damit in einer allgemeingeschichtlichen Perspektive des Kolonisationsprozesses verortet. Der zweite Teil gilt der Schilderung des Lebensalltags einer wolgadeutschen Familie im späten 19. Jahrhundert. Das entbehrungsreiche, vor allem durch familiäre Ereignisse gegliederte Leben in den Siedlerkolonien wird teils chronologisch, teils nach Alltagsbereichen beleuchtet; damit entsteht konturenhaft ein recht eindrucksvolles Bild des Kolonistenalltags, der im Lauf der Jahre, insbesondere nach der Hungers-not von 1891/92, als so belastend empfunden wird, dass man den Weg der Auswanderung sucht. Folgerichtig gilt der dritte Teil der Übersiedlung nach Kanada und dem Beginn einer neuen Existenz, auf die der Autor, nach eigener Familiengründung, nicht ohne einen gewissen Stolz auf die Arbeit im Eisenbahnbau und auf den mit der Migration erreichten relativen Aufstieg zurückschaut. Da das Leben an der Wolga den größten Raum einnimmt, ergänzt dieser Erinnerungsband die analytischen Darstellungen zur Geschichte der Wolgadeutschen.Autor: Jörg Stadelbauer