Bernd Belina und Boris Michel (Hg.): Raumproduktionen. Beiträge der Radical Geography. Eine Zwischenbilanz. Münster 2007. 307 S.

Zweifelsohne stimmt die einleitende Feststellung der beiden Herausgeber, dass die Radical Geography (übersetzt als linke Geographie) und eine kritisch-materialistische Raumforschung im deutschsprachigen Kontext marginal waren. Und sie sind es auch noch im Hinblick auf die aktuellen Diskussionen um die Ausgestaltung des spatial und cultural turn in und außerhalb der Geographie. Um dieses Defizit zu beheben und den ‚entmaterialisierten' Geographien ein Alternativangebot gegenüberzustellen, versammelt die vorliegende Anthologie insgesamt zehn originäre englischsprachige Veröffentlichungen aus den Jahren 1984-2002 in deutscher Übersetzung, die die Breite der Radical Geography demonstrieren sollen.

Grundanliegen des Readers ist die Darstellung von Perspektiven und Analysen, wie ‚Raum' in eine kritisch-materialistische Gesellschaftstheorie eingebettet werden kann, wobei dieser ‚Raum' immer (nur) das Produkt konfliktueller gesellschaftlicher Praktiken sein kann. Die Texte sind paritätisch in stärker konzeptionelle Überlegungen und eher empirische Analysen eingeteilt sowie mit einer Einführung der Herausgeber versehen, die die einflussreichsten Vertreter der kritischen Beschäftigung mit Raumproduktionen vorstellt: HENRI LEFEBVRE, MICHEL FOUCAULT und DAVID HARVEY. Der konzeptionell-theoretische Teil enthält grundsätzliche, allerdings doch oftmals bekannte Texte namhafter Autoren und Autorinnen im weiteren Umfeld der Radical Geography: DAVID HARVEY, NEIL SMITH, ED SOJA, DOREEN MASSEY und DEREK GREGORY. Interessanter ist der empirische Teil, der einige im deutschsprachigen Bereich weniger bekannte, aber lesenswerte Autoren und Autorinnen wie bspw. ANDREW HEROD und ANDY MERRYFIELD vereint, was den Informationswert des Buches deutlich erhöht. Dieser Teil figuriert die Verknüpfung von wissenschaftlichen Perspektiven mit aktuellen gesellschaftspolitischen Fragestellungen im Sinne der Radical Geography - etwa demonstriert am Beispiel paradoxer Konfliktlinien bei innerstädtischen Restrukturierungen (Beitrag MERRYFIELD) oder des (gewollt/ungewollten) Einflusses der Arbeitnehmer auf die Herstellung lokaler wie nationaler Geographien (Beitrag HEROD) oder der Regulation des öffentlichen Raums (Beiträge MCCANN, MITCHELL).
Auch wenn die Übersetzungen größtenteils gelungen sind, können sie doch nicht eine genauere Auseinandersetzung mit den jeweiligen Originaltexten ersetzen. Teilweise ist, bei Verzicht auf entsprechende Kennzeichnung, verkürzt übersetzt worden (Beitrag HARVEY), teilweise werden die bereits in den angloamerikanischen Texten vorhandenen Übersetzungsunschärfen reproduziert (etwa die ungenaue Rezeption von LEFEBVRE bei GREGORY). Nichtsdestotrotz erzeugen die Übersetzungen einen positiven Effekt: Die der angloamerikanischen Sprache oftmals zugeschriebene Autorität wird entkleidet, was einen klareren Vergleich der Beiträge mit deutschsprachigen Texten ermöglicht. Im Ergebnis zeigt sich eine solide Demystifikation, oder radikal-geographisch gesprochen: eine Defetischisierung des Niveaus der angloamerikanischen Theoriedebatte.
Im Ergebnis bietet der Reader eine ausgewogene Darstellung der Bandbreite kritisch-materialistischer Forschung. Nicht jeder Leser wird darin unbedingt Neues entdecken, dennoch findet er nun einen zentralen Ort, von dem aus die weitere Beschäftigung mit der Radical Geography gestartet werden kann und sollte - und dies in zweifacher Hinsicht als aktive Auseinandersetzung mit den Originalen und als kritische Analyse gesellschaftlicher Praxen bei der Produktion von Raum.    
Autor: Marc Redepenning

Quelle: Erdkunde, 61. Jahrgang, 2007, Heft 4, S. 373-374